Reisebuch

Unterm Sternenhimmel mit Saddam Hussein

Moderation: André Hattinng · 12.05.2014
Er suchte sein Glück auf einem alten Stahlrad und bereiste damit Länder wie Jordanien, Libanon, Albanien oder den Kosovo. Der Autor Fredy Gareis schildert in seinem Buch "Tel Aviv - Berlin - Geschichten von tausendundeiner Straße" seine ungewöhnlichen Begegnungen.
André Hatting: 5000 Kilometer mit dem Fahrrad – das ist an sich schon eine ziemliche Leistung. Der Journalist Fredy Gareis hat sich für seine viermonatige Ochsentour im vergangenen Jahr aber noch eine besonders, sagen wir mal, abenteuerliche Strecke ausgesucht. Start Tel Aviv, Ziel Berlin. Und wenn Sie das mal auf dem Globus mit dem Finger nachfahren, dann werden Sie feststellen, der Mann hat so ziemlich alle Krisenherde der Region mitgenommen und das zum Glück überstanden. – Herzlich willkommen im Studio, Fredy Gareis!
Fredy Gareis: Guten Morgen.
Hatting: Wie kommt man auf so eine Idee?
Gareis: Natürlich wie die besten Ideen war das eine Schnapsidee. Ich saß eines Abends in Tel Aviv, meine Korrespondentenzeit ging zu Ende und ich war doch ziemlich ausgelaugt von dem Nahost-Konflikt und habe mich gefragt, was kann ich eigentlich für mich machen. Dann ist mir die Geschichte eines guten Freundes eingefallen. Der war unterwegs in den Iran mit dem Fahrrad und der hat mir erzählt, das wäre einfach die beste Art zu reisen. Danach habe ich mir ein Rad für 90 Euro gekauft, verdammt schwer, und habe es mit dem dann gemacht.
Hatting: Wenn man jetzt die Strecke nachfährt – ich habe es vorhin schon angedeutet -, dann kommt man an vielen Krisenherden vorbei und stößt auch auf viele Grenzen. Also, nur mit dem Fahrrad ging es wahrscheinlich nicht?
Gareis: Nein, überhaupt nicht. Leider Gottes, aber die Grenzen im Nahen Osten sind tatsächlich noch Hindernisse. Die Grenze zwischen Israel und Libanon ist komplett dicht. Ich bin bis nach Ägypten gefahren, habe dann den Flieger in den Libanon genommen, um so Syrien zu überfahren, und bin dann vom Libanon mit der Fähre in die Türkei, und danach war eigentlich alles wieder offen. Aber es zeigt ganz gut wirklich, wie die Lage da unten ist. Es ist einfach nicht so, man spaziert mal schnell über die Grenze. Das kann man vergessen.
Hatting: Was war Ihr aufregendstes Erlebnis während der ganzen Zeit, wenn ich Sie spontan nach einem Beispiel frage?
"Meine Nacht mit dem Obsthändler Sadam Hussein im Jordantal"
Gareis: Dann würde ich vielleicht nehmen meine Nacht mit dem Obsthändler Saddam Hussein im Jordantal in Jordanien am Toten Meer. Das war in einem ganz kleinen Ort, wirklich ein staubiges Kaff, wo natürlich kein Hotel war und gar nichts und ich war nach 90 Kilometern total verschwitzt und habe gestunken wie sonst irgendwas, auch verunsichert, weil ich am Tag vorher überfallen wurde im Westjordanland. Und dann hat mich dieser Obsthändler, die auf der Straße einfach ihren Stand hatten, auf dem Beton, auch da geschlafen haben, unter die Fittiche genommen, verköstigt, den ganzen Abend unterhalten mit süßem Tee, wir saßen in der Dunkelheit, die Laster kamen ständig vom Toten Meer, die halt das Gemüse gebracht haben, Lauchzwiebeln, Orangen, Früchte und so was. Dieser Eindruck aus dem Sternenhimmel und den Gerüchen und Sadam Hussein, der mir ständig Tee nachgeschenkt hat und mir Essen gemacht hat, war gigantisch.
Hatting: Wie weit hat Ihr Fahrrad da geholfen, in Kontakt zu treten mit den Menschen?
Gareis: Das Fahrrad war eine Zirkusattraktion auf der ganzen Reise und es hat mir eigentlich ein Großteil meiner Arbeit als Journalist abgenommen – in dem Sinne: Wenn ich als Journalist irgendwo hinfahre, muss man immer ein Stück weit Vertrauen aufbauen. Dieses Fahrrad hat das einfach immer übernommen, egal in welches Dorf ich reingekommen bin. Ich wusste: Ich musste einfach nur zum ersten Laden fahren, mir einen Schokoriegel kaufen, und bei der Zeit, wo ich dann wieder draußen bin, war das ganze Dorf vor Ort. Das hat wirklich sehr gut funktioniert.
Hatting: Gab es trotzdem Dinge, die Sie wirklich noch richtig überrascht haben?
Gareis: Auf jeden Fall. Alleine mit dem Fahrrad sich diese Region zu erfahren, wo natürlich Fahrräder überhaupt keinen Stellenwert haben, sondern man ja auch immer gefragt wird, aha, du bist also aus Deutschland, okay, und wieso fährst du keinen Mercedes, und man muss dann erklären, na ja, wir sind so ein bisschen darüber hinweg über diese Autogeschichte, wir haben jetzt Fahrräder, die sind genauso teuer wie Autos, dann gucken die natürlich einen an und denken, okay, der hat sie nicht mehr alle, aber den laden wir trotzdem ein.
Und alleine mit dem Fahrrad herumfahren und dieser Natur ausgesetzt zu sein, man hört dann auf einmal alle Rufe der Muezzine, man ist halt nicht mehr hinter den Fenstern und man nimmt die Gerüche ganz anders wahr und man kriegt doch noch mal anders mit, wie gewaltig die Gastfreundschaft eigentlich ist der Leute vor Ort. Und was man auch natürlich mitkriegt, das was immer sehr zusammenhängt mit der Gastfreundschaft, dass man selber als Reisender im Nahen Osten unheimlich privilegiert ist, weil man einfach alle Grenzen überqueren kann, während alle in ihren eigenen kleinen Bereichen stecken und das eben nicht können.
Sie wohnen total dicht beieinander, es ist nur eine Spuckweite von Jerusalem nach Bethlehem, aber die Leute wissen so gut wie nichts voneinander, außer dass sie nur das Schlechteste im Kopf haben wie die einen sind fiese Soldaten, die anderen sind Selbstmordattentäter.
Hatting: Im Mittelpunkt Ihrer Reise standen natürlich die Menschen, die Begegnungen mit diesen Menschen. Wenn man jetzt die ganze Strecke sich noch mal vor Augen führt, wenn Sie da noch mal drüber nachdenken, gibt es etwas, was zwischen Tel Aviv und Berlin alle Menschen verbunden hat? Gab es diese einzelmenschlichen Probleme, die trotz aller Unterschiede, trotz aller verschiedenen Lebensbedingungen, in denen diese Menschen leben, trotzdem alle miteinander verbunden haben, alle gemeinsam haben?
Alle wollen nur ihre Familien in Frieden groß ziehen
Gareis: Das ist natürlich eine wirklich sehr große Frage, wo man vielleicht auch keine letztliche Antwort drauf geben kann, weil es jetzt nicht ein Querschnitt von Bevölkerung war und man auch immer die Mentalitäten vielleicht in Betracht ziehen muss. Aber was ich finde, was schon bei allen gleich war, die ich getroffen habe – ich war ja viel auf Dörfern unterwegs und habe Nebenstraßen genommen, um vor den bösen Autos sicher zu sein, was trotzdem nicht immer geklappt hat, weil die Leute schon irgendwie denken, Fahrradfahrer, den hauen wir von der Straße -, aber was ich schon gemerkt habe bei den vielen Menschen, bei denen ich war: für alle zählt, seine Familien in Frieden groß zu ziehen.
Hatting: Hat diese Tour Sie persönlich, also jetzt nicht den Journalisten Fredy Gareis, sondern Sie, den Menschen Fredy Gareis verändert?
Gareis: Ich denke schon. Auch in dem Sinne, wie ich es mir vorher nicht gedacht hätte, weil vorher stand wirklich nur einfach diese Herausforderung, diese 5000 Kilometer zu schaffen und vieles zu erleben. Aber dann merkt man auch schnell, oh, ich habe ganz schön viel Zeit auf diesem Fahrrad nachzudenken. Man ist acht, zehn Stunden auf dem Fahrrad und wenn der Körper sich erst mal eingestellt hat auf diese neue Belastung, dann will der Geist beschäftigt werden. Ich habe mich viel mit der griechischen Philosophie beschäftigt. Mir ging es auch darum, ein bisschen zu schauen, wie kann ich mein Leben besser leben, wie kann ich für mehr Qualität sorgen. Die liegt in wenigen Dingen, auf die man sich konzentrieren sollte und die richtig machen, und hat auch was damit zu tun, Herausforderungen zu bestehen, dass das Leben nicht zu sicher wird, sondern rausgeht und auch ein bisschen das Abenteuer und die Gefahr sucht, weil wir sind nicht unbedingt für die Sicherheit gemacht.
Hatting: Die Erlebnisse von Fredy Gareis, dem Reisejournalisten zu Rade, die können Sie auch nachlesen. Sein Buch „Tel Aviv – Berlin: Geschichten von tausendundeiner Straße", erscheint heute, und zwar im Piper Verlag. Ich danke für den Besuch im Studio!
Gareis: Ich danke.
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