Rettende Hände

Von Peter Kaiser · 11.05.2012
Heinrich Himmler litt an unerträglichen Bauchkrämpfen. Allein der finnische Masseur Felix Kerstan konnte dem Reichsführer-SS helfen. Diesen persönlichen Kontakt nutzte der Masseur, um Hunderttausende Menschenleben zu retten.
Man denkt, es gibt nicht viel, was zum Reichsführer-SS Heinrich Himmler noch zu sagen wäre. Etliche Biografien, Dissertationen, Historisches sind zum Massenmörder Himmler veröffentlicht, nahezu jede Facette seines pathologischen Denkens erörtert worden.

Doch was wenige nur wissen: Himmler wurde vom damaligen Promi-Arzt, dem finnischen Masseur Felix Kersten, wegen unerträglicher Bauchkrämpfe erfolgreich behandelt. Dieser Physiotherapeut und dessen Arbeit würden eine Fußnote in der Aufarbeitung der furchtbaren NS-Zeit sein, hätte Felix Kersten nicht maßgeblichen Anteil an der Rettung Tausender jüdischer KZ-Insassen gehabt.

"Ich frug Brandt, was Himmler an religiöser Literatur lese."

SS-Standartenführer Rudolf Brandt war der persönliche Referent Heinrich Himmlers.

"Er nannte mir die Bhagavad Gita, die er als den hohen arischen Gesang besonders schätzte, die Edda, die Veden und einige astrologische Werke." (aus: Totenkopf und Treue – Heinrich Himmler ohne Uniform. Aus den Tagebuchblättern des finnischen Medizinalrats Felix Kersten)"

Heinrich Himmler litt unter Bauchkrämpfen, die kein Arzt lindern konnte. Erst dem Berliner Promi-Arzt Felix Kersten, der eine chinesisch-tibetische-Massage anwendete, gelang 1939 die Behandlung.

""Und jetzt kann ich mir vorstellen, und da ist jemand, der tut mir was Gutes, mir geht es besser, also bin ich bereit mich erkenntlich zu zeigen."

Mathias Tietke ist Yogalehrer und Autor des Buches "Yoga im Nationalsozialismus".

"Das ist meine Vermutung, dass er zum einen sich auf diesen Handel einlässt, gut, ich lass dann Juden frei, darüber können wir reden."

Himmler war ein begeisterter Leser der Bhagavad-Gita, dem heiligen Buch der Hindus. Besonders die Passagen, in denen von den Kriegerkasten, den Ariern und der Pflicht gefühllos zu töten um der höheren Sache willen die Rede ist, faszinierten den kleinen Mann.

"Er sagt ja zu dem Felix Kersten, dass er im Bereich seiner Offiziere das schwer thematisieren kann, weil er findet dort keine geeigneten Gesprächspartner, keine Zuhörer. Er hat das gleichwohl, 1943, in seinen Posener Reden angewendet."

Und zwar auf grauenhafteste Weise.

"Es gehört zu den Dingen, die man leicht ausspricht: Ausschaltung, Ausrottung der Juden, machen wir, ha, Kleinigkeit. Und dabei anständig geblieben zu sein hat uns hart gemacht, und ist ein niemals zu nennendes Ruhmesblatt.""

Der Masseur Felix Kersten, der später zum Medizinalrat ernannt wird, hörte Himmler zu. Und verstand es, ihn für seine Anliegen dabei empfänglich zu machen.

"Felix Kersten stand auch im Austausch mit schwedischen Politikern, auch mit dänischen Politikern, auch mit Holländern. Und er ist quasi mit Namenslisten, mit Wünschen zu Himmler gegangen. Ich glaube, es ist insgesamt von über 4000 Menschen die Rede, die er gerettet hat."

Das Leben dieser 4000 Menschen schwatzte der Masseur Kersten dem Reichsführer ab. In einem Schreiben der israelischen Botschaft in Stockholm vom 2. August 1988 wird der Familie Felix Kerstens bestätigt:

"On this basis of Kerstens diary came to the conclusion that the agreement between Kersten and Himmler saved 800.000 prisoners, including 63. 000 Jews." (Moshe Erell, Ambassador of Israel, 2.8. 1988)"

Den Tagebuchaufzeichnungen von Kersten nach retteten die Verhandlungen mit Himmler 800.000 Gefangene, darunter 63.000 Juden.

Diese ungeheure Zahl Geretteter erklärt sich dadurch, dass im März 1945 Kersten mit Himmler über die Verbesserung der Lage der Häftlinge in den KZs Flossenbürg, Bergen-Belsen, Dachau und Mauthausen verhandelte. Die KZs wurden kampflos den Alliierten übergeben.

1952 veröffentlichte Felix Kersten, der nach dem Krieg in den Niederlanden lebte, seine Memoiren unter dem Titel "Totenkopf und Treue" Sie gelten heute als wichtige historische Quelle zur SS und besonders zu Heinrich Himmler.

Vorher, im August 1950, wurde Kersten zum Großoffizier des Ordens von Oranien-Nassau für seine "Taten im Namen der Menschlichkeit" ernannt. In Finnland bekam er den Titel des Medizinalrats und die Ernennung zum Kommandeur im Orden der Weißen Rose. Doch es gibt auch Stimmen, die behaupten, dass alles das nicht wahr wäre. Der Buchautor Mathias Tietke, der dieses Thema jahrelang intensiv recherchiert hat, hält die Angaben jedoch für gesichert.

Im Brief der israelischen Botschaft wird Dr. Shmuel Krakowski zitiert, der in den 1980er Jahren die Yad-Vashem-Holocaust- Archive in Jerusalem leitete. Dr. Krakowski stellt noch einmal explizit fest, dass Kersten die Rettung der 800.000 Menschen mit Himmler vereinbarte.

So wurden die Hitler-Befehle der vollständigen Lagerzerstörung umgangen. Ebenso vereinbarten Kersten und Himmler die Übergabe der Lager wie den sofortigen Stopp der Tötungen.

Am 16. April 1960 starb Felix Kersten an einem Herzinfarkt. Sein Sohn Arno lebt heute in Schweden. Wenige Wochen nach Kerstens Tod, am 11. Mai 1960, zitiert der SPIEGEL in einem Artikel die Frankfurter Allgemeine Zeitung:

""Die Anerkennung seiner Verdienste durch die deutsche Regierung hat er nicht mehr erlebt. Man hat bei uns, wo man mit Orden sonst nicht gerade sparsam umgeht, gezögert, den Mann auszuzeichnen, der während des Krieges eine zweideutige Position innehatte, sie jedoch in eindeutiger Weise dazu nutzte, Hunderttausenden von Menschen das Leben zu retten."