Reiseberichte

Kuriose Erlebnisse mit der italienischen Eisenbahn

Italienische Jugendliche drängen in den Zug.
Der Schriftsteller Tim Parks berichtet in seinem neuen Buch über seine Reiseerlebnisse mit der italienischen Eisenbahn. © picture alliance / dpa / LaPresse Coraggio
Von Edelgard Abenstein · 08.07.2014
Seit mehr als 30 Jahren lebt der britische Schriftsteller Tim Parks in Italien. Die Wahlheimat spielt in vielen seiner bisher 14 Romane eine Hauptrolle. In Sachbüchern setzt sich Parks zudem mit dem Italien damals und heute auseinander. Nach Dante, Fußball oder dem Geld der Medici schreibt er nun über seine Erfahrungen mit der Staatsbahn.
Amüsant erzählt Tim Parks, wie er sich im Lauf der Jahrzehnte per Eisenbahn das Land eroberte und was er dabei über die italienische Mentalität lernte, über den Nationalsport des Sich-Durchmogelns, des Erfindens von Ausreden, des schlagenden Arguments. Die doppelte Perspektive, der Blick des Fremden wie des längst Integrierten, gibt dem Buch seinen Reiz. Der Vergleich dient als roter Faden, immer wieder garniert mit gemischten Gefühlen, mit Wut, Kopfschütteln und Bewunderung. Parks wechselt beständig zwischen Beschwerden und Schwärmereien.
Servicewüste und Bummelzüge
Unterhaltsam schildert er, wie er sich im Wirrwarr immer neuer Fahrkartenautomaten verheddert. Dass der zuverlässig auftauchende Vordrängler grummelnd geduldet wird. Dass der Schalterbeamte, ungeachtet der immer länger werdenden Warteschlange vor ihm, einem Bekannten seelenruhig und ausführlich von den Schulerfolgen des Söhnchens berichtet, weil die persönliche Beziehung wichtiger ist als jede unpersönliche.
Seufzend schildert Parks die Tücken des Systems, die Anzeigetafel etwa, die für einen Zug eine Stunde Verspätung angibt, der längst abgefahren ist. Natürlich genießt er den "Hochgeschwindigkeitspfeil", der in knapp drei Stunden von Mailand nach Rom fährt, auch wenn er beklagt, dass für die eigens verlegten Schienen EU-Milliarden abgezweigt wurden, die der Modernisierung des ganzen Streckennetzes hätten zugute kommen sollen – sodass die Pendlerzüge noch immer speckig und langsam sind.
Amüsante Momentaufnahmen von Zugreisenden
Anekdotisches wird mit soziologischen Kurzanalysen konfrontiert, autobiografische Details wechseln mit dem historischen Panoramablick. Parks erzählt auch, wie die Eisenbahn vor 170 Jahren die souveränen Staaten der Halbinsel zusammenschweißte, wie nicht nur Garibaldi, sondern auch schnelle Kommunikationswege die Nation einigten. Wie ein Ethnologe porträtiert er einen rollenden sozialen Kosmos in literarischen Schnappschüssen: skurrile Lokführer, pedantische Ehepaare, junge Männer, die kaum auf den Abteilsitz geplumpst, die „Mamma" anrufen, dösende Prostituierte auf dem Weg zum Arbeitsplatz, Rucksacktouristen.
Richtig ansteckend wirkt Parks Begeisterung, als er an mäßig bevölkerten Stränden vorbei die Ferse des Stiefels entlangrattert – mit einem Bummelzug aus den 1930er-Jahren. Den hat er auf einem Seitengleis im barocken Lecce per Zufall entdeckt. Der Zug ist nicht im Fahrplan und schon gar nicht im Internet verzeichnet. Da bekommt man auf der Stelle Lust, in den Süden zu reisen, mit Parks Buch im Handgepäck.

Tim Parks: "Italien in vollen Zügen"
Aus dem Englischen von Ulrike Becker
Antje Kunstmann, München 2014
336 Seiten, 19,95 Euro