Religiöser Fanatisimus

Kulturkampf in der Slowakei

Anhänger des slowakischen Rechtsradikalen Marian Kotleba bei einer Demonstration.
Anhänger des slowakischen Rechtsradikalen Marian Kotleba bei einer Demonstration. © picture alliance / dpa / Janos Vajda
Von Michal Hvorecký · 09.07.2014
Seit zehn Jahren gehört die Slowakei zur Europäischen Union. Was bleibt übrig von der damaligen Freude, wo steht die Slowakei heute? Der slowakische Schriftsteller und Essayist Michal Hvorecký zieht ein pessimistisches Resümee.
Lange galt die Slowakei als Land der Euro-Optimisten. Groß war die Freude über die offenen Grenzen, die ersehnte Reisefreiheit und über die Möglichkeit, endlich im Ausland arbeiten zu dürfen. Der EU-Beitritt vor zehn Jahren bestätigte die westliche Orientierung des Staates, was nach Jahrzehnten sowjetischen Machtanspruchs und der schwierigen Lage der jungen Republik gar nicht selbstverständlich war.
Man glaubte, mit dem Geldsegen der EU wird endlich die Autobahn nach Košice gebaut, sowie die maroden Schulen und Krankenhäuser saniert. Viel hat man tatsächlich bereits geschafft, trotz zahlreicher Korruptionsskandale.
Doch bei der Europawahl fehlte es an konstruktiven Themen. Die politischen Populisten rechts wie links sprachen wieder von einer Versklavung, diesmal nicht von Moskau, sondern von Brüssel. Man versteht Europa nicht - und das Thema wird publikumswirksam missbraucht.
Der Wirtschaft geht es bei weitem nicht so gut, wie in den Nulljahren. Die Jugendarbeitslosigkeit steigt, jeder dritte junge Mensch findet keinen Job. Die verlorene Generation aus der slowakischen Provinz träumt vom Leben woanders, Zehntausende wandern ab. Viele Daheimgebliebene kommen nur mit Gelegenheitsjobs über die Runden und bezahlen kaum Steuern.
Suche nach Alibi- und Ersatzthemen
Statt solcherlei Probleme anzupacken, sucht die immer schwächere linkspopulistische Regierung des Premierministers Robert Fico nach Alibi- und Ersatzthemen: So hat beispielsweise Anfang Juni seine Sozialdemokratische Partei zusammen mit den christlichen Konservativen den besonderen "Schutz der Ehe zwischen Mann und Frau" in die Verfassung schreiben lassen.
Die Ehe sei eine einzigartige Verbindung zwischen Mann und Frau, so lautet der umstrittene neue Satz, und drückt damit ein faktisches Verbot der Homo-Ehe aus. Damit werden die grundlegenden Menschenrechte verletzt und die slowakischen Schwulen und Lesben praktisch zu Menschen zweiter Klasse. In meiner Heimat gilt bis heute kein Lebenspartnerschafts-Gesetz, nachdem Homopaare heterosexuellen Verbindungen gleichgestellt werden.
Statt langfristige Visionen und Strategien zu bieten, dominiert im öffentlichen Diskurs ein trauriger und sinnloser Kulturkampf. Der religiöse Fundamentalismus lebt, und er ist gefährlich. Ich bin entsetzt, enttäuscht, beängstigt.
Die konservativen Bischöfe warnen vor der westlichen "Gender-Ideologie", die eine familienfeindliche, so genannte "Kultur des Todes" propagiert, in der die Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern aufgehoben und akzeptiert wird, was angeblich zu einer "Sodomischen Verwirrung" führen soll. Klingt absurd und sehr nach Putin, kommt aber bei vielen wertkonservativen Bürgern gut an.
Hetze gegen Roma, Schwule und Intellektuelle
Die Krise hat tiefe Wurzeln, wie die Geschichte des Landes zeigt: Der slowakische Nationalsozialismus war katholisch, der Präsident des faschistischen Staates ein Priester. Die Kirche inszenierte sich nach der Wende vor allem als Opfer.
Von der Polizei angeführt: Der rechtsradikale Politiker Marian Kotleba bei einer Veranstaltung im Jahr 2009.
Von der Polizei angeführt: Der rechtsradikale Politiker Marian Kotleba bei einer Veranstaltung im Jahr 2009.© picture-alliance/ dpa / CTK Jan Koller
Es sind der Nationalismus und die Religion, die die Slowakei heute wie damals spalten. Im November letzten Jahres hat der Rechtsradikale Marian Kotleba die Landeswahl in Banská Bystrica gewonnen. Er nennt sich "Führer", leitet eine paramilitärische Gruppierung voller Hooligans und Schlägertrupps und hetzt gegen Roma, Schwule und Intellektuelle.
In zwei Jahren könnte er auch den Einzug ins Parlament schaffen. Das Problem ist: Auch dieser so genannte "Führer" sagt nur das, was sehr viele Menschen in der Slowakei hören wollen.
Michal Hvorecký, geboren 1976, lebt als freier Autor in Bratislava. Auf Deutsch erschienen drei Bücher, als jüngste Veröffentlichung der Roman Tod auf der Donau bei Tropen/Klett-Cotta. Hvorecky studierte Kunstgeschichte an der Universität in Nitra. 2004 wurde er als Writer in Residence für ein Semester an die University of Iowa, USA, eingeladen. In der FAZ, der Welt, der ZEIT oder im Falter sind Essays und Geschichten von ihm erschienen. Er wurde mehrfach mit Literaturpreisen ausgezeichnet und war Grenzgänger-Stipendiat der Robert Bosch Stiftung. Seine Bücher wurden ins sechs Sprachen übersetzt.
Michal Hvorecký im Porträt
Michal Hvorecký© Michal Hvorecký/privat
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