Religionskritik

"Der Islam will alles von oben bestimmen"

Der Politologe Hamed Abdel-Samad
Islamkritiker Hamed Abdel-Samad © dpa / picture-alliance / Inga Kjer
Moderation: Kirsten Dietrich · 19.04.2014
Faschistoi­des Gedankengut sei schon im Ursprung des Islams angelegt. Der Politologe Hamed Abdel-Samad erklärt im Deutschlandradio Kultur, dass der Islam einer scharfen Kritik bedarf.
Kirsten Dietrich: Der deutsch-ägyptische Politologe Hamed Abdel-Samad scheut keinen Konflikt: Seit Längerem schon nimmt er in seiner kritischen Auseinandersetzung mit dem Islam kein Blatt vor den Mund. Er will erklären, warum die islamische Welt nach seinem Verständnis der Entwicklung so hinterherhinkt, warum dort wie nirgendwo sonst die Moderne einen schweren Stand habe. Die Thesen Abdel-Samads sind eine Herausforderung für Muslime. Gegen ihn wurde eine Fatwa erlassen und es kursieren Morddrohungen, die das Bundeskriminalamt so ernst nimmt, dass es Personenschutz angeordnet hat. Das neueste Buch von Hamed Abdel-Samad wird wohl nicht zur Versöhnung beitragen. Unter dem Titel "Der Islamische Faschismus" versucht der Autor eine grundlegende Analyse des Islam. Über diese Analyse habe ich mit Hamed Abdel-Samad gesprochen und ich wollte wissen, warum er so provokant formuliert - eine Einladung zum Dialog ist der Vergleich mit dem Faschismus ja nicht gerade.
Hamed Abdel-Samad: Dialog bedeutet nicht, dass wir uns umarmen und die Probleme unter den Teppich kehren, sondern nach den wahren Wurzeln der Probleme suchen und eine Lösung dafür finden. Und ich wollte ein Buch über den Islamismus schreiben, und ich war unzufrieden mit der üblichen Erklärung vieler Islamwissenschaftler, dass der Islamismus nur eine Reaktion auf den Kolonialismus war und eine Reaktion auf das soziale Elend in der islamischen Welt. Das sind sicherlich Faktoren, die vielleicht das Feuer mehr entfacht haben, aber sie haben das ursprüngliche Feuer nicht zustande gebracht: Das gibt es in der islamischen Geschichte selbst, im Koran, in der islamischen Theologie, und das habe ich versucht, im Buch herauszuarbeiten.
Terrormilizen nach dem Vorbild von SA und SS
Dietrich: Ihre Grundthese ist: Islam und Faschismus sind verwandt, sie speisen sich aus der gleichen Geisteshaltung. Ist das so eine Metapher, um die Dimension dessen, was Sie da sagen, zu verdeutlichen, oder ist das wirklich etwas, was eine faktische Tatsache ist?
Abdel-Samad: Es geht um zwei absolutistische Ideologien, die die Welt in Gut und Böse aufteilen. Das ist der Beginn für mich für den politischen Faschismus. Wenn eine Gruppe von der eigenen Auserwähltheit ausgeht, sich über der Menschheit erhebt und den Rest der Menschheit verachtet, wenn man die Welt in Gläubige und Ungläubige unterteilt, wenn man die Ungläubigen als Schlimme, als die Tiere bezeichnet, dann ist es schon der Beginn vom faschistoiden Gedankengut. Die Ideologie, die Gewalt verherrlicht, die Kultur des Todes, des Martyriums verherrlicht, wenn der Kampf kein Mittel ist, sondern ein Ziel an sich, wenn man lebt, um zu kämpfen, nicht kämpft, um zu leben, das ist beim Islamismus und Faschismus der Fall, und Islamismus hat diese Grundhaltung nicht selber erfunden, sondern speist sich direkt aus den Quellen des Urislams, aus dem Koran und aus den Überlieferungen des Propheten.
Dietrich: Ihre historischen Abhandlungen, die finde ich ganz faszinierend, also wenn Sie über die Entstehung der Muslimbruderschaft zum Beispiel schreiben, eingebettet in die ganzen weltgeschichtlichen Turbulenzen Anfang des 20. Jahrhunderts. War das für Sie auch so etwas wie ein Ausgangspunkt für das Buch?
Abdel-Samad: Ja, die Entstehungsgeschichte der Muslimbruderschaft war der Ausgangspunkt, denn die Muslimbruderschaft wurde in Ägypten im Jahre 1928 gegründet, kurz nach der Gründung der faschistischen Bewegungen in Europa, aus dem gleichen Geiste heraus. Das war fast Zeitgeist oder Weltgeist zwischen den beiden Weltkriegen - Ende der Monarchien: Also Habsburgmonarchie, Zarmonarchie in Russland und das Osmanische Reich sind nach dem Ersten Weltkrieg zusammengebrochen, und anstelle der Monarchie kam die Ideologie, die dieses Identitätsvakuum füllen sollte. In Russland kam der Kommunismus, in Deutschland und Italien der Faschismus, und in der islamischen Welt wurde die Muslimbruderschaft gegründet, mit der gleichen Geisteshaltung, mit der Faszination von Hitler und Mussolini und mit der vom faschistischen Projekt, man wollte auch so was in der islamischen Welt haben, mit der gleichen feindseligen Haltung gegenüber der Demokratie, und mit den Terrormilizen nach dem Vorbild von SA und SS. Es gab viele Gemeinsamkeiten, die noch deutlicher wurden, als der Mufti von Jerusalem nach Berlin kam und für Hitler quasi den Dschihad ausgerufen hatte und Muslime rekruiert hat für die Wehrmacht.
"Ich vergleiche Hitler nicht mit Abraham"
Dietrich: Diese historischen Vergleiche, die finde ich sehr eingängig. Womit ich ein bisschen Schwierigkeiten habe, ist manchmal, wenn Sie eben sozusagen die Grundphänomene, also Islam und Faschismus vergleichen auf der Ebene eigentlich von Ähnlichkeiten, aber von Wortähnlichkeiten. Also zum Beispiel Abrahams Geschichte: Abraham vertraut Gott wie einem Führer. Abraham ist Gott unbedingt gehorsam, so wie Hitler das von seinen Menschen, seinen Untergebenen forderte. Da habe ich manchmal das Gefühl, das sind so ein bisschen Vergleiche, die den historischen Unterschied dann doch vernachlässigen, die so ein bisschen sind, als ob man Äpfel und Birnen vergleichen würde, einfach weil sie beide in ähnlich aussehenden Obstkisten geliefert werden.
Abdel-Samad: Nein, Äpfel und Birnen darf man vergleichen, weil sie Obstsorten sind und weil sie teilweise auch ähnlich schmecken. Man darf Äpfel mit Affen nicht vergleichen, aber Äpfel mit Birnen kann man schon vergleichen. Ich vergleiche Hitler nicht mit Abraham, das sind zwei unterschiedliche Zeiten, Epochen, ich vergleiche auch Hitler nicht mit Mohammed. Aber Abraham und Mohammed sind nicht im 7. Jahrhundert geblieben oder 2000 vor Christus geblieben, sondern sie werden importiert aus der Geschichte und spielen eine entscheidende Rolle für Muslime heute, als Ideengeber, sogar als Gesetzgeber. Diese Haltung des unbedingten Gehorsam ist ein Problem des Islam, was sehr deutlich im Faschismus wird. Und das Beispiel Abraham, was ich im Buch bringe, dass er seinen Sohn opfert, weil das ein Befehl Gottes ist, ohne über den moralischen Gehalt dieser Tat zu denken, ohne über das Recht des Kindes nachzudenken, ... Im Christentum oder im Judentum ist die Haltung zu Abraham anders, denn man versteht diese Tat als eine, ja, die Einleitung des Ende des Menschenopfers.
Dietrich: Aber trotzdem wird Abraham da auch für seinen Gehorsam gelobt.
Abdel-Samad: Ja. Aber im Islam konzentriert man sich auf dieses Loben, dass ... Er hätte es beinahe getan, weil Gott es befohlen hat. Und das ist für mich schon was Faschistoides, dass man Befehle ohne nachzudenken durchführt, ohne über den moralischen Gehalt nachzudenken.
Islam geht von göttlichem Auftrag aus
Dietrich: Sie sagen, eine monotheistische Religion ist eigentlich im Prinzip nicht demokratietauglich, denn sie darf per Gründungsakt sozusagen keinen anderen Gott neben sich dulden, deswegen auch keinen Staat, keine Vielfalt, nichts eigentlich. Trotzdem, auch da: Es gibt monotheistische Religionen wie Christentum und Judentum, die sehr gut mit Demokratie zusammengehen. Ist das also wirklich der richtige Ansatzpunkt, um gerade den Islam hier als demokratieuntauglich herauszustellen?
Abdel-Samad: Wann konnten das Judentum und das Christentum mit Demokratie leben? Nachdem sie politisch entmachtet wurden und aus einer Position der politischen Schwäche heraus neue Positionen in der Gesellschaft gesucht haben, nicht die Demokratie von oben bestimmen. Und diesen Anspruch hat der Islam immer noch. Es gibt auch wesentliche Unterschiede: Judentum und Christentum lebten Jahrhunderte lang als Minderheitsreligionen und haben Pragmatismus entwickelt, und als das Christentum die absolute politische Macht in Europa hatte, gab es Katastrophen ... Das faschistoide Potenzial ist ausgebrochen, nämlich Hexenverbrennung, Inquisition, Religionskriege, eine Kultur der Einschüchterung. All das hat es im Mittelalter gegeben. Und erst, als die Religion politisch entmachtet wurde, konnte die Religion unterhalb der Demokratie sehr gut leben. Der Islam lehnt es aber ab, Teil eines Prozesses zu werden. Der Islam will alles von oben bestimmen, weil er von einem göttlichen Auftrag ausgeht, dass die Gesellschaft islamisiert werden sollte, sogar die ganze Welt islamisiert werden sollte, damit endlich in dieser Welt Frieden herrscht.
Dietrich: Trotzdem gibt es auch hier in Deutschland Muslime und Musliminnen, die sich innerhalb der Gesellschaft für Demokratisches einsetzen.
Abdel-Samad: Ich behaupte mal, das ist die Mehrheit der Muslime, die hier leben, und Gott sei Dank ist es so, dass Islam und Muslime nicht eine Einheit sind. Der Islam hat ja mehrere Seiten, hat eine spirituelle Seite, eine soziale Seite und eine politisch-juristische Seite, und die meisten hier lebenden Muslime neutralisieren diese juristisch-politische Seite und haben nicht den Anspruch, dass das angewendet wird. Diejenigen, die diesen Anspruch haben, das ist der politische Islam, und der ist auch in Deutschland sehr aktiv, nicht nur in Form von Dschihadisten und Salafisten, sondern auch viele Islamverbände, die versuchen, Einfluss auf Islamunterricht in der Schule zu nehmen. Neuerdings verhandeln sie mit dem Staat, um Seelsorgevereinigungen, Wohlfahrtsverbände aufzubauen, damit sie auch die älteren Muslime kontrollieren können. Und das ist sehr gefährlich, wenn der Staat diese Entwicklung zulässt, denn somit haben die Islamverbände Einfluss auf die Kinder in der Schule, auf die Eltern in Pflegeheimen. Das bedeutet, sie haben die muslimische Familie im Griff, und das vertieft die Islamisierung, das vertieft die Kluft zwischen Muslimen und der deutschen Gesellschaft.
Dietrich: Aber ist denn jede Form des gelebten oder organisierten Islam gleich dann eine Form des Islamismus? Also wie trennscharf sind diese Begriffe? Was ist der Islam, was ist Islamismus für Sie? Also "-ismus", diese Silbe bedeutet ja immer, dass da eine Ideologie absolut gesetzt wird.
"Islamkritik ist Teil des Humanismus"
Abdel-Samad: Der Islamismus ist die politische Ideologie des Islam. Der Islam war von Anfang an politisch. Jesus kann man nicht mit Mohammed vergleichen, denn Jesus war eine kurze Zeit auf der Weltbühne - 18 bis 30 Monate, und hatte keine politische Funktion und keine Gemeinde gehabt, um sie zu verteidigen. Mohammed war 23 Jahre da, hatte Aussagen zu allen Lebenslagen gemacht und musste viele Funktionen erfüllen, als Prophet, als Staatsoberhaupt, als Armeeoberbefehlshaber, als Finanzminister, als Gesetzgeber und Polizist, und all diese Aufgaben sind vermischt mit der Religion, in der Geschichte des Islams auch, und das ist ein Riesenproblem. Und wir leben heute im 21. Jahrhundert, es gibt Muslime, die ihre Religion auf die Spiritualität und die Soziallehre reduzieren und damit sehr gut in der Welt friedlich leben, und es gibt welche, die auf diesen göttlichen Auftrag beharren, die politische und die Gesetzgebung zu beeinflussen, und deshalb geraten sie in Konfrontationen mit der Welt und mit den Gesellschaften, in denen sie als Minderheit leben.
Dietrich: Die Kritik genau an diesem politischen Islam wird in Deutschland vor allem von rechtspopulistischen Gruppen getragen. Haben Sie keine Angst, dass Sie sich zu deren Sprachrohr machen?
Abdel-Samad: Nein, das ist nicht mein Problem. Ich habe meine eigene Sprache. Jeder, der meine Bücher liest, entdeckt darin eine vernünftige Analyse. Islamkritik ist Teil des Humanismus, genauso wie Religionskritik insgesamt ein Bestandteil des Humanismus ist. Stellen Sie sich vor, irgendjemand aus der islamischen Welt hätte damals dann Voltaire gesagt, er solle das Christentum nicht so heftig kritisieren, das könnte ja antichristliche Ressentiments schüren. Wir sind nicht so weit in der islamischen Welt wie Europa mit der Aufklärung, wir sind ganz am Anfang, und wir brauchen eine deutliche Sprache. Es gibt ein paar gutgemeinte Aktionen, die mir sagen aus Deutschland, Sie sollten sich mäßigen in der Kritik oder ein bisschen milder ausdrücken. Nein, diesen Luxus haben wir nicht, noch nicht.
Dietrich: Ich sprach mit dem Politologen Hamed Abdel-Samad, sein Buch "Der Islamische Faschismus: Eine Analyse" ist erschienen bei Droemer Knaur, es hat 224 Seiten und kostet 18 Euro.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema