Resistente Erreger

Gefährliche Keime verseuchen den Salat

Kleine Beilagen-Salat-Teller garniert mit Tomaten
Wie kommen die gefährlichen multiresistenten Keime aufs Gemüse? © dpa / picture alliance / Fredrik von Erichsen
Von Udo Pollmer · 27.11.2015
Eine ZDF-Studie brachte es ans Licht: Deutsches Gemüse ist mit brisanten Keimen belastet. Udo Pollmer sieht vor allem Smoothie-Trinker in Gefahr. Mit Blick auf die Franzosen, die ihren Salat mit gechlortem Wasser reinigen, rät er zu neuen Hygiene-Maßnahmen bei Obst und Gemüse.
Es war höchst verdienstvoll, als das ZDF kürzlich vor "gefährlichen Keimen auf Gemüse" warnte. Der Sender stützte sich dabei auf Analysen, die er selbst in Auftrag gegeben hatte. Demnach waren 40 Prozent der Sprossen und sage und schreibe über 70 Prozent des untersuchten Asia-Gemüses mit ESBL-Keimen belastet, also mit einer besonders unerfreulichen Gruppe von resistenten Erregern, die zu lebensbedrohlichen Infekten führen können. Diese Ergebnisse sind keineswegs journalistische Übertreibungen des ZDF, sie geben die aktuelle Belastung korrekt wieder.
Offenbar ist schon vergessen, dass vor wenigen Jahren über 50 Menschen an Sprossen verstorben sind, die mit resistenten Erregern aus der Humanmedizin belastet waren. "Nach der EHEC-Krise" ist offenbar schon wieder ein "Vor der EHEC-Krise". Das Bedrohungspotential erhöht sich, wenn Kräuter und Gemüse im Haushalt direkt zu Smoothies verarbeitet werden. In dieser Flüssigkeit können sich Bakterien rasant vermehren. Da kann es leicht passieren, dass Liebhaber des selbstgemixten Pflanzentrunks in der Notaufnahme landen.
Da vor allem pflanzliche Kost belastet ist, findet man typischerweise die meisten resistenten Keime in der Darmflora von Vegetariern. Reflexartig wird dann unterstellt, diese Keime kämen "Vom Tierfutter über den Dünger auf den Tisch". Doch so einfach ist das nicht. Denn in unseren Ställen sind die Antibiotika noch wirksam, und das obwohl die Palette der Wirkstoffe eingeschränkt wurde – und zwar völlig zu Recht.
Klinikärzte brauchen Antibiotika-Schulungen
In deutschen Kliniken hingegen versagen die Reserve-Antibiotika regelmäßig, vor allem solche, die nur dort verordnet werden. Dadurch landen Jahr für Jahr hunderttausende Patienten auf der Intensivstation, nach den Schätzungen von Fachleuten kostet das jedes Jahr etwa zehntausend von ihnen das Leben.
Die Holländer haben die Problematik trotz ihrer intensiven Tierhaltung längst im Griff. Dort wurden nicht etwa die Landwirte unter Druck gesetzt, sondern die Ärzte im korrekten Umgang mit Antibiotika geschult, wirksame Hygienevorschriften in den Spitälern durchgesetzt und neue Patienten werden auf resistente Keime untersucht. Dies hat unzähligen Menschen das Leben gerettet. In Deutschland glaubt man darauf verzichten zu können.
Wie kommen dann bitte die gefährlichen multiresistenten Keime aufs Gemüse? In vielen Ländern der Erde werden ungeklärte Abwässer manchmal direkt in die Äcker geleitet. Die Mischung aus Fäkalien, Medikamenten und Flüssigkeit ist Bewässerung und Düngung in einem. Nicht auszumalen, was da im Abwasser einer Tropenklinik so alles herumschwirrt. Dafür erfolgt der Anbau ressourcenschonend und ohne Kunstdünger. Zudem sind in Asien modernste Reserveantibiotika für jeden, der sie bezahlen kann, erhältlich. So importieren wir auf Gemüse und Früchten Keime, die bereits gegen Wirkstoffe resistent sind, die sich hier noch im Zulassungsverfahren befinden.
Mit Chlorverbindungen gegen Keime
Über kurz oder lang sind zum Schutze der Gesundheit Hygiene-Maßnahmen bei Obst und Gemüse unerlässlich. Im Gegensatz zum Fleisch, das einer Fleischbeschau unterliegt, ist eine amtliche Gemüsebeschau kaum praktikabel. Die Franzosen haben die bessere Lösung: Sie waschen ihren Salat mit gechlortem Wasser, bevor er in den Handel kommt – sie akzeptieren also lieber ein paar Mikrogramm Chlorverbindungen pro Salatkopf statt einen Cocktail zweifelhafter Keime.
Seltsamerweise regt sich darüber bei uns niemand auf, dafür ist die Empörung über die mit gechlortem Wasser besprühten Hähnchen aus den USA so enorm, dass die "Chlorhühner" aus dem Freihandelsabkommen TTIP zum Symbol des "Bösen" schlechthin wurden und Hunderttausende in Berlin dagegen auf die Straße gingen.
Das hygienische "Chlorhuhn" aus Übersee macht Angst – aber mit brisanten Keimen verseuchtes Gemüse – ja, diesmal trifft es ausnahmsweise das Wort "verseucht" am besten – verfüttern wir in geschredderter Form als "Salat" im Kindergarten. Sage mir keiner, er wisse nicht, was er da tut. Mahlzeit!
Literatur
ZDF: Gefährliche Keime im Gemüse. Volle Kanne v. 3. Nov. 2015
rbb-Online: Demonstration in Berlin gegen TTIP und Ceta: Mit Chlorhühnchen und Technomusik gegen Freihandel. 10. Okt. 2015
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BfR-Symposium "Antibiotikaresistenz in der Lebensmittelkette" am 2. und 3. November 2015
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