Reporter: Es stärkt den investigativen Journalismus

Christoph Maria Fröhder im Gespräch mit Frank Meyer · 01.12.2010
Die Art der Publikation der geheimen Dokumente durch Wikileaks sei "eine völlig neue Qualität" dessen, was man bisher von der Internetplattform zu erwarten hatte, sagt Christoph Maria Fröhder, Krisenreporter für das ARD-Fernsehen. Diesmal waren die Dokumente in Zusammenarbeit mit investigativen Journalisten vor der Veröffentlichung geprüft worden.
Frank Meyer: Die jüngsten Veröffentlichungen von Wikileaks, die haben Diplomaten und Politiker erschüttert, aber auch die Medien. "Der Wikileaks-Chef Julien Assange versucht, die Medienwelt aus den Angeln zu heben", so hat es die Tageszeitung "Die Welt" auf den Punkt gebracht, denn Assange handle nach dem Motto: Was die Medien nicht ans Licht bringen, das bringen wir dann eben bei Wikileaks heraus. Was bedeuten die Wikileaks-Veröffentlichungen für unsere Öffentlichkeit, insbesondere für den investigativen Journalismus? Das wollen wir mit Christoph Maria Fröhder besprechen, er arbeitet als Krisenreporter für das Fernsehen, seine Arbeit wurde unter anderem mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis ausgezeichnet. Herr Fröhder, herzlich Willkommen bei uns!

Christoph Maria Fröhder: Ich grüße Sie, Herr Meyer, und die Zuhörer!

Meyer: Herr Fröhder, Wikileaks geht ja eben nach dem Grundsatz vor: Wir veröffentlichen alles, was wir in die Finger kriegen. Wird da Ihr Job als investigativer Journalist dadurch überflüssig?

Fröhder: Das ist an sich die Haltung von Wikileaks von gestern gewesen. Das haben wir zum Beispiel im vergangenen September noch gehabt, bei den Veröffentlichungen über Afghanistan, da wurde gnadenlos alles veröffentlicht. Bei den neuen Veröffentlichungen ist es offensichtlich so – so haben mir Kollegen vom "Spiegel", also auch von "Le Monde" bestätigt –, dass man verabredet hat, dass nur die Sachen, die von investigativen Journalisten gegengeprüft wurden und veröffentlicht wurden in diesen Medien, von Wikileaks dann auch auf ihre eigene Seite gesetzt wird. Also das wäre eine völlig neue Qualität dessen, was man bisher von Wikileaks zu erwarten hatte.

Meyer: Und wie beurteilen Sie diese Zusammenarbeit mit den Medien, zum Beispiel was der "Spiegel" daraus gemacht hat? Ist der "Spiegel" verantwortungsvoll mit diesen Dokumenten umgegangen?

Fröhder: Soweit ich das bisher erkennen kann, würde ich sagen, ja, denn der "Spiegel" hat sehr genau geprüft: Wo können potenzielle Informanten erkannt werden? Es ist natürlich eine völlig neue Situation für investigatives Arbeiten. Über Jahrzehnte hinweg haben wir versucht, irgendwelche Informanten abzufangen, Kontakte anzubahnen, das sind teilweise relativ schräge Situationen gewesen, und sie waren, würde ich behaupten, 60 bis 70 Prozent der investigativen Arbeit, bis man den richtigen Informanten gefunden hatte und ihn zum Reden brachte oder dass er einem ein Dokument diskret über den Tisch schob. Plötzlich hier eine ganz andere Situation: Da war zwar auch das Überbringen der Daten wohl sehr aufwändig, so hat mir der Kollege von "Le Monde" beschrieben – weil die wollten es partout nicht über Internet haben, weil sie zu Recht vermutet haben, dass wahrscheinlich dann das abgefangen würde, zumal es die Anbahnungsgespräche vorab gegeben hat und wohl einige der E-Mails da zu diesem Zeitpunkt auch schon mitgelesen wurden –, aber nachdem sie es dann hatten, hatten sie plötzlich 251.000 Dokumente auf dem Tisch, und mussten jetzt wirklich Schwerpunkte setzen: Was macht Sinn, was macht keinen Sinn? Die "Spiegel"-Kollegen nennen es eine Wiedergeburt des investigativen Journalismus, die haben alle Experten zusammengerufen, die sie hatten für die verschiedenen Länder und Kontinente, haben insgesamt fünf Monate zusammengesessen, analysiert, geprüft und hinterfragt, um so die Spreu vom Weizen zu trennen.

Meyer: Aber mit dieser Zusammenarbeit mit renommierten Medien kommt ja so eine Gründungslegende von Wikileaks auch wieder ins Wanken, denn Wikileaks sagt ja immer: Wir sind unabhängig, unabhängig eben auch von der klassischen Medienwelt, wir machen unser eigenes Ding. Das funktioniert jetzt nicht mehr?

Fröhder: Ich bin nicht sicher, wie lange das halten wird, die jetzige Version. Die jetzige Version ist in meinen Augen die akzeptablere. Aber ich kenne Wikileaks nicht gut genug, man kennt ja die Querelen um diesen deutschen Sprecher und Assange, der halt durch internationalen Haftbefehl quasi gesucht wird zurzeit – was da sich alles weiter entwickelt, ich glaube, das wäre reine Zukunftsspökerei, das kann man im Moment noch nicht sagen. Im Moment ist es aber wohl so, dass sie klipp und klar zugesagt haben, diesen fünf großen Medien: Wenn ihr prüft und ihr kommt zum Ergebnis, ihr publiziert es, dann übernehmen wir es. Wir werden keinen Alleingang machen. Ob das übermorgen noch so ist, möchte ich im Moment einfach abwarten.

Meyer: Eine Frage, die man ja stellen muss, wenn man nachdenkt, ob das berechtigt ist, diese Veröffentlichungspraxis von Wikileaks, ist ja die Frage nach den Konsequenzen. Sie haben zum Beispiel auch dort gearbeitet in Gebieten, die betroffen sind von den jüngsten Wikileaks-Veröffentlichungen. Was wissen Sie über die Konsequenzen dort?

Fröhder: Also ich habe bisher noch keine wirklichen Konsequenzen in Erfahrung gebracht. Vielfach sind es Sachen, wissen Sie, die man im Grunde weiß, die man nicht wirklich recherchiert, weil sie zu banal und fast allgemeingültig sind. Wenn ich zum Beispiel lese, dass also der pakistanische Armeechef – das war so eine von diesen Notizen, die da bearbeitet worden sind – laut in Gegenwart eines amerikanischen Diplomaten über die Entmachtung des pakistanischen Präsidenten Zardari nachgedacht hat, da kann ich nur eins sagen: Das ist absoluter Alltag in Pakistan. Ich habe noch keinen pakistanischen Offizier erlebt, der von seinem Selbstverständnis her nicht besser war als die zivile Politik, und Konsequenzen für die zivile Politik forderte. Das ist schon in den 80er-Jahren so gewesen, als damals die Mudschaheddin trainiert wurden in Pakistan und wir engen Kontakt hatten zu den Militärs, und das ist auch jetzt gerade, als ich kürzlich wieder in Peschawar gewesen bin, fast identisch gewesen, dass alle Militärs, mit denen man gesprochen hat, nachdem der dritte, vierte Tee serviert worden war, sich beklagt haben über eine zivile Regierung, wie viel besser es unter Musharraf war und so weiter, dem alten Militärdiktator. Da werden regelrechte Legenden aufgebaut, nur das irritiert mich dann nicht, weil ich weiß, das gehört halt eben irgendwo so zum Brauchtum in dieser Region.

Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sprechen mit Christoph Maria Fröhder, er berichtet aus Krisenregionen, vor allem für das ARD-Fernsehen, und wir reden über investigativen Journalismus und die neuesten Wikileaks-Veröffentlichungen. Die nächsten sind ja schon angekündigt, Herr Fröhder: Wikileaks will im nächsten Jahr über amerikanische Banken berichten beziehungsweise Dokumente dazu veröffentlichen. Was halten Sie von der Aktion?

Fröhder: Also ich denke, die Form der Ankündigung als solche bringt Wikileaks unter unnötigen Druck, der nicht erforderlich wäre. Da sehen Sie diese Ungewissheit, die man hat bei diesem ganzen Konstrukt von Wikileaks: Die fordern ja auf der einen Seite die Transparenz von den Regierungen und den Medien letztlich auch, sie selber sind aber nicht transparent. Man weiß nicht, in welcher Form dort gearbeitet wird, das hat ja der Ausstieg des deutschen Sprechers, der da sein Pseudonym endlich mal geliftet hat, gezeigt, und dass es dort doch relativ rabaukig zugeht. Und ich denke, wenn man vorneweg ankündigt eine Zielrichtung, dass man sagt, wir veröffentlichen Daten, Internas aus Banken, und es werden mindestens zwei große Bankinstitute auf der Strecke bleiben – dann halte ich das für absolut fatal. Ich habe immer bei meinen Recherchen sozusagen das Ende nicht sehen wollen, ich habe es bewusst teilweise ignoriert, weil wenn sie eine Zielrichtung haben, ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie nicht mehr sauber, handwerklich sauber arbeiten, sehr groß. Wenn Sie sich verbeißen in einen scheinbaren Gegner, ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie stärker zuhören, wenn Ihnen jemand eine Story erzählt, die dem schaden könnte und Sie dann der Sache weiter nachgehen, sehr groß. Deswegen habe ich immer versucht, das so neutral wie möglich zu halten, mich auch von Mitarbeitern getrennt, die so eine Art Beißwut entwickelt haben bei den Recherchen, weil unsere Aufgabe ist es nicht, irgendwelche Leute jetzt publizistisch zu killen, unsere Aufgabe ist es, so weit wie möglich an die Realität heranzukommen.

Meyer: Aber Herr Fröhder, man muss ja sagen: Was Wikileaks jetzt gemacht hat, hat Aufmerksamkeit geschaffen, auch bei den Veröffentlichungen vorher, die auf andere Weise über den klassischen Journalismus gar nicht herstellbar war.

Fröhder: Völlig richtig.

Meyer: Und man hat im Moment ja auch den Eindruck, dass das ein Erfolgsmodell ist, was sich weiter verbreitet. In Indien gibt es einen ähnlichen, Wikileaks-ähnlichen Vorgang, wo Geheimdokumente aus dem Bereich der Wirtschaft veröffentlicht wurden, und die früheren Wikileaks-Mitstreiter wollen jetzt eine Alternativplattform, aber nach ähnlichem Modell aufbauen. Also man hat gerade den Eindruck, das Modell breitet sich aus.

Fröhder: Diesen Eindruck kann ich nur bestätigen. Ich habe vor zwei Tagen mit einem Kollegen aus Saudi-Arabien gesprochen, dort ist es wohl offensichtlich nach wie vor so, dass die offiziellen Medien überhaupt nicht berichten, und die sind im Moment verzweifelt am Nachdenken, wie sie per Blog diese Informationen im Land publizieren können. So ein Blog hat dann nicht nur Wiedergabecharakter, sondern er wird natürlich auch Informanten anziehen, wenn man das richtig macht. Man muss halt sehen, auf welchem Server man das ablegt, wie sicher man das gestalten kann, denn der Informantenschutz ist ja immer noch beim investigativen Journalismus das Allerwichtigste.

Meyer: Sie haben vorhin schon mal gesagt, dass andere meinen, diese Wikileaks-Dokumente, das ist die Wiedergeburt des investigativen Journalismus. Wenn wir jetzt auf die gesamte Entwicklung schauen, würden Sie dann in der Tat sagen, das ist jetzt nicht die große Konkurrenz für eine Arbeit, wie Sie sie leisten, sondern eben ein neuer Schub für die Art Journalismus, für den Sie auch stehen?

Fröhder: Es stärkt den Journalismus, den investigativen, würde ich sagen. Es ist eine völlig andere Form, das ist gar keine Frage, es sind sehr viele Banalitäten, auch in dem, was in den fünf Medien, die da ausgesucht wurden, publiziert wurde, dabei. Mich interessiert nicht die Einschätzung zum Beispiel des deutschen Außenministers oder eine Art Personogramm der Kanzlerin. Da habe ich hier in der Bundesrepublik in den offiziellen Medien viel schärfere Sachen schon gelesen. Dass Diplomaten da auch, sagen wir mal, Menschen sind und mal zwischendurch Klartext reden, das war nicht unerwartet, es war im Grunde doch völlig normal. Also das wird auch in einer Form überbewertet, wie mir scheint. Wichtiger sind für mich die Sachen, wo wirklich politische Konsequenzen im Grunde zu erwarten sind. Wenn jetzt zum Beispiel in Saudi-Arabien die breite Bevölkerung erfährt, dass ihr König ganz klar gesagt hat, ein Waffengang gegen Iran, bevor die ihre Atombombe wirklich zustande bekommen, ist der bessere Weg, als später sozusagen einem atomar, nuklear bewaffneten Gegner gegenüberzustehen – das ist natürlich eine völlig neue Situation in der nahöstlichen Politik, und das halte ich für hochspannend, wie weit das gelingt, das wirklich auch der saudi-arabischen Bevölkerung zu vermitteln, trotz aller Versuche der Regierung, das Tischtuch darüber zu halten.

Meyer: Die Wikileaks-Veröffentlichungen stärken den investigativen Journalismus, das sagt Christoph Maria Fröhder, Krisenreporter für das ARD-Fernsehen. Danke Ihnen sehr für das Gespräch, Herr Fröhder!

Fröhder: Gerne geschehen!

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