Reiseliteratur

Mit Spottlust durch Deutschland

Von Günther Wessel · 11.12.2013
Die witzig-ironischen Briefe von Johann Kaspar Riesbeck erschienen Ende des 18. Jahrhunderts als Nachrichten eines anonymem "Reisenden Franzosens". Die Texte verspotten die Sittenlosigkeit der Deutschen und ihre merkwürdigen Bräuche.
Ende des 18. Jahrhunderts war ein anonymer "Reisender Franzose" in Deutschland sehr populär. 1783 wurden dessen Briefe an seinen angeblich in Paris lebenden Bruder veröffentlicht, ein zweibändiges Werk, das schnell viele Leser fand. Sein Inhalt: Eine genaue, spannende, oft witzig-ironische und respektlose Schilderung der deutschen Länder im Zeitalter der frühen Aufklärung.
Der "Reisende Franzose" war aber gar kein Franzose. Und er hatte auch keinen Bruder, dem er Briefe schrieb. Es war Johann Kaspar Riesbeck, 1754 in Höchst (heute ein Stadtteil Frankfurts) geboren, der ein Wanderleben als Schauspieler, Autor und Übersetzer führte, 1780 erster fester Redakteur der "Zürcher Zeitung" wurde und bereits 1786, im Alter von nur 32 Jahren an Tuberkulose starb. In den vermeintlichen Briefen beschreibt er die Erlebnisse seiner Wanderjahre zwischen 1770 und 1780.
Es ist die Zeit der frühen Aufklärung, und Riesbeck passt als unangepasster kritischer Denker gut da hinein. Er bietet eine genaue Momentaufnahme Deutschlands im späten 18. Jahrhundert und zwar in einer eindrucksvollen Mischung aus Fakten und Reflexion, Information und Witz. Sein journalistisches Credo: Man müsse sich mit allen Klassen des Volkes mischen. Ob er das wirklich tat, sei dahingestellt, er beobachtete das Treiben des einfachen Volkes weitgehend aus sicherer sozialer Distanz. So kann er seiner Spottlust frönen, wenn er über eine Wirtshausschlägerei berichtet, in der die Bierkrüge fliegen, darüber, dass sich in Bayern alle mit Schimpfnamen begrüßten, alle um die Wette söffen und in jedem Dorf neben der Kirche eine Schenke und ein Bordell stünden.
Bissige Kommentare im Plauderton
Sittliche Verwahrlosung und vor allem Bigotterie sieht er überall: In Köln trifft er vier schwangere Nonnen, sechs weitere seien eingesperrt, weil sie "die Kunst nicht verstanden hätten, nicht schwanger zu werden". Er beschreibt wie der Landadel sich bereichert und in unnützem und bizarren Pomp und Pracht schwelgt. Nur Preußen besitzt mit Friedrich II. einen aufgeklärten Herrscher, der erkannt habe, dass seine und die Interessen des Volkes parallel liefen.
Spottlust und Ironie, kurze treffende Bemerkungen, die oft im Plauderton daherkommen, sind die tragenden Elemente von Riesbecks Briefen. Doch er kann auch anders. Als Pionier der Reisebeschreibung und der Reportage erzählt Riesbeck trotz manch altertümlich wirkender Wendung auch für heutige Leser lebendig und gut lesbar von Land und Leuten, den Sitten und Gebräuchen. Detailverliebt liefert er die Einwohnerzahlen der Städte, die er besucht, und berichtet über Wirtschaftshemmnisse, wie den übertriebenen Zunftzwang in Köln. Dazu kommen Landschaftsbeschreibungen, die in ihrer bildhaften, farbigen und schwärmerischen Sprache ihresgleichen suchen.
Der Anderen Bibliothek ist dafür zu danken, dass Riesbecks Text nun wieder verfügbar ist. Und zwar in einer hervorragenden Ausgabe mit Textkommentar, einem Ortsregister, einer Autorenbiografie und einem Aufsatz über Reisebeschreibungen der Aufklärung. Dazu kommen eine Fülle wundervoller, zeitgenössischer Illustrationen von Menschen, Städten und Landschaften.

Johann Kaspar Riesbeck: Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland an seinen Bruder in Paris

Die Andere Bibiliothek 2013

681 Seiten, 79 Euro

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