Religionslehrer Bernd Ridwan Bauknecht

"Der Unterricht ist ein Stück Normalität geworden"

Der Religionslehrer Ridwan Bauknecht schreibt am Montag (27.08.2012) in Bonn an der Robert-Koch-Schule während des islamischen Religionsunterrichts an die Tafel.
In Deutschland steckt der Islamunterricht an den Schulen noch in der Experimentierphase © dpa / Oliver Berg
Bernd Ridwan Bauknecht im Gespräch mit Anne Françoise Weber · 11.09.2016
Wachsendes Interesse an islamischem Religionsunterricht: Der Religionslehrer Bernd Ridwan Bauknecht berichtet im Gespräch mit Anne Françoise Weber, wie er mit der Vielfalt unter den muslimischen Schülerinnen und Schülern umgeht. Der Unterricht werde inzwischen akzeptiert.
Anne Françoise Weber: Die Hälfte aller Bundesländer bietet in diesem Schuljahr bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht an. Daneben gibt es noch verschiedene andere Modelle, wie ein islamkundlicher Unterricht in Schleswig-Holstein oder in Berlin ein von der Islamischen Föderation getragener Islamunterricht. Nur die fünf nicht mehr ganz so neuen Bundesländer im Osten der Republik bieten gar keinen Religionsunterricht für Muslime an – mit dem Zuzug von Flüchtlingen könnte sich das langfristig auch hier ändern. Wir wollen nun mit einem, der schon seit mehr als zehn Jahren islamischen Religionsunterricht erteilt, ein bisschen mehr über die Praxis erfahren. Bernd Ridwan Bauknecht hat Islam- und Empirische Kulturwissenschaften studiert und ist seit 2004 Lehrer für "Islamkunde", wie es anfangs hieß, heute für Islamischen Religionsunterricht in Bonn. Er war Mitglied der 2. Deutschen Islam-Konferenz, forscht zu Koran-Didaktik und macht Fortbildungen und Seminare für Lehrerinnen und Lehrer.
Ich habe vor der Sendung mit ihm gesprochen und ihn zunächst gefragt, wie er mit der Vielfalt unter den muslimischen Schülerinnen und Schülern umgeht – da gibt es doch Sunniten und Schiiten, vielleicht auch Alewiten, außerdem verschiedene Herkunftsländer und sicherlich Familien mit unterschiedlich starker religiöser Prägung. Ist eine Offenheit für diese Vielfalt denn schon da oder muss sie im Unterricht erst hergestellt werden?

Eine große Offenheit

Bernd Ridwan Bauknecht: Nein, wir sehen eine ganz große Offenheit, und ich sehe das auch, und meine Kolleginnen und Kollegen auch sehen das als große Bereicherung, weil in der Schule Religionsunterricht arbeitet ja auf einer reflexiven Ebene. Wir reflektieren ja den Glauben, und im Islam ist es ja auch so, dass wir eine ambige Kultur kennen in der islamischen Tradition der Vielfalt, wo man auch Vielfalt akzeptiert und anerkennt, teilweise auch gegensätzliche Positionen stehen lässt.
Leider jetzt ist das ein bisschen zurückgedrängt worden, und das finden wir auch im Unterricht wieder. Da gibt es eben diese Positionen, von, so wie der Islam gelebt wird – im Libanon wird er anders gelebt als in Syrien, anders gelebt als in der Türkei, anders als in Zentralafrika. Und das spiegelt sich im Klassenraum wieder, und das wird von allen als Bereicherung gesehen.
Weber: Sie sagen aber selbst, es ist so ein bisschen zurückgedrängt. Ich meine, diese These der Ambiguität im Islam, das ist Thomas Bauer, das ist ein Islamwissenschaftler in Deutschland, aber wie viel weiß ein Kind aus einer strenggläubigen Familie, sagen wir zweite Generation Einwanderer aus der Türkei oder sonst wo, wie viel kann das Kind damit anfangen, dass ihm da gesagt wird, selbst, wenn deine Eltern dir sagen, der Islam ist so und nicht anders, musst du hier akzeptieren, der Islam hat eine wahnsinnige Vielfalt? Das ist doch ganz schön viel verlangt von den Kindern.
Bauknecht: Das ist Lebensrealität in der heutigen Zeit, und es war auch Lebensrealität vor vielen, vielen Jahren, auch schon vor Hunderten von Jahren. Sie sprechen jetzt speziell auch zum Beispiel eine Schülerin oder einen Schüler an mit türkeistämmigem Hintergrund. Ich habe nicht den Eindruck, auch wenn sie aus einem sogenannten konservativen, in Anführungsstrichen, strenggläubigem Elternhaus kommen, trotzdem ist da eine Offenheit zu spüren und eine Offenheit für Andersdenkende da. Das einzige Problem wäre vielleicht wirklich das, was ich bezeichne als eine "Salafisierung" der Religion, eine Islamisierung, die im 20. Jahrhundert eben wirklich dann auch vehement begonnen hat. Dass es Eltern gibt, die dann wirklich ganz extreme Positionen vertreten. Aber diese Eltern haben wir sehr, sehr selten. In den zwölf Jahren, wo ich unterrichte, kann ich die an einer Hand abzählen. Die gibt es, aber das sind nicht die Eltern, die man häufig antrifft. Wir haben im Unterricht Schiiten neben Aleviten, Sunniten. Und vielleicht gibt es auch da und dort mal jemand, der sich abfällig über eine andere Gemeinschaft äußert. Da muss man eben dann auch wirklich nachschauen – das ist unsere Aufgabe als Lehrer –, macht da jetzt jemand einen auf gut Deutsch "dicke Hose", also macht der jetzt Sprüche, oder steckt da mehr dahinter. Das ist die Aufgabe hier in unserem Unterricht darüber zu reflektieren.
Weber: Sie selbst stammen ja nicht aus einer muslimischen Familie, sondern sind als junger Mensch konvertiert. Ist das manchmal Thema, ist das ein Vorteil vielleicht, oder haben Sie den Eindruck, manche Schüler oder auch Eltern denken, ach, im Grunde weiß der es ja doch nicht so richtig. Das ist ja doch keiner, der das mit der Muttermilch aufgesogen hat?

Ein Stück Normalität

Bauknecht: Das Gegenteil war der Fall. Als ich vor über zehn Jahren angefangen habe, war es so, dass Eltern natürlich interessiert waren, wer ist das überhaupt. Wir haben auch einen Elternabend gemacht dann, wo man das Fach vorgestellt hat, und schnell haben die Eltern auch gemerkt, ja, das ist jemand, der weiß, wovon er spricht. Hat auch selber eine Bekenntnisorientierung vielleicht, auch wenn er vielleicht offen ist und so weiter. Und das fand dann sehr schnell Akzeptanz. Und ich habe aber auch in der Zwischenzeit Kolleginnen und Kollegen, die ebenso akzeptiert werden. Ich unterrichte im Stadtteil Bonn-Bad Godesberg, und dort findet jetzt eben dieser Unterricht schon seit zwölf Jahren, gut zwölf Jahren statt. Im Stadtteil ist dieser Unterricht einfach akzeptiert, und in der Zwischenzeit wird das Fach auch von anderen Lehrkräften unterrichtet. Es ist einfach ein Stück Normalität geworden.
Weber: Sie arbeiten auch an einem Liederbuch für junge Muslime. Singen Sie denn auch mit Ihren Schülerinnen und Schülern im Unterricht manchmal?
Bauknecht: Ja, das ist mir ganz wichtig. Die evangelische Religionspädagogik nennt das teilweise auch performativen Religionsunterricht, dass man also auch rituelle Elemente mit einbringt. Lieder sind jetzt nicht unbedingt rituelle Elemente, aber durch Lieder lockert man natürlich den Unterricht auf.
Weber: Sie forschen zur Koran-Didaktik. Das stelle ich mir ja doch ziemlich schwierig vor, den Koran zu unterrichten, also schwieriger, als biblische Geschichten zu unterrichten, weil die einfach so viel anschaulicher erzählt sind und so viel mehr am Stück nachzulesen sind und so. Im Koran muss man sich das ja doch mehr zusammenklauben. Was ist da Ihr Ansatz?

Eine Symboldidaktik einführen

Bauknecht: Ja, Sie haben völlig recht. Der Koran ist natürlich nicht so ein narrativer Text wie die Bibel. Hat natürlich auch Vorteile. Wir haben dafür eine Art Rezitationspraxis, allein das ist ja schon Teil des Ritus, dass man den Koran rezitiert. Auf der anderen Seite kann man aber durchaus diskursiv mit dem Koran umgehen, also über die Texte streiten. Auch das ist möglich, beides ist möglich. Ein Ansatz für eine Koran-Didaktik ist, dass man einen dialogischen Ansatz hat, dass man also nicht davon ausgeht, dass dieses Buch jetzt normativ alle Lebensbereiche vorschreibt. Das ist auch nicht klassische islamische Theologie. Auch ein klassischer Theologe hat nicht gesagt, ich weiß ganz genau, was im Koran steht, so und so muss man es machen, sondern es ging immer nur darum, dass man sich diesem Buch annähern konnte, wenn man davon ausging, dass der Autor Gott ist. Um das Ganze jetzt noch mal runterzubrechen auf den Reli-Unterricht, heißt das, die Kinder sollen einfach auch mal einen Koran in die Hand nehmen. Sie dürfen natürlich rezitieren auf Arabisch und so weiter, aber es geht auch darum, dass sie eine deutsche Übersetzung in die Hand nehmen, eine Reclam-Übersetzung, dass sie dort im Register Schlagwörter nachschauen und damit einfach arbeiten, zu bestimmten Themen auch bestimmte Koranverse heraussuchen. Und das andere wäre, und das gibt es auch mit der Bibelarbeit, die Psalmen beispielsweise.
Die Religionspädagogen gehen davon aus, dass diese Texte ja etwas auch im Menschen bewirken wollen, dass sie etwas in Schwingung vielleicht setzen. Sie sind ja keine Gebrauchsanweisungen. Und so, denke ich, gibt es auch schöne Beispiele, im Koran. "Licht über Licht, Gott ist das Licht der Himmel und der Erde. Sein Licht gleicht einer Lampe in einer Nische." Das sind also Texte, die es zu interpretieren gilt, wo es auch darum geht, eine Symboldidaktik einzuführen, um sich eben dem Wort Gottes, wenn man so möchte, zu nähern.
Weber: Was sagen Sie denn den Menschen, die genau diesen bekenntnisgebundenen Religionsunterricht, in dem es eben um diese auch Empfindungen geht, um die religiöse Praxis, um die Rituale, die den ersetzen wollen durch ein Pflichtfach Ethik, in dem alle Religionen gleich, aber eben aus einer gewissen Distanz betrachtet werden? Ist das für Sie ein Argument? Manche sagen ja, damit vermeiden wir Radikalisierung, damit bringen wir die Kinder zusammen, die sonst in getrennte Klassenräume gehen und nichts über die Religion des anderen erfahren.
Bauknecht: Der bekenntnisorientierte Religionsunterricht, habe ich für mich entdeckt, ist eigentlich eine Chance. Ich würde den Personen, die sagen, wir brauchen keinen Religionsunterricht mehr, würde ich recht geben, wenn es nur darum ginge, Religion als etwas Normatives den Kindern einzutrichtern. Das ist falsch, und das wird aber auch seit Jahren nicht gemacht. Sondern Religionspädagogik geht vom Menschen aus, von den Fragen, die Kinder und Jugendliche haben. Und in der Zwischenzeit weniger davon, was jetzt die Gemeinde oder die Kirche eben denkt. Und das ist unser Ansatz.
Weber: Aber genau diese Fragen, die Kinder haben, könnte man ja auch im Ethikunterricht besprechen.
Bauknecht: Das ist richtig. Diese Fragen können Sie auch im Ethikunterricht besprechen, aber nur bis zu einem gewissen Grad. Und Sie sprechen dann auch nicht alle Kinder an. Es fehlt eine Innenperspektive, und ich denke, auch eine Innenperspektive aus der Religionsgemeinschaft zu zeigen, auch emotional anzusprechen, haptisch anzusprechen, kann mehr bewirken, als wenn ich über Religion spreche. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass wir irgendwann mal Religion im Klassenzimmer haben, wo dann sowohl evangelische, katholische, muslimische, hinduistische Kinder sitzen. Aber wenn wir dann von Hinduismus sprechen beispielsweise, dass da eben durchaus auch eine Lehrkraft ist, die eine Innenperspektive darstellen kann. Das vermisse ich.
Weber: Ein Grund, warum es noch nicht in allen Bundesländern islamischen Religionsunterricht gibt, ist ja die Frage nach den Ansprechpartnern, wie das immer so heißt. Also die Frage, soll man eben, parallel zum Vorgehen mit den Kirchen, die Lehrinhalte und die Lehrerausbildung mit den muslimischen Verbänden da gestalten, oder macht man ein Beiratsmodell, wie das in Nordrhein-Westfalen ja der Fall ist, wo Verbände und andere Sachverständige zusammenkommen. Was ist da für Sie die richtige Lösung? Haben Sie den Eindruck, die Verbände haben ein zu starkes Gewicht? Das ist ja immer der Vorwurf, dass sie ein starkes Gewicht haben und gleichzeitig nicht für viele Muslime stehen?
Bauknecht: Ich habe da auch keine Patentlösung, und ich stehe auch nicht hinter einem Verband, ich gehöre nicht einem Verband an. Ich bin durchaus auch kritisch gegenüber den Verbänden. Andererseits sehe ich manchmal auch, dass die Kritik an den Verbänden über das Ziel hinaus schießt. Die Zusammenarbeit mit den Verbänden findet jetzt schon seit einigen Jahren, Jahrzehnten statt, und da bewegt sich auch einiges. Also sowohl der Zentralrat der Muslime, VIKZ, als auch die DITIB bewegen sich, sind auch sehr am Dialog interessiert, am christlich-muslimischen Dialog, im Bereich der Radikalisierungsprävention arbeiten sie mit. Da ist also schon seit Jahren ein großer Dialog da. Mich hat es ein bisschen verblüfft, dass nach dem Putschversuch in der Türkei weniger dann sachlich über den Putschversuch gesprochen wurde, sondern dann vorwiegend darüber, ob die DITIB überhaupt der richtige Partner ist. Weil das gibt es ja schon seit Jahren, die Frage, inwieweit jetzt Ankara da Einfluss hätte über die Religionsbehörde, aber – was Neues ist das nicht. Ich denke schon, dass die Verbände, die Personen sich bewegen, und dass sich dann eben in der Auseinandersetzung zwischen Staat und Religionsgemeinschaft auch etwas Gutes entwickelt.
Weber: Am Montag beginnt für die Muslime das Opferfest. Vermutlich können Ihre Schüler da einen freien Tag beantragen, und Sie müssen trotzdem unterrichten, nehme ich mal an. Ärgert Sie das, wenn Sie das sehen, an Weihnachten oder an anderen christlichen Feiertagen macht die ganze Nation Pause, egal ob gläubig oder nicht, und Sie haben an dem wichtigsten muslimischen Feiertag nicht mal einen Tag frei?

Es geht um viel tiefer gehende Dinge

Bauknecht: Das ärgert mich überhaupt nicht. Ich würde zwar auch gern in die Moschee gehen an dem Tag. Aber von Ärger ist keine Rede. Ich habe Kollegen und Kolleginnen, wir haben unsere Arbeitszeiten. Das heißt, mein Platz ist an dem Tag an der Schule. Es geht ja um viel tiefer gehende Dinge im Zusammenleben, als jetzt einen Tag frei zu haben.
Weber: Würden Sie sich aber wünschen, dass die Schule dieses Opferfest irgendwie begeht oder wahrnimmt oder dass da irgendwie eine gemeinsame Feier – also natürlich dann nicht religiös für alle Nicht-Muslime, aber dass es da irgendwie begangen wird doch in der Schule?
Bauknecht: Ja, das finde ich wichtig, dass es thematisiert wird zumindest. Ich bin jetzt an einer weiterführenden Schule, an einer Gesamtschule. Da gibt es so viele Termine und so viele Veranstaltungen, da ist es immer schwierig, Dinge einzubringen. Wobei es schon wünschenswert ist, dass man auch zum Opferfest was macht oder zu den Festen oder zu dem Islam. Als ich noch an den Grundschulen gearbeitet habe, war das auch so, dass wir teilweise gemeinsame Feste gemacht haben. Am Ramadan-Fest, Opferfest kam die ganze Schule zusammen, und die muslimischen Schüler haben was präsentiert.
Weber: Und hätten Sie auch gern explizit interreligiöse Feiern an der Schule, also wo man tatsächlich dann gemeinsam betet oder irgendwas interreligiös gestaltet?
Bauknecht: Ich finde das sehr wichtig. In der Literatur wird das multireligiöse Feiern genannt. Es gibt da von der kirchlichen Seite, vor allem von katholischer Seite – die sind nicht so sehr für interreligiöse Feiern, wo man dann wirklich gemeinsame Handlungen macht, gemeinsam betet, gemeinsam liest, gemeinsam Lieder singt, sondern es wird ausgegangen von multireligiösen Feiern. Diese Feiern sind wichtig, weil sie eben das plurale Leben in der Gesellschaft widerspiegeln und eben auch den Schülerinnen und Schüler dann auch ein Handwerkszeug an die Hand geben, wie damit umzugehen ist. Ich habe mein eigenes Bekenntnis, komme aber mit den anderen klar, kann sogar mit denen zusammen feiern. Unglaublich wichtig.
Weber: Herzlichen Dank, Bernd Ridwan Bauknecht, Islamwissenschaftler und Lehrer für islamischen Religionsunterricht in Bonn.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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