Rennrodeln

Die entscheidenden 14 Tausendstelsekunden

Der Rennrodler Georg Hackl
Georg Hackl in Siegerpose © dpa/picture alliance/Michael Reichel
Von Thomas Jaedicke · 10.02.2014
Georg Hackl ist eine Legende des Wintersports: Fünf olympische Medaillen, zahlreiche Weltcupsiege und Deutsche Meisterschaften zählen zu seinen Erfolgen. Der Rennrodler hat seine aktive Karriere mittlerweile beendet. Vor 25 Jahren holte er den ersten Weltmeistertitel.
Oben am Startturm auf der Bahn in Winterberg konzentriert sich Georg Hackl ein letztes Mal vor dem entscheidenden zweiten Lauf zur Rodelweltmeisterschaft. Es ist ein komisches Bild: Gezwängt in den hautengen Rennanzug trippelt der 80 Kilogramm schwere Athlet auf mit Eisennägeln bewehrten Sohlen vorsichtig übers Eis zum Start. Wie ein stämmiger Balletttänzer mit Helm sieht er aus.
Diese Weltmeisterschaft im Wendejahr 1989 ist nicht nur für den jungen Berchtesgadener etwas ganz Besonderes. Hackls härtester Gegner an diesem 10. Februar ist Jens Müller aus der DDR. Der Ostdeutsche ist im ersten Lauf stark gefahren. Aber Hackl ist schneller.
"Jens Müller hat jetzt oben im Startturm Platz genommen. Der Streckensprecher kündigt ihn mit gebührender Lautstärke an."
Wolfgang Hempel kommentiert den Wettkampf für den DDR-Rundfunk:
"Der 23-jährige Olympiasieger vom ASK Vorwärts Oberhof in der letzten Konzentrationsphase. Und jetzt weg von den Starthebeln. Und nun hinein in die 1325 Meter lange Kunsteisschlange; hinein in die 14 Kurven und vor allen Dingen hinunter. 110 Meter Höhenunterschied liegen vor ihm."
14 Tausendstelsekunden machen den Unterschied
Müller legt auch einen guten zweiten Lauf hin; aber es reicht nicht. Georg Hackl macht auch im zweiten Durchgang weniger Fehler und ist einfach nicht zu bezwingen.
14 Tausendstelsekunden schneller ist Hackl in der Endabrechnung. Bloß ein Wimpernschlag trennt den neuen Weltmeister vom zweitplatzierten Jens Müller.
"Schorsch, ganz kurz, hattest Du damit gerechnet?"
"I hob g´wusst, wenn´s guat geht, dass i a guate Chance hob. Und im erschten Lauf hot´s jetz - trotz dem Fehler, wos I g´macht hob -, hob ich trotzdem noch die schnellste Zeit g´hobt. Jetz´hob i g´wusst, jetz muss i nur noch sicher obi fohrn und dann muss hinhaun."
Jeder Fahrfehler in der gefährlichen Eisröhre kann entscheidend sein. Georg Hackl ist ein Naturtalent. Er wuchs ganz in der Nähe der Bahn am Königsee bei Berchtesgaden auf. Dort wird man fast schon zwangsläufig mit Skiern und Schlitten groß.
"Mich hat der Rodelsport als kleines Kind schon fasziniert, bevor ich's überhaupt selbst zum ersten Mal probiert hab. Irgendwann hab ich mich auf den Schlitten gesetzt und bin runtergefahren. Das war eigentlich Liebe auf den ersten Blick. Ich wusste sofort, das ist meine Sportart."
Mit elf Jahren kam Georg Hackl über den Schulsport zum Wettkampfrodeln. Als 14-Jähriger war er schon zum ersten Mal Deutscher Meister. Wie besessen ordnet Hackl alles dem Erfolg unter. Später entwickelt sich der gelernte Bau- und Kunstschlosser zum misstrauischen Perfektionisten. Zuhause in der Garage baut er seine Schlitten selbst; tüftelt und bastelt nächtelang, um noch ein paar Tausendstel Sekunden aus dem Material herauszukitzeln. Mit einem schwarzen Sack, den er mit einem Vorhängeschloss sichert, schützt er seine schnellen Rodel aus Fiberglas und Stahl vor neugierigen Blicken der Konkurrenz.
"Also, das Reizvollste am Rennrodeln ist die hohe Geschwindigkeit, mit der man durch diesen relativ engen Eiskanal fegt. Und dann das Gefühl in den Steilkurven, richtig an der senkrechten Wand zu kleben und die Fliehkräfte zu spüren."
"Mit drei Pinguinschlägen nur mit diesen spikesbewährten Handschuhen hat er das Rennen aufgenommen und hat eine ruhige Fahrlage hoffentlich gefunden. 6“77, identische Startzeit! Was schon einmal ein gutes Zeichen für Schorsch Hackl ist."
Späte Karriere im Wok
Während seiner langen Karriere sammelte Hackl eine Menge Medaillen; allein drei Mal Gold und zwei Mal Silber bei Olympischen Spielen. Dazu kamen noch zahlreiche Weltcupsiege und Deutsche Meisterschaften.
"Schwierig zu nehmen die Kurve 13 und 14, und die kommen jetzt. Und die sind ihm auch nicht so ganz gelegen. Aber da hat er eine gute Fahrlinie. Er presst sich förmlich auf den Schlitten. Jawoll, Schorsch! Dieses Eis ist kein feindliches Element! Dieses Eis ist dein Freund, Schorsch!!"
Erst als 40-Jähriger trat Hackl als einer der erfolgreichsten Wintersportler der Welt von der großen Wettkampfbühne ab. Nach seinem Rücktritt blieb er dem deutschen Bob- und Schlittenverband als Techniktrainer erhalten.
Aber ganz ohne Wettkämpfe, ohne rutschbaren Untersatz hält es Georg Hackl noch immer nicht aus. Regelmäßig nimmt er an Stefan Raabs Wok-WM teil. Und auch bei dieser ziemlich beliebten Fernsehgaudi, wo die Teilnehmer auf asiatischen Koch-Pfannen durch die kurvige Eisrinne rauschen, zählt der ehrgeizige Sportler bis heute jedes Mal zum Kreis der Topfavoriten.