Religiöses Verbot

Sind Tattoos für Juden inzwischen erlaubt?

Ein Israeli zeigt am 6.6.2015 seine Tätowierungen und Piercings während der Tattoo Convention in Tel Aviv, auf der sich die besten Tattoo-Künstler des Landes präsentieren.
Ein Israeli mit Tätowierungen und Piercings während der Tattoo Convention in Tel Aviv, auf der sich die besten Tattoo-Künstler des Landes präsentieren. © picture alliance / dpa / Abrir Sultan
Von Silke Fries · 16.09.2016
Vom Ganzkörper-Tattoo bis zur Blume an der Fußfessel: Wenn man bei sonnigem Wetter unterwegs ist, sind Tätowierungen allgegenwärtig. Die jüdischen Gesetze aber verbieten sie. Wie aktuell ist diese Vorschrift noch? Silke Fries hat nachgefragt – auch in Jerusalem.
Altstadt von Jerusalem. Christliches Viertel, Ha Notzrim Straße. Hier tätowiert die Familie Razzouk. Die koptischen Christen sind in Jerusalem schon rund 700 Jahre berühmt für ihre Kunst. Wazzim Razzouk taucht die Nadel in ein kleines Gefäß mit Farbe und wirft seine Tätowiermaschine an.
"Ich habe auch muslimische und jüdische Kunden, denn wir tätowieren natürlich nicht nur christliche Symbole. Wir stechen den Leuten unter die Haut, was sie wollen: künstlerische Tattoos etwa, oder permanentes Makeup. Wir versuchen schon, mit der Zeit Schritt zu halten. Als ich das Studio von meinem Vater übernommen habe, wollte ich mehr auf moderne Techniken setzen. Gleichzeitig aber will ich die Familientradition bewahren – so weit wie möglich."

Ein Schriftzug für den Oberarm

Vor Wazzim sitzt die junge Jüdin Maayana, draußen ruft der Muezzin zum Gebet, in dem hellen Gewölberaum verzieht Maayana kurz das Gesicht. Sie lässt sich einen Schriftzug auf die Innenseite ihres Oberarms tätowieren. Der Schmerz beim Stechen, sagt sie, der stört sie nicht. Es sei ein guter Schmerz:
"No, not really. I love the pain. It´s pain, but it´s good pain."
Am Handgelenk trägt Maayana bereits ein erstes Tattoo: "Love” steht dort. Und es ist wahrscheinlich, sagt Maayana, dass die neue Tätowierung nicht die letzte ist. Religiöse Vorschriften, sagt sie, seien ihr egal. Sie sei nicht religiös:
"I don´t have laws. I´m not religious.”
An mehreren Stellen betont die Thora, wie wichtig ein gesunder Körper ist. Es ist verboten, den Körper zu beschädigen. Rabbiner Andrew Steiman von der Frankfurter Budge-Stiftung blättert in der Heiligen Schrift und liefert die Begründung:
"Im dritten Buch Mose, im Buch Levitikus, wie es auf Hebräisch heißt, da haben wir den Satz 28 im Kapitel 19. Und der lautet: (hebräisch). Und das heißt: Einschnitte um einen Toten sollt ihr nicht machen in euren Leib und Ätzschrift sollt Ihr an euch nicht vornehmen. Ich bin der Ewige. Das heißt also, der Ewige spricht hier und nicht Moses. Das ist also eine direkte Mizwa, eine direkte Vorschrift, das heißt, die kommt direkt vom Chef und es ist also sehr wichtig."

Auch die Entfernung ist verboten

Weil auch das Entfernen einer Tätowierung gesundheitlichen Schaden anrichten kann, ist auch sie verboten:
"Als Juden haben wir auch eine Aufgabe zu erfüllen, nämlich: die alten Strukturen der Heiden zu überkommen. Und diese Strukturen hatten auch ihre Ausdrucksformen in Tätowierungen. Die Tätowierungen waren ein Zeichen der Rückschrittlichkeit in der Alten Welt. Das heißt, es ist etwas Götzendienerisches daran, zum Beispiel die Kriegsbemalung."
Genauso sieht es der koptische Tätowierer Wazzim Razzouk in der Altstadt von Jerusalem. Andersgläubige seien so in frühen Jahrhunderten regelrecht ausgegrenzt worden:
"Unter islamischer Herrschaft wurden auch die Christen gezwungen, zum Islam zu konvertieren. Die sich weigerten, zu konvertieren, die wurden mit einem Kreuz auf ihrer Hand gekennzeichnet. So war allen klar: Das sind Ausgestoßene. Das kam aus der griechischen Tradition: Bereits die Griechen tätowierten die Gesichter von Straffälligen, sodass jeder sie als Kriminelle erkennen konnte."
Ein israelischer Soldat zeigt seine Pro-Israel Tätowierung, während er am 26.7.2014 in Sderot vor einem Restaurant wartet.
Ein israelischer Soldat zeigt seine Pro-Israel-Tätowierung.© picture alliance / dpa / Atef Safadi

Wenige kümmern sich um religiöse Vorschriften

Tatsache ist: An Tel Avivs Stränden und auf Berlins Straßen zeigt sich, wie wenig sich viele Menschen um religiösen Vorschriften kümmern. Tätowierungen sind aus dem Straßenbild kaum wegzudenken – das gilt quer durch alle Religionen und weltweit. In der Frankfurter Westend-Synagoge kommen Jugendliche von ihrer Religions-Prüfung. Ob sie sich tätowieren lassen würden?
"Nein, würd ich nicht, denn meine Religion verbietet es mir und ich bin nicht wirklich sehr gläubig. Aber ich glaub dann schon an Gott und an die Gesetze, die ich erhalten habe von meinem Vater und von der Religion. Und in der Thora steht dann auch, dass unser Körper eigentlich nur gemietet ist von uns und dass wir ihn nicht beschädigen dürfen und daher möchte ich es eigentlich nicht haben."
"Ich persönlich hab immer so ein 'Ach, vielleicht mach ich's doch irgendwann'. Und dann fällt mir diese Vorschrift ein, dann denk ich, vielleicht lass ich's doch lieber. Weil es ist fürs ganze Leben und vielleicht bereu ich's irgendwann. Man sieht so viele Leute, die sagen nach zehn Jahren: Ach, ich find's doch nicht so schön, was ich mir damals hab stechen lassen."

Besondere Kränkung während der Shoa

Diese Wahlmöglichkeit hatten Juden während der Shoa nicht. Den Juden in den Vernichtungslagern wurde eine Zahl in den Arm tätowiert, da wurde nicht nach Glaubensvorschriften gefragt. Rabbiner Andrew Steiman:
"Das ist natürlich eine besondere Kränkung. Viele haben sich, auch noch nach dem Krieg, für diese Tätowierung sogar noch geschämt. Ich hab mit einem Gemeindemitglied zu tun, der diese Nummer hat. Und er ist zwangstätowiert worden und das zeigt uns wieder, was für ein Rückschritt kulturhistorisch gesehen die Nazis waren. Sie haben wieder auf dieses Instrument zurückgegriffen. Auch, um die Feinde zu tätowieren. Juden waren für sie Feinde. Und deswegen sollte jeder Jude, auch der sich tätowieren lassen möchte, sich überlegen, ob das nicht ein Rückschritt ist, kulturhistorisch, aber auch persönlich, für ihn als Mensch."
In der Altstadt von Jerusalem setzt der Tätowierer Wazzim Razzouk seine Arbeit fort. Immer wieder taucht er die Nadel in ein kleines Farbdöschen und sticht in den Oberarm von Maayana. Wieder verzieht sie vor Schmerz leicht das Gesicht. Ob sich das alles lohnt? Ja, sagt die 33-jährige, es sei etwas für ewig, wie eine Hochzeit. Sie liebe es:
"Yes. Because you have it. You have it for your life. It´s like marriage. It´s love."
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