Rettung durch eine Kaskade von Dämmen

Von Johannes Kaiser · 27.05.2012
Die Torfmoorwälder des indonesischen Sebangau-Nationalparks sind für viele bedrohte Tierarten die letzten Refugien. Der 2004 gegründete Nationalpark droht allerdings durch zahlreiche künstliche Kanäle trockenzufallen. Der WWF und die indonesische Regierung versuchen diese Entwässerung zu stoppen.
Unter der kleinen viersitzigen Cessna breitet sich bis zum Horizont ein Meer aus Bäumen in allen Grüntönen aus. Bisweilen ragen bleiche abgestorbene Riesen aus dem undurchdringlichen Dickicht und manchmal blitzt zwischen ihnen für einen Moment Wasser auf.

Der 2004 von der indonesischen Regierung eingerichtete Sebangau-Nationalpark im Süden Borneos beherbergt weltweit einen der letzten großen tropischen Torfmoorwälder. Er ist trotz dieses Schutzstatus bedroht, denn zahlreiche Kanäle durchziehen ihn und lassen ihn ausbluten - ein Erbe der Holzfäller, die bis zur Jahrtausendwende wertvolle Tropenhölzer aus dem Sumpfwald holen durften.

In der Regenzeit saugen sich die bis zu zwölf Meter dicken Torfschichten, auf denen die Bäume wachsen, wie ein riesiger Schwamm mit Wasser voll. Jetzt kurz nach Ende der feuchten Jahreszeit strömen aus tausenden von Kanälen enorme Wassermengen in die beiden Flüsse, die den Nationalpark einrahmen. Aus dem Wasserflugzeug sieht man weite Überschwemmungsflächen an beiden Seiten - eine normale Situation, denn die Flüsse treten jede Regensaison weit über die Ufer.

Die Flussbewohner haben sich darauf eingestellt. Ihre Holzhäuser stehen allesamt auf Pfählen. In der Trockenzeit, wenn kein Regen mehr fällt, entwässern die tiefen Kanäle den Sumpfwald. Er verliert sein Lebenselixier, das Schwarzwasser. Schließlich trocknen sogar viele der menschgemachten Wasserwege ganz aus. Dann rahmt bis an den Waldrand ausgedorrtes Land die Flüsse. Ein Funken genügt und großflächige Brände breiten sich aus, versenken die Welt in dichten Qualm, bedrohen eine einzigartige Tier- und Pflanzenwelt, so der Moorforscher Hans Joosten von der Universität Greifwald:

"In den tropischen Mooren ist die Artenvielfalt vergleichsweise viel größer als in den europäischen Mooren, aber das hat damit zu tun, dass die Artenvielfalt in den Tropen überhaupt viel größer ist als im temperaten oder borealen Bereich. Wir reden dann über Arten, die sehr angepasst sind und die deshalb sehr besonders und sehr selten sind. Die Moore haben eine eigene Flora und Fauna. Dazu kommt noch, dass die Moore jetzt eigentlich fast die letzten Wildnisse bilden, die überhaupt übrig geblieben sind. Die letzten Wälder, die letzten Waldreste, die noch übrig geblieben sind im Tiefebenengebiet, sind die Moore."

Bislang hat man im Sebangau Nationalpark 166 Baumarten entdeckt und 808 Pflanzen bestimmt. Doch das ist wohl nur ein Bruchteil dessen, was der Torfmoorwald noch an Geheimnissen birgt. Das Bekannte hat schon bei weitem gereicht, den WWF davon zu überzeugen, zur Rettung Sebangaus beizutragen, so Christoph Heinrich, Naturschutzchef des WWF Deutschland:

"Zu den wirklichen Besonderheiten Sebangaus gehören die Orang Utans, die hier ihre größte verbliebene Population überhaupt haben, obwohl die Wälder phasenweise völlig unter Wasser stehen und man denken würde, das ist für Säugetiere völlig lebensfeindlich, aber sie kommen vor. Es kommt auch hier der Nebelparder vor, das ist eine kleine Leopardenart mit einem wunderschönen Pelz. Es kommen Nasenaffen vor. Es kommt überhaupt eine ganze Reihe von Affenarten vor. Es kommen kleine Hirsche vor, wunderschöne Eisvögel kann man hier am Fluss sehen und den großen Nashornvogel."

Um diese Vielfalt zu erhalten, muss man zuerst einmal einen Großteil der früher angelegten Kanäle verschließen, so dass das zur Regenzeit vollgesaugte Torfmoor nicht mehr auslaufen kann. Das ist allerdings eine sehr aufwändige, anstrengende und kostspielige Angelegenheit. Da der Torfmoorwald zur Mitte hin ansteigt, reicht es nicht, am Rand des Waldes nur einen einzigen Damm zu bauen, so Guénola Kahlert, die Projektbetreuerin des WWF:

"Es wird eine Kaskade von Dämmen gebaut im Wald anfangend nach außen hin. Da gibt es hydrologische Studien, die uns sagen, wie genau in welchem Abstand wir die Dämme zu bauen haben. Das führt dazu, dass der Grundwasserspiegel im Torfkegel ansteigt und so permanent der Boden unter Wasser ist. Das ist wichtig für das Überleben der Bäume. Die sterben ab, wenn der Grundwasserspiegel zu stark sinkt und außerdem steigt dann sehr stark die Feuergefahr, wenn der Boden trocken wird."

Weit über 400 Dämme sind seit 2004 von der indonesischen Nationalparkbehörde und vom WWF mithilfe der einheimischen Bevölkerung gebaut worden. Es sind einfache Holzkonstruktionen mit einem erhöhten Durchlass, durch den weiterhin Wasser abfließen kann.
"Wir bauen die Dämme mit einer Öffnung, damit die lokale Bevölkerung noch die Möglichkeit hat, ihre Booten durchzuziehen, weil: Seit diese Kanäle gebaut wurden, gibt es so eine Art Gewohnheitsrecht, haben die Leute diese Kanäle benutzt, um in den Wald zu gehen und nicht Holzwaldprodukte zu sammeln, also Rattan, Pilze, die Rinde von Bäumen, die zu medizinischen Zwecken verwendet wird und so weiter.

Und wir wollen den Leuten natürlich auch nicht verbieten, da jetzt weiterzumachen und jede Familie hat so ein bisschen das Ownership für einen bestimmten Kanal und wir gehen mit denen die Karten durch, wir fragen die: 'Welchen Kanal benutzt ihr, welchen nicht, wo geht ihr hin, welchen können wir ganz dichtmachen?' Und dann arbeiten die auch mit am Bau der Dämme."
Gerade auf der östlichen Seite des Nationalparks sind früher von Holzfirmen hunderte Hektar Wald abgeholzt worden. Hier erstrecken sich große kahle Flächen, durchzogen von Kanälen. Vor allem diese blanken Torfböden geraten in der Trockenzeit leicht in Brand.

Ihre Wiedervernässung durch den Dammbau schützt die nahegelegenen Dörfer vor Feuer und vor Rauch, der insbesondere bei den Kindern immer wieder zu schweren Atemwegserkrankungen führt. Ein Grund dafür, dass Dorfbewohner dort freiwillige Feuerwehren gebildet haben.

Der Dammbau verhilft der örtlichen Bevölkerung - 61 kleine Dörfer liegen an den Außengrenzen des Nationalparks, im Torfmoor kann niemand leben - zudem zu Jobs, so Rosenda Chandra Kasih, Chefin des WWF Büros in Borneos größter Stadt Palangka Raya, keine Stunde Autofahrt vom Nationalpark entfernt:
"Wir führen nach dem Dammbau auch eine Wiederaufforstung durch. Das ist für die Dörfer gut, denn es schafft vorübergehende Jobs für die Dorfbewohner. Sie arbeiten in Baumschulen, sammeln Samen, pflanzen Setzlinge und überwachen die Pflanzungen dann. Sie bekommen außerdem ein Bewusstsein dafür, wie der Wasserspiegel das Moor beeinflusst. Auch die Fischer profitieren von den Dämmen. Ehemals in der Trockensaison ausgetrocknete Seen sind wieder geflutet und werden zu Laichplätzen für Fische. Die Fischpopulation wächst und so finden sich selbst in der Trockensaison noch Fische hinter den Dämmen."
Der Dammbau und die Wiedervernässung des Sebangau Nationalparks erhält aber nicht nur die Artenvielfalt und schafft der Bevölkerung Einkommen, er schützt zudem das Klima. Die bis zu zwölf Meter dicken Torfschichten in den Moorwäldern haben in Verlaufe von Jahrtausenden ungeheure Mengen an Kohlenstoff gespeichert. Sinkt nun der Grundwasserspiegel, kann Sauerstoff in den Boden eindringen und das abgestorbene Pflanzenmaterial beginnt, sich zu zersetzen. Kohlendioxid wird freigesetzt. Das sind ungeheure Mengen - Moorforscher Hans Joosten:
"Es ist so, dass wenn ein Moor entwässert ist, die Torfe , die dort vorhanden sind, oxidieren, die verschwinden in die Luft. Das verursacht diese CO2-Emissionen. Aber damit geht auch Torf verloren. In den Tropen ist das so etwas von fünf Zentimetern pro Jahr. So kann man einfach durch die Höhenänderungen der Oberfläche messen, wie viel Torf verloren geht und wie viel Kohlendioxid damit in die Atmosphäre entweicht. Man kann einfach grob sagen, dass mit jeder zehn Zentimenter tiefen Entwässerung zehn Tonnen CO2 extra ausgestoßen werden. Eine Ölpalmenplantage mit einem mittleren Wasserstand von 70 Zentimetern unter Flur imitiert 70 Tonnen CO2 pro Hektar pro Jahr. Und 70 Tonnen - das ist eine Menge, wofür man etwa zehn Mal um die Welt fliegen kann als Bürger. - Man kann so grob sagen, dass die CO2-Emissionen aus entwässerten Mooren in Indonesien etwa eine Gigatonne Emissionen verursachen."

Eine Gigatonne - das ist der jährliche Kohlendioxidausstoß der Industrienation Deutschland. Das industriearme Indonesien ist durch die massive Abholzung seiner Wälder für die Anlage von Palmölplantagen und von Akazien zur Papierherstellung inzwischen nach China zum größten CO2 Emittenten Asiens geworden. Genau aus diesem Grund ist die indonesische Regierung an der Wiedervernässung des Sebangau Nationalparks sehr interessiert. Gelingt es, die Kohlendioxid-Ausgasungen der trockengelegten Moorflächen und die Moorbrände zu stoppen, könnte sich der Staat diese Vermeidung im Rahmen eines internationalen Klimaabkommens anrechnen lassen und als Emissionsrechte verkaufen. Vor allem aber profitieren das Klima und die Natur:
"Ich kenne das Gebiet, ich bin einige Male da gewesen. Es ist eines der wenigen Gebiete, das eine Chance hat, in Sumatra und Kalimantan überhaupt zu überleben. Es wird nur drei, vier Flächen in Indonesien geben, die es schaffen werden bis 2050 zu überleben und Sebangau ist eines davon und deshalb ist es wichtig, dass es gut geschützt wird und dass es möglichst gut restauriert wird."
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