Religiöser Fundamentalismus

Der Charme der Dogmen

Terror im Namen des Glaubens: Unterstützer des IS während einer Demonstration in Syrien
Terror im Namen des Glaubens: Unterstützer des IS während einer Demonstration in Syrien © afp / Karam Al-Masri
Ulrich Engel im Gespräch mit Philipp Gessler · 14.09.2014
Klare Ansagen und unverrückbare Wahrheiten: Religiöser Fundamentalismus wird für immer mehr junge Menschen attraktiv. Die monotheistischen Religionen selbst sind Teil dieses Problems, sagt der Theologe Ulrich Engel – und liefert eine ungewöhnliche Lösung.
Philipp Gessler: Vor etwas mehr als 350 Jahren fand im Berliner Schloss Cölln an der Spree, dessen Nachfolgebau heute wieder aufgebaut wird, das sogenannte Berliner Religionsgespräch statt. Es sollte dazu dienen, in den Territorien des Großen Kurfürsten eine Glaubensspaltung zu mildern, die das spätere Preußen zerriss: da die Lutheraner, hier die Reformierten, beides protestantische Konfessionen zwar, aber sich spinnefeind. Unter anderem der große geistliche Dichter Paul Gerhardt nahm daran teil. Aber das Ganze scheiterte grandios, die Herren Theologen gingen ohne Einigung auseinander. Am Dienstag dieser Woche fand auf Einladung unter anderem auch dieses Senders erneut ein Berliner Religionsgespräch statt, hochkarätig besetzt und das erste dieser Gespräche, die nun zweimal jährlich stattfinden sollen. Das Thema dieses Mal: "Religion und Assimilation". Mit einem der Podiumsteilnehmer wollte ich das Diskutierte nach der Veranstaltung in der Akademie der Wissenschaften am Gendarmenmarkt noch ein wenig vertiefen. Es ist Ulrich Engel, Professor der Theologie, Dominikaner und Direktor des in Berlin angesiedelten Instituts Marie-Dominique Chenu. Chenu war ebenfalls Dominikaner und einer der Wegbereiter des Zweiten Vatikanischen Konzils. Meine erste Frage an Ulrich Engel war, ob es nicht ein schlechtes Omen sei für die Berliner Religionsgespräche, wenn man dafür einen Namen wähle, der erinnere an ein Berliner Religionsgespräch, das 1662/63 schrecklich gescheitert sei.
Ulrich Engel: Ganz grundsätzlich, ich finde, wenn Gespräche scheitern, ist es nicht ein schlechtes Omen für neue Versuche, sondern, ich finde, eine Herausforderung, neue Versuche zu unternehmen. Und das kann man jetzt eben, finde ich, auch machen.
Gessler: Zumal ja jetzt bei diesen Berliner Religionsgesprächen wahrscheinlich die religiösen Ansichten nicht so sehr aufeinanderprallen wie damals noch zwischen Lutheranern und Reformierten?
Wo Religionen aufeinanderprallen, geht es selten rational zu
Engel: Die religiösen Ansichten prallen nicht so aufeinander, wie es damals war. Klar, wir haben natürlich eine ganz andere Situation heute, wir sprechen zwischen den verschiedenen Religionen, nicht nur zwischen den verschiedenen Konfessionen. Und wir versuchen natürlich auch, möglichst zivilisiert, rationalisiert miteinander umzugehen. Und ich glaube, da, wo Religionen aufeinanderprallen, da haben wir es ja eben oft gerade nicht mit Rationalisierung zu tun, sondern mit Leidenschaft, mit Emotion, mit Wahrheitsansprüchen, mit Bekenntnissen und so weiter und so fort.
Gessler: Generell sind natürlich Emotionen bei der Religion gar nicht schlecht, sogar erwünscht.
Engel: Emotionen gehören zur Religion dazu. Ich glaube gar nicht, dass wir sie ganz wegrationalisieren können. Sie sind Bestandteil dessen, weil ein Glaube den Menschen in seiner Gänze angeht, also in allem, was wir sind, mit unseren Gefühlen, mit unseren Überzeugungen, mit starken Überzeugungen und so weiter und so fort. Gleichzeitig gilt es natürlich immer in irgendeiner Form, diese Leidenschaften einzuhegen, zu rationalisieren. Denn wir wissen auf der anderen Seite natürlich auch, dass diese Leidenschaften sehr wohl in allen Religionen in der Geschichte oder Gegenwart zu Gewalt, zu Auseinandersetzungen geführt haben, die nicht friedfertig waren und die Menschen verletzt haben.
Gessler: Gerade jetzt erleben wir das ja bei manchen muslimischen Strömungen, die sehr stark sozusagen emotionalisiert sind und sich auch wahrscheinlich auch deshalb der Gewalt verschrieben haben.
Engel: Genau. Also, das ist eine Erfahrung, die wir im Moment machen. Aber ich glaube nicht, dass wir das in dieser aktuellen Weise auf den Islam alleine beziehen können, sondern wir haben alle diese Geschichte. Das Christentum hat diese Geschichte, wir Dominikaner als Teil der katholischen Kirche haben diese Geschichte mit den Kreuzzügen, wir haben mit der Inquisition vor allen Dingen, mit der Hexenverfolgung diese Geschichte von Gewalt. Und es ist immer wieder an uns, also an dieser Stelle sehr deutlich, auch selbstkritisch zu schauen, wie wir miteinander besser umgehen können.
Gessler: Warum ist im Augenblick, so scheint es, bei manchen religiösen Strömungen – und man kann vielleicht sogar generalisieren, beim Judentum, im Christentum und im Islam – die ganz strenge Auslegung, der Fundamentalismus so verlockend für gerade junge Leute?
"Wir alle haben diese Geschichte der Gewalt"
Engel: Ich persönlich glaube, dass das etwas zu tun hat mit der Unübersichtlichkeit unserer Gesellschaft heutzutage. Viele Menschen verlangen angesichts dieser Unübersichtlichkeit Eindeutigkeit und glauben, dass Religion diese geben kann. Und alle Religionen haben natürlich auch diesen Aspekt, diesen dogmatischen Aspekt, wie ich ihn nennen würde, der Eindeutigkeit in sich: Starke Dogmatiken, starke Aussagen, Abgrenzung, Wahrheiten, die gegen andere stehen können. Also gerade die monotheistischen Religionen sind an dieser Stelle nicht nur anfällig, sie sind selbst Teil dieses Problems. Auf der anderen Seite gibt es aber immer auch dieses Obskure, das nicht Eindeutige in allen Religionen. Wenn wir uns zum Beispiel den ganzen Bereich der Mystik anschauen, das sind nicht die eindeutigen Auslegungen. Und ich glaube, dass wir als religiöse Menschen, egal, welcher Religionszugehörigkeit, dass wir als religiöse Menschen diese Uneindeutigkeiten stärker machen müssen. Das ist eine Aufgabe von wissenschaftlicher Theologie zu differenzieren, das ist eine Aufgabe von Gläubigen, diese Widersprüche in der eigenen Religion, in der eigenen Konfession zu leben, also nicht bestimmte Seiten auszugrenzen, und damit ein wenig deutlich zu machen, dass es nicht nur diese eindeutigen Wahrheiten gibt, mit denen ich dann gegen andere agieren kann.
Gessler: Nun war das Thema ja Religion und Assimilation. Assimilation hat ja heutzutage vielleicht nicht den allerbesten Ruf. Denn die Frage ist natürlich immer: Verliert man seine Identität, wenn man sich zu sehr assimiliert?
"Nur im Angesicht des anderen weiß ich, wer ich bin"
Engel: Ein Verständnis von Assimilation, das zu einer Aufgabe der eigenen Identität führt, das wäre eines, was meines Erachtens eindeutig abzulehnen ist. Das Problem sehe ich allerdings eher darin, dass wir von falschen Identitätsbegriffen oder von sehr einfachen Identitätsbegriffen ausgehen. Identität ist niemals nur vom Ich her, also von meiner Seite aus zu gewinnen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir Identitäten nur gewinnen können, sowohl auf einer persönlichen Ebene als auch auf einer überindividuellen, gesellschaftlichen Ebene, in der Auseinandersetzung mit anderen. Also, nur im Angesicht des anderen weiß ich, wer ich bin. Und dann in diesem Zusammenhang Assimilation zu definieren, würde dann bedeuten, in einen permanenten Dialog einzutreten.
Gessler: Nun wird ja Assimilation häufig benutzt in Bezug auch auf die Zeit der Emanzipation, wie man das nennt, der Juden im 19. Jahrhundert, als sie sich eben gerade in Deutschland völlig auf die bürgerliche deutsche Gesellschaft eingelassen haben. Und dann am Ende, wenn man böse ist, steht dann der Holocaust, die Ermordung genau dieser jüdischen Gemeinschaft. Also, die Assimilation mit der bürgerlichen deutschen Gesellschaft hat ihnen im Grunde nichts gebracht. Kann man das so werten?
Engel: Gershom Scholem hat es so gewertet. Oder er hat es zumindest als Analyse, als Frage am Ende gestellt. Ich glaube, dass eine Assimilation, die sich selbst aufgibt, natürlich in eine nicht nur Vernichtung, sondern eben auch in ein Sich-Auflösen von der eigenen Religion führt. Sondern es braucht eine Assimilation, das wäre jetzt historisch noch mal genauer zu untersuchen, ob das im Judentum vor dem Holocaust war oder nicht oder wie weit es zutrifft, die Fragestellung: Wie weit kann diese Assimilation im Sinne eines Dialogs verstanden werden? Weil, wir haben natürlich auch eine ganze Menge an Beispielen von dialogischer Assimilation.
Das Christentum insgesamt ist eine Inkulturation
Und da würde ich persönlich sagen, also trifft dann das Verdikt von Scholem nicht mehr zu. Wenn ich mir zum Beispiel die Philosophie von Walter Benjamin anschaue, dann ist das nicht einfach nur eine Anpassung an die deutsche Geistesgeschichte, sondern es ist natürlich eben auch eine – jetzt im positiven Sinne –Unterwanderung der deutschen Geistesgeschichte aus dieser jüdischen Tradition heraus oder mit dieser jüdischen Tradition. Ich würde dieses zum Beispiel nicht bezeichnen als solch eine einseitige Assimilation, die zur Auflösung führt.
Gessler: Das Zweite Vatikanische Konzil fordert ja die Inkulturation des Glaubens. Also das Einleben des Glaubens in die jeweiligen Kulturen der Welt. Dadurch verändert sich der Glaube. Der katholische Glaube, den wir zum Beispiel hier in Deutschland haben, und der katholische Glaube, den man etwa in Japan findet, ist ziemlich unterschiedlich. Bleibt es trotzdem noch derselbe katholische Glaube?
Engel: Grundsätzlich, Christentum insgesamt ist solch eine Inkulturation. Gott ist in Jesus Christus Mensch geworden, Fleisch geworden, Inkarnation nennen wir das theologisch. Das heißt also, es gibt keine Gottesvorstellung im Christentum, die jenseits von Kultur existiert, und Kultur gibt es immer nur in geschichtlicher, gesellschaftlicher Konstellation. Also, insofern: Natürlich ist Christentum und ist eben dann auch die katholische Variante des Christentums eine kulturell inkarnierte. Und dadurch ist sie eben auch ganz unterschiedlich, durch die Geschichte hindurch, aber natürlich auch, wenn ich jetzt die verschiedenen Kulturen in Japan und Deutschland oder andere miteinander vergleiche. Und das ist zuerst einmal auch gar nichts Schlechtes. Weil wenn ich diese Menschwerdung Gottes ernst nehme, in deren Fußspuren wir unseren Glauben leben, dann kann es immer nur ein je hier oder je dort und je jetzt inkulturiertes Christentum geben.
Das Unverständnis für religiöse Riten wird zunehmen
Gessler: Die Beschneidungsdebatte, die wir vor zwei Jahren erlebt haben, hat ja gezeigt, dass religiöse Praktiken in unserem zunehmend säkularen Staat, in unserer zunehmend säkularen Gesellschaft auch immer mehr umstritten sind und oft auf wenig Verständnis stoßen, auch weil der Hauptstrom des kulturellen Diskurses oft eben ganz anders verläuft als die alten Praktiken, die die Religion fordert. Glauben Sie, dass in Zukunft das Unverständnis gegenüber den religiösen Praktiken zunehmen wird?
Engel: Ich glaube, dass das Unverständnis zunehmen wird. Das hat etwas zu tun mit der gesamtgesellschaftlichen Situation, einer Säkularisierung von Gesellschaft, hinsichtlich der institutionellen Verortung von Religion und damit eben also der dazugehörigen Riten, Praktiken und Ähnlichem, nicht von Religiosität, privater, persönlicher Religiosität, Spiritualität oder so etwas. Also, es wird zunehmen. Das fordert für meine Begriffe die Religionsgemeinschaften in verstärkter Form heraus, ihre Überzeugungen in den Diskurs einzubringen, deutlich zu machen.
Also, das, was Habermas in seiner Friedenspreisrede eben sehr deutlich ja gefordert hat, ist ja nicht nur, dass die säkulare Gesellschaft versucht, diese religiösen Argumentationen zu verstehen, nachzuvollziehen, überhaupt ernst zu nehmen, sondern umgekehrt hat er eben auch von Religionsgemeinschaften ja gefordert, sich mit ihren Überzeugungen in den Diskurs hineinzugeben. Und ich glaube, das ist ein ganz entscheidender Punkt, gerade auf diese Praktiken hin, sie zu erläutern, sie in ihrer Begründung zu erläutern, sie rational zu verantworten und damit etwas zu ermöglichen. Das heißt nicht, dass dieses damit gelingen wird, das ist ganz klar, das ist wie bei jedem Diskurs, wie bei jeder Diskussion, ich kann nicht mit jedem ersten Argument mein Gegenüber überzeugen. Das ist klar. Aber in diesen Diskurs hineingehen und darin bleiben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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