Fernbus zur Ostsee

Unterwegs mit dem Klassenreise-Gefühl

Ein Fernbus fährt am 06.11.2014 an einer Bushaltestelle vor dem Hauptbahnhof in Dresden (Sachsen) vorbei.
Fernbusse wurden in den vergangenen Jahren immer beliebter. © picture alliance / dpa / Arno Burgi
Von Maximilian Klein · 01.09.2015
Die Deutschen haben Busse als Reisemittel auch auf längeren Strecken für sich wiederentdeckt. Aber wie bequem ist das eigentlich? Reporter Maximilian Klein hat sich auf einen Trip an die Ostsee gemacht und ist auf zufriedene Reisende und etwas längst Vergessenes gestoßen.
Ein Bahnhof in einer Großstadt.
Lichttafeln verkünden die Reiseziele. Budapest, Zürich, Paris.
Die Wartehalle ist trist. Sitzschalen aus Metall. Orange. Der Geschmack der 70er-Jahre liegt in der Luft. Es könnte auch der Besucherraum einer Haftanstalt sein. Aus einem umgebauten Container werden Fritten und Burger verkauft.
ICC, Messegelände, Berlin. Nebelverhangen ist das "Raumschiff". Die erste Plattform des Funkturms ist ebenfalls verschlungen vom weißen Wasserdampf. Ein Ort des Ankommens oder Ausruhens? Autobahn Auffahrt West. Die Ästhetik: Raststätten-WC. Hier fahren sie ab. Die Busse. Das ungeliebte, unbekannte, ungenutzte Reiseverkehrsmittel. Hauptbahnhof: das klingt nach weiter Welt, nach Bedeutung. Zentraler Omnibusbahnhof oder kurz ZOB, hört sich genauso geschmeidig an wie "Amtsenthebungsverfahren".
Reisen, losfahren, die Welt entdecken. Reisen zu dürfen hat etwas mit Luxus zu tun. Hier am ZOB herrscht das Gefühl von Abfertigung, Kaffeefahrt, Klassenreise. Busreisen und die Deutschen. Eine wiederentdeckte Beziehung.
Tafeln mit Abfahrtszeiten werden studiert. Mit Blumen im Arm warten andere auf die Ankunft ihrer Liebsten. Der Ticketschalter könnte auch in der osteuropäischen Pampa stehen. Hektisch wird geklärt ob der Bus nach Zürich schon voll ist. Daneben: In sich gesackte Reisende. Mit Schlaf wird die Zeit zur Abfahrt überbrückt. Es liegt ein bekanntes Gefühl in der Luft. Das Gefühl heißt: Es geht los.
Von Berlin nach Usedom / Ahlbeck in vier Stunden. An Dock 26 finde ich meinen Bus. Grün. Neonfarben. Nicht zu übersehen. Davor ein Mann mit Schnauzbart und Smartphone, das er immer über die Smartphones der Kunden hält, um ihre elektronischen Tickets zu scannen. Alle wichtigen Informationen bekommt er über dieses Telefon.
Busfahrer Andreas: "Da stehen auch die ganzen kompletten Namen von den Damen und Herren die einsteigen."
Andreas ist Busfahrer - und Dienstleister
Er ist nicht nur Busfahrer. Er ist Dienstleister.
"Koffer packen, Bus sauber machen, einchecken. Das sehen sie ja gleich."
Die Krawatte des Busfahrers hat die gleiche Farbe wie der Bus. RAL 6018, Neongrün. Er nimmt jedem Gast das Gepäck ab, verstaut es im Bauch des Busses.
Leute fragen, einchecken, Reiseantritt, Koffer werden verstaut ...
Hier ist alles neu. Die Strecke, der Bus, sogar der Fahrer.
"Diesen mach ich noch nicht so lang. Linie fahre ich erst seit zwei, drei, vier Monaten. / Und vorher? / Hab ich Linienbus gefahren."
Das Mikro stört gerade. Er muss sich etwas wichtigerem widmen. Seinen Fahrgästen.
Eine Familie steht in der Schlange und wartet darauf, sich ihre drei Koffer abnehmen zu lassen. Die Tochter knetet ihren Kuschelhasen. Der Vater raucht.
Autor / Fernreisende:
"Fahren Sie zum ersten Mal mit dem Bus? / Nee. / Ja also mit diesem Flixbus, ja. / Und womit sind sie vorher gefahren? / Mit dem normalen Zug. / Warum jetzt mal Bus? / Weils günstiger ist.
Irgendwie mal schlechte Erfahrung gemacht mit der Bahn? / Nö, einfach zu teuer. / Ja, und zu voll. Inna Saison ist zu voll.
Wie viel weniger zahlt man denn jetzt hier so? / Sind, also knapp 24 Euro. / Urlaub da oben? / Ja wir machen ein paar Tage Urlaub. Bis Sonntag."
Das Gepäck ist verstaut, die Fahrgäste gezählt. Welche Route uns denn heute erwartet will ich noch schnell wissen.
Busfahrer Andreas: "Zwischenstationen gibbed Anklam, Usedom, Badsin, Heringsdorf und Ahlbeck. Also fünf Stück."
Das Klassenreise-Gefühl
Der Mittelgang des Busses ist mit Eiche-Imitat ausgelegt. Es ist sauber. Geräumig. Die Plätze sind alle belegt.
"Die gerade eingestiegen sind, wünsche ich erstmal einen guten Morgen. Danke, dass Sie sich für MeinFernbus / Flixbus entschieden haben. Mein Name ist Andreas. Wenn sie Fragen haben, kommen sie ruhig nach vorne."
MeinFernbus ist ein Startup aus Berlin. Hier spricht man sich mit dem Vornamen an. Andreas also.
"Zu ihrer Sicherheit schnallen sie sich bitte die komplette Fahrt an. Das Handgepäck bitte oben im Fach oder in Fußraum. Nicht auf die Sitze. Dieser Bus ist ein Nichtraucherbus. Bitte auch nicht auf Toilette rauchen. Wenn der Rauchmelder angeht, haben wir ein großes Problem. Dann können wir nämlich nicht weiter fahren. Wenn hier jemand erwischt wird, müsste ich ihn normalerweise raussetzen."
Es ist still im Bus. Konzentriert hören alle Andreas zu. Vielleicht sind aber auch alle noch müde. Es ist 8:30.
"W-Lan können Sie sich kostenlos einloggen. Steckdosen sind unter alle Sitze. Außer hier vorne, da sind die untern Fenster. Toilette ist Ausgang hinten links. Wenn sie die Tür aufmachen geht das Licht innen an. Bitte nach jedem Toilettengang den Toilettendeckel wieder runter. Die Herren setzen sich bitte hin. Getränke und Snacks können sie hier vorne kriegen. Getränke kosten 1,50 Euro. Da haben wir Kola, Wasser, Bier. Piccolos kosten 2,50 Euro. Snacks 1 Euro. Ich bedanke mich und wünsche eine gute Fahrt."
Das ist kurz wieder: Das Gefühl Klassenreise. Gleich schmeißt einer was durch den Bus, die Lehrerin brüllt, der Fahrer bremst scharf.
Sanft schiebt sich das Gefährt auf die Straße. Dieser Dampfer der Straße umhüllt einen in seine kraftvolle Ruhe, als wir auf die Autobahn gleiten. Ich muss gegen das einschlafen ankämpfen.
Helga Schurtz: "Also ich das finde ich einfach toll. Sie sehen ja wer da mitfährt und ich mach das immer wieder. So lange ich noch fahren kann. Und das ist bequem und mit dem Zug habe ich nicht nicht ..."
Zuvorkommende Behandlung
Eine Frau mit weißen Haaren sitzt im Gang neben mir. Ihr Kopf reicht nicht bis zur Kopfstütze. Sie wirkt entspannt verloren und hat ihr Handgepäck auf zwei Sitze verteilt.
"Schurtz. Helga Schurtz. RTZ, ja! / (Autor) Ein wunderbarer Name"
Frau Schurtz ist zur Busliebhaberin mutiert. Früher war sie anders unterwegs. Mit der Bahn.
"Also 1. Klasse habe ich was anderes erwartet. War schmutzig und nein, also ... da setzen sich ja auch andere rein. Das hat mich alles gestört. Ich hab ja auch beobachtet."
Über Helga Schurtz kann man sagen, dass sie in einem gehobenen Alter ist. Sie mag diese zuvorkommende Behandlung, die sie wahrscheinlich als "Alte Schule" bezeichnen würde.
"Also ich fahre jetzt das zweite Mal. Hin und zurück. Und das ist wunderbar. Ich gehe zum Bahnhof und dann wird mir der Koffer abgenommen und alles. Das finde ich ganz toll.
Wie gesagt meine Tochter wusste Bescheid und die hatte mir das erzählt und von anderen habe ich das auch erfahren. Mit dem Bus zu fahren. Und die haben bestimmte Zeiten. Von Anklam fährt der Bus immer 16:05 und um 19:00 bin ich ungefähr hier. Und wenn ich nach Anklam wieder will dann um 09:30 so wie jetzt wie heute. Und ich werde gebracht, werde abgeholt. Wunderbar."
Zwei junge Frauen wollen ihre Plätze mit mir tauschen. Ich habe einen Doppelplatz für mich alleine und sie wollen zusammen sitzen. Kichernd fangen sie an, einen Film auf einem überdimensionierten Laptop zu schauen. Ich setze mich neben Sarah. Festivalbändchen am Arm. Müder Blick. Sie hat es sich gemütlich gemacht. Auch sie starrt auf einen Bildschirm.
Sarah: "Ich bin seit April unterwegs und ich hab einmal erlebt, dass ich eine halbe Stunde zu spät kam. Es kann natürlich auf jeden Fall immer passieren zumal jetzt hier auf der Fahrt auf die Insel oder so passiert dir das mit dem Auto auf jeden Fall auch. Aber ich habe auch schon erlebt, dass ich mit der Bahn drei Stunden Verspätung hatte ..."
Der Bus wird zur Bühne
Seit April auf der Straße. Ein Leben im Bus. Von Festival zu Festival zu Festival. Nicht nur. Unterwegs für einen Traum. Der Traum von der großen Bühne.
Autor / Sarah: "Für was bewirbst du dich? / Für Schauspiel. / Schauspielschulenrunde ...? / Auf jeden Fall. / Ernst Busch? / Ja da war ich in der Endrunde bin aber nicht genommen worden. / Erste Mal, zweite Mal? / Das zweite Mal war ich in der Endrunde. Also Busch ist jetzt erstmal raus. Aber ja ich bin frohen Mutes. Ich hab dieses Jahr ziemlich viele Endrunden gepackt und jetzt entscheidet sich im September noch ab ich nach Linz oder nach Berlin gehe. / Wo haste dich in Berlin beworben? / UdK.
Mit welchen Monologen bist Du reingegangen? / Wird das jetzt alles aufgenommen? / Ja ... / Ja mit, boah, ich hab sie mehrmals geändert aber May aus Full for Love von Sam Sheppard. Merandolina von Goldoni. Tschechow. Hatte ich Sonja und ... Was habe ich noch alles gehabt ... Das ist mittlerweile eine Menge. Aber ja. Ich fand eigentlich Tschechow am schönsten muss ich ehrlich sagen. Ich mag seine Stücke."
Während der Bus auf der Straße schaukelt, Helga Schurtz eingeschlafen ist und hinter uns eine Mutter mit rotgefärbter Haarsträhne und Piercing in der Nase mit ihrem Sohn Mau Mau spielt, wird das Gefährt zu Bühne.
Autor / Sarah: "Zitier mal daraus … / Ernsthaft, ja? / Ja (lacht) ... / Nein, ich kann ja jetzt nicht den Bus zusammen brüllen. ... Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann? Wer hat Angst vor mir? In der untersten Schublade meines Schreibtisches befindet sich der Lageplan. Darauf der der Lehrerzimmer, die Klassenzimmer und das Sekretariat. Mein erster Schuss wird im Sekretariat fallen. Mein zweiter im Lehrerzimmer. Die Gedanken sind frei wer kann sie erraten. Sie fliegen vorbei wie nächtliche Schatten ..."
Mittlerweile sind wir dem Ziel nahe. Sechs Minuten Verspätung, Bansin. Es gab eine Umleitung. Andreas versorgt die Aussteiger mit ihren Koffern und verstaut weiteres Gepäck von neu Zugestiegenen.
Busfahrer Andreas: "Normalerweise machen wir das ja nicht, ne. Und die meisten Busfahrer machen das nicht. Ich mach das, weil, die steigen ja alle Stationen aus und da weiß ich wo watt liecht. Watt als erstes raus muss, muss raus. Wenn die das alles selber machen, schmeißen sie alles aufeinander. Und der untere brauch natürlich als erster. Und der obere der letzte. Deswegen mach ich das."
Die neuen Fahrgäste haben Fahrräder dabei. Auch die kommen mit dem Bus mit. Am Heck ist ein Fahrradständer montiert. Wieder ein Job für Andreas.
"Normalerweise müssen die auch immer ein Schloss mitbringen. Wenn wir Pause machen oder so. Damit wir die hier abschließen können. Damit sie die unterwegs nicht klauen. Wenn wir 45 Minuten Pause machen."
Urlaub und Arbeit in einem
Jeden Tag Koffer, Fahrräder, Umleitungen, Scannen, freundlich sein. Das Leben auf der Straße ist rau und die Zeiten auf dem Bock sind lang.
Busfahrer Andreas / Autor: "Ne, sind mehr. Wir dürfen ja allein neun Stunden pro Tag fahren und zwei Mal in der Woche zehn Stunden fahren. / Gibt es einen bestimmten Typ von Busreisenden? / Das kann ich nicht beurteilen, für mich sind die alle gleich. Ich kann auch den Unterschied nicht sehen ob das arme oder reiche sind. / Louis Vuitton Koffer? / Ja, also darauf achte ich nicht. Hab ich auch keine Ahnung von. Ich pack se rein und dann iss für erledigt, ne."
Aber eines fällt Andreas dem Busfahrer schon auf bei seinen Gästen.
"Die nehmen datt allet positiv auf. Wunderbar, ja. Jeder Menge neue Bus ähh neue Leute kommen hier rein. Das sind nicht immer dieselben. Das sind immer neue. Jeden Tag neue."
Urlaub und Arbeit in einem. So sieht das Andreas. Er liebt seine Strecke und seinen Bus.
"Ja, die am liebsten. Weil, ja. Weil die Leute ganz anders drauf sind. Die sind Urlaub. Die fahren im Urlaub. Die denken anders. Wenn ich jetzt zum Beispiel mal später bin. Die nehmen datt nich so ernst. Weil die andere Strecke, wo wir fahren, da sind schon paar Leute bei, die nicht ganz so gut drauf sind. Und dann immer rum meckern. ... Können sie mal eben festhalten …"
Ahlbeck. Helga ist in Anklam schon ausgestiegen und von ihrem Sohn abgeholt worden. Sarah ist eine Station vor mir angekommen und erholt sich von ihren hochkulturellen Strapazen. Jetzt muss es dann doch für alle etwas schneller gehen. Der Urlaub fängt ja jetzt an.
Ruhig, entspannt verlasse ich den Straßendampfer. Die Sonne scheint. Mit meinem 1,50-Euro-Busbier in der Hand schlendere ich zum Strand.
Mit hochgekrempelter Hose und Getränk in der Hand stehe ich im Wasser und schaue zum Horizont. Ich werde wieder einsteigen in den Bus.
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