Religion to go

Von Ralf Bei der Kellen · 09.12.2008
Der "Gebetomat" ähnelt äußerlich einem Passbildautomaten mit einer Kabine und einem Münzschacht. Für 50 Cent erklingen fünf Minuten lang Gebete. 300 Stück stehen zur Auwahl - von Lateinisch bis Syrisch. Der Automat für das Gebet ist eine Erfindung des Künstlers Oliver Sturm und hat unter anderem auf dem Berliner Weihnachtsmarkt einen Platz gefunden.
Alle Jahre wieder findet in der Sophienstraße im Berliner Stadtteil Mitte zur Adventszeit ein Weihnachtsmarkt statt. Hier kann man sich mit Glühwein, Holzkrippen und anderen Accessoires gut vier Wochen lang auf Weihnachten einstimmen. Hinter dem Stand mit den heißen Maroni, in der Toreinfahrt zur Sophienstraße 18, steht ein merkwürdiger Automat. Aus ihm dringt Musik, die nicht so richtig in das vorweihnachtliche Ambiente passen will.

Äußerlich ähnelt das Gerät einem Passbildautomaten. Setzt man sich in die Kabine und wirft ein Geldstück in den Münzschacht, erklingt eine zunächst etwas befremdliche Ansprache:

"Guten Tag! Willkommen im Gebetomat. Sie haben nun die Möglichkeit, unter zahlreichen Gebeten das für Sie passende zu wählen."

Der Gebetomat ist eine Erfindung des Künstlers Oliver Sturm. Er demonstriert die im Automaten vorhandene Auswahl an über 300 Gebeten. Zum Beispiel das Vater unser auf Lateinisch. Die einzelnen Klangbeispiele wählt Sturm über einen Touchscreen an. Christentum, Islam, Hinduismus, Voodookulte oder Freikirchen - sie alle sind im Gebetomat vertreten.
"Es ist so, dass die Religionen alle gleichberechtigt präsentiert werden, also es gibt keine Hierarchie. Es geht auch nicht darum, die Religionen abzubilden, sondern es geht darum, das Beten abzubilden. Deswegen sind auch Gruppen vertreten, bei denen man stutzen würde: Zum Beispiel ist Scientology auch mit einem Gebet dabei oder die Solomon-Inseln."

Gedacht hat sich Sturm diese Automaten als kleinste spirituelle Räume, die auf Bahnhöfen, Flughäfen und Raststätten stehen sollen - für Menschen, die sich unterwegs Gebete anhören möchten. "Religion to go" sozusagen.

"Also, böse Zungen könnten sagen, dass es sich hier um spirituelles Fastfood handelt, also eine Art McDonalds. Man könnte sagen, die Idee hat vielleicht eine gewisse Verwandtschaft mit Fastfoodm, aber das, was man bekommt, ist nicht Fastfood, sondern das sind schon sehr substantielle Dinge."

Mit seinem Automaten will der Künstler eine Spannung herstellen zwischen der automatisierten Welt, in der wir alle uns täglich bewegen, und der Intimität eines persönlichen Gebetes. Im Kontext des Weihnachtsmarktes wirkt der Gebetomat zudem wie ein Sinnbild für die kommerzialisierte und in gewissem Sinn auch automatisierte Besinnlichkeit zum Fest der Liebe - nicht zuletzt, weil man auch hier bezahlen muss.
"Die Idee würde auch nicht funktionieren, wenn es Plastikgeld wäre, sondern man muss das richtig spüren, dass man Geld hineinsteckt. Das ist wie in der Psychoanalyse, wo man auch spüren muss, dass man dem Analytiker Geld dafür gibt."

Fünf Minuten Gebet kosten 50 Cent. Und passend muss man es auch haben.

"Es müssen 50 Cent oder ein Euro oder zwei Euro sein. Es gehen auch keine Münzen für Einkaufswagen."

Geld verdienen will Sturm mit seiner Idee allerdings nicht.

"Sollte der Fall mal eintreten, dass tatsächlich richtiger Gewinn daraus entsteht, dann würde ich das stiften an eine Stiftung für religiöse Verständigung."

Das Gros der Gebete hat Sturm selbst in den verschiedensten spirituellen Gemeinden der Hauptstadt aufgenommen. Er hat aber auch in Rundfunkarchiven und ethnologischen Sammlungen gestöbert.

"Mein Lieblingsgebet ist eine Aufnahme aus dem Jahr 1908, mit missionierten Zulus, eine völlig verrauschte Aufnahme - also man denkt zunächst, man würde überhaupt gar nichts außer Kratzern. Und dann hört man, so wie verkleinert im Ton, Gesänge zum Weihnachtsfest von Zulus. Und die sind so musikalisch und die gehen so ans Herz, dass ich jedes Mal mit Gänsehaut davor sitze, wenn ich das höre."

Die Reaktionen auf den Gebetomat seien bislang durchweg positiv, bemerkt Sturm. Bisher gibt es drei solcher Automaten: Einen in Karlsruhe, einen in Berlin und einen in Frankfurt. Im Augeblick stehe der Automat allerdings noch ausschließlich im weiteren Kontext von Kunsträumen - in Berlin ist er Teil des Festivals "Dein Wort in Gottes Ohr". Sturm hofft aber, dass sein Automat in Zukunft auch in öffentlichen Räumen Anwendung finden wird.