Reportage

Die Gurke bleibt drüben

Ein Transporter wird von Grenzbeamten an der EU-Aussengrenze kontrolliert
Ein Transporter wird von Grenzbeamten an der EU-Aussengrenze kontrolliert. © dpa picture alliance
Von Katrin Lechler · 30.06.2014
Vor einem Jahr ist Kroatien wohl für absehbare Zeit als einziges neues Land Südosteuropas in die EU aufgenommen worden. Kroatien und seinen einst engen Nachbarn Bosnien-Herzegowina trennt nun die strenge EU-Aussengrenze.
Ein großes Wellblechdach wölbt sich vor der Brücke, die über den Fluss Sava Richtung Kroatien führt. Die Grenzanlage wirkt wie ein Trichter, der Autos und LKWs ansaugt. Immer neue Fahrzeuge reihen sich in die langen Schlangen ein, Abgase hängen in der Luft.
Das bosnische Gradiska ist seit einem Jahr Grenzstadt - seit der Nachbar Kroatien der EU beigetreten ist. In einer Bar sitzt eine Gruppe Gymnasiasten und beobachtet den nicht enden wollenden Strom der Fahrzeuge.
Jugendliche sprechen bosnisch:
"Die leben dort dreimal besser als wir. Die können gehen, wohin sie wollen. Ich denke, dass das Leben dort leichter ist."
"Hier auf unserer Seite der Grenze stehen am Wochenende 300 LKW und 150 Autos. Die Leute streiten und prügeln sich, so groß ist die Anspannung. Sie warten drei Stunden, da müssen sie sich halt prügeln."
Keiner der jungen Männer war bisher in der EU, obwohl sie nur einen Steinwurf entfernt liegt. Der Fluss Sava, der vor dem Krieg nur die beiden Teilrepubliken Bosnien und Kroatien innerhalb Jugoslawiens trennte, ist heute eine scharf bewachte Grenze.
Autofahrer müssen an die Seite fahren und den Kofferraum öffnen. Zigaretten und Alkohol gehören wie an den meisten Grenzen dieser Welt zu den begehrtesten Schmuggelwaren.
"Die Zigaretten sind vielleicht 30 Prozent billiger in Bosnien", sagt ein Mann aus Kroatien und verstaut die vollen Einkaufstaschen in seinem Auto. Er kommt gerade vom nahegelegenen Markt, der ein Sortiment wie ein Supermarkt hat: Kleidung, Taschen, Schuhe, Haushaltswaren, Autozubehör und Lebensmittel.
Die hellblaue Folie über den Marktständen taucht die engen Gänge in bläuliches Licht. Hier steht Zoran Tesic und verkauft seine Textilien. Als Händler profitiert er von dem EU-Beitritt Kroatiens:
"Wir sind etwas günstiger mit den Preisen als in Kroatien, jetzt kommen viele Leute zum Einkaufen zu uns. Das Essen und die Zigaretten sind günstiger."
Die neue Unterscheidung zwischen "EU" und "Nicht-EU"
Doch das ist auch das einzig Positive, das ihm der EU-Beitritt des Nachbarlandes gebracht hat:
"Milchprodukte und Fleisch sind teurer geworden bei uns, sie sind sogar teurer als in der EU, vielleicht so 20 bis 30 Prozent."
Und das nicht erst seit den Überschwemmungen im Mai. Bosnien darf seit einem Jahr keine Milch- und Fleischprodukte mehr nach Kroatien exportieren. Bisher können die bosnischen Produzenten die strengen EU-Auflagen nicht erfüllen. Die Pleite einiger Unternehmen und die Suche nach neuen Märkten schlägt sich auf die Preise nieder.
Der parteilose Bürgermeister von Gradiska, Zoran Latinovic, arbeitet in einem zweistöckigen Verwaltungsgebäude nur wenige Hundert Meter vom Grenzübergang entfernt. Er ist besorgt über die Entwicklung:
"Leider wachsen die sozialen Spannungen, es gibt nicht genug wirtschaftliche Aktivitäten. Vor allem junge Leute gehen aus der Region weg."
Der 54-jährige Latinovic ist erst seit einem Jahr im Amt und versucht, ausländische Investoren in die Stadt zu holen – italienische und deutsche Firmen sollen sich bald in der Industriezone von Gradiska ansiedeln. Die Hoffnungen, dass das benachbarte Kroatien aus Kostengründen einige Werke in die bosnische Grenzregion verlagert, haben sich nicht erfüllt:
"Weniger Personalkosten, niedrigere Steuern und Energiekosten... Wir haben erwartet, dass kroatische Firmen im großen Agrarsektor von Bosnien investieren, aber sie sind in die kroatisch dominierte Herzegowina gegangen, wo wir eigentlich nur eine symbolische Milch-Fleisch und Gemüseproduktion haben. Das zeigt, dass die Politik immer noch vor Markt, Kapital und Profit steht, dass die Freizügigkeit von Kapital, Waren und Menschen hier nicht funktioniert, dass diese Region spezifisch ist."
In Gradiska leben mehrheitlich serbische Bosnier, in der Herzegowina dagegen kroatische Bosnier. Und der Kroate geht eben lieber zum Kroaten.
Am Grenzübergang dagegen zählt nur: EU- oder Nicht-EU-Bürger. Die Bosnier dürfen derzeit nur Fisch, Honig und Tierhäute exportieren. Diese werden in der neu eingerichteten EU-Lebensmittelkontrollstelle aufwändig geprüft – ein flacher, rot gestrichener Quader, daneben ein größeres Kühllager. Gegen Mittag ist ein Kleintransporter mit frischem Fisch eingetroffen. Goran Vucenovic, leitender Veterinär, nimmt die Zollpapiere des Fahrers entgegen und setzt sich an den Computer.
"Das ist das Programm Traces, mit dem an allen Kontrollpunkten in der EU gearbeitet wird. Wenn wir es öffnen, liegen schon alle Daten über die Warensendung vor: Zertifikat, Händler, welches Transportmittel, um welche Ware es geht."
Dann zieht Goran Vucenovic einen weißen Kittel und eine Haube über, schlüpft in Überschuhe, wäscht sich die Hände und tritt durch die Hygieneschranke in das Labor mit angeschlossenem Kühllager.
Der Kleintransporter fährt rückwärts in die Kühlhalle ein. Goran Vucenovic öffnet die hinteren Türen und nimmt vorsichtig zwei Fische aus den gestapelten Kisten. Dann misst er die Temperatur im Transporter.
Der Lebensmittelveterinär ist zufrieden. Eine halbe Stunde hat die gesamte Prüfung gedauert. Der bosnische Fahrer muss 67 Euro zahlen und kann weiterfahren. Viel Aufwand angesichts dessen, dass Kroatien, Bosnien und Herzegowina vor nicht allzu langer Zeit noch zusammengehörten und Jugoslawien hießen.
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