Rettung vor dem nassen Tod

Von Winfried Dolderer · 19.10.2013
Vor dem Ersten Weltkrieg wurde das Baden in Flüssen und Seen Mode, doch kaum jemand konnte schwimmen. Tödliche Badeunfälle häuften sich. Zum Schutz der Badenden gründete sich 1913 die Deutsche-Lebens-Rettungsgesellschaft (DLRG), heute die größte Wasserrettungsorganisation der Welt.
"Es ist ja auch in den langen Jahren nicht wichtig, dass man jetzt unbedingt Action haben muss und welche rausholen muss, denn wichtig ist, dass immer, wenn wir nach Hause kommen und Revue passieren lassen, dass wir sagen: Es ist nichts passiert. Das ist uns lieber, als wenn wir sagen: Oh, wir haben wieder hier Action gehabt."

Dass nichts passiert, dazu sind sie da. Wie Karl Heinz Dörnen aus Iserlohn ziehen alljährlich in den Sommermonaten aus der ganzen Republik Tausende von freiwilligen Helfern der DLRG, der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft, in die Badeorte an Nord- und Ostsee, um die Strände zu überwachen. Ihr Erfolg lässt sich beziffern. Im vorigen Jahr ertranken in Deutschland so wenige Menschen wie nie zuvor: 383. Das war vor 100 Jahren deutlich anders. Der "nasse Tod" fand damals im Jahresdurchschnitt 5000 Opfer. Zu Beginn der Zwanziger, als das Baden an offenen Gewässern sich zum Massenvergnügen entwickelte, stieg die Zahl zeitweilig sogar auf 8000.

"Den Beherztesten überläuft ein Schauder, und jeder, der ein wenig Interesse am Wohl der Allgemeinheit hat, sinnt sogleich auf Abhilfe",

hieß es im Aufruf zur Gründung einer Rettungsorganisation, der im Juni 1913 in der Zeitschrift des Deutschen Schwimmverbandes erschien. Anlass war ein spektakuläres Unglück, das sich ein knappes Jahr zuvor ereignet hatte. Im Ostseebad Binz auf Rügen waren beim Einsturz der Seebrücke 17 Menschen ertrunken. Die Gründungsversammlung der DLRG fand am 19. Oktober 1913 in Leipzig statt. Ihr Motto:

"Jeder Deutsche ein Schwimmer. Jeder Schwimmer ein Retter."

Kaum jemand konnte schwimmen

Davon war man freilich weit entfernt. Nur zwei bis drei Prozent der Bevölkerung konnten in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg überhaupt schwimmen. Gab es doch vielerorts noch keine öffentlichen Bäder. In dieser frühen Zeit mussten auch die Wasserretter noch mit vielfach schlichten Bedingungen zurechtkommen; der Düsseldorfer Heinz Gilgen erinnert sich:

"Wir hatten in den 30er-Jahren ein Holzboot zusammen mit dem Deutschen Roten Kreuz, und dann nach dem Krieg Paddelboote, wie auch vor dem Krieg, teilweise selbst gebaut. Das hat sehr viel Spaß gemacht, wir haben uns diese Boote selbst gebaut, mit Leinen bespannt und Ölfarbe, wo man sie bekommen konnte, dann dichtgemacht, und da haben wir auch diese Rettungseinsätze mit gefahren bis 1956, dann bekamen wir unser erstes Motorrettungsboot."

Der Nationalsozialismus ließ die DLRG nicht unberührt. Ihr Vereinszweck sei die "Erhaltung und Stärkung der deutschen Volkskraft und Wehrfähigkeit", hieß es in der 1933 neu gefassten Satzung. Nach dem Krieg gelang der Wiederaufbau zunächst nur in den Westzonen, hier aber umso erfolgreicher. Im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs bescherte der "Goldene Plan" von 1959 zum Ausbau der Sportstätten auch kleineren Städten und Gemeinden öffentliche Frei- und Hallenbäder.

Internationale Einsätze

Statt wie Mitte der 30er-Jahre 35.000 Aktive, zählte die DLRG ihre Mitglieder in der Bundesrepublik bald nach Hunderttausenden und wuchs mit heute über 550.000 zur größten Wasserrettungsorganisation der Welt heran. In der Katastrophenhilfe ist sie bei Bedarf weltweit im Einsatz, so auch Ende 2004 bei der Bergung von Tsunami-Opfern in Thailand.

"Es wurden Geräusche in einem Gebäude gehört, das wir vorher schon zweimal gecheckt hatten. Daraufhin wurden wir mit Alarm wieder in die Krisenregion gefahren, circa 15 Kilometer, und haben dort auch die ganze Nacht wieder wirklich Schwerstarbeit geleistet, mit bloßen Händen Stahl und Beton Stück für Stück abgetragen, um an die vermeintliche Person ranzukommen","

berichtete damals der Helfer Frank Schultes.

Im eigenen Land ist die DLRG heute der größte Anbieter von Schwimmlehrgängen, der Jahr für Jahr rund 200.000 Kinder und Jugendliche "wassertauglich" macht. So können sich mittlerweile nach eigenen Angaben 80 Prozent der Deutschen sicher im Wasser bewegen. Die Älteren erinnern sich noch an den "Freischwimmer" und den "Fahrtenschwimmer". Seit 1977 kann man bei der DLRG das Jugendschwimmabzeichen in Bronze, Silber und Gold erwerben. Falls gewünscht, immer noch als Aufnäher auf der Badehose. Freilich wandelt sich auch die Bademode im Laufe der Zeit, wie der damalige DLRG-Sprecher Bernd Schäfer bereits vor zwanzig Jahren beobachtete. Indes:

""Selbst wenn man heute das Abzeichen nicht mehr so häufig auf der Badehose sieht, junge Menschen lernen schon noch Rettungsschwimmen, und das freut uns auch."