Reiseberichte aus der Hölle

30.07.2007
Mit einem kurzen Prolog eröffnet Georg Seeßlen seine Einblicke in die Welt des David Lynch und nennt sie gleich "Reiseberichte aus der Hölle". Seine Filme umschreibt der Autor als "scheinbar einfach, in ihrer Konstruktion sichtbar" und doch würde man ihnen als Betrachter verfallen.
Dem Autor gelingt es zunächst sehr prägnant, mit einfachen Metaphern und Einordnungen, das in sich hermetische Kino von David Lynch dem Leser nahe zu bringen. So hat Seeßlen natürlich Recht, wenn er behauptet, bei Lynch sei es vollkommen normal, verrückt zu sein oder Lynch entdecke das Böse hinter der glänzenden Oberfläche.

Liest sich auch das erste Kapitel über das Frühwerk von David Lynch noch relativ flüssig, auch weil Georg Seeßlen ein wenig biografische Details von Lynch verrät, so sind die sehr langen Kapitel zu den einzelnen Filmen von David Lynch schon sehr viel komplexer und anstrengender.

Georg Seeßlen versucht es mit einer Grundthese: Die Filme von Lynch stellten den nicht zu Ende geborenen jungen Mann ins Zentrum. Im Laufe des Buches und anhand der Filme versucht Seeßlen dann diese These zu untermauern und zu erweitern.

Man kann das Buch eigentlich kaum lesen, ohne die einzelnen Filme noch sehr präsent zu haben. Der Leser müsste also im Prinzip die DVD gleich parallel mitschauen. Überausführlich werden Inhalte und Bilder beschrieben und analysiert, Zusammenhänge konstruiert. Wenn Seeßlen allgemeiner bleibt, offener in seinen Behauptungen, ist man vom durchaus sehr intellektuellen und hoch analytischen Stil des Autors beeindruckt und angetan. Allerdings übertreibt es Seeßlen dann auch mit einem Zuviel an fast pedantisch aufgegliederten Details. Wie viele deutsche, hochgeistige Filmkritiker, hält es der Autor Seeßlen wohl für zu banal, mehr persönliches und auch Privatleben von David Lynch zu erzählen oder aber Produktionsbedingungen und Zwänge zu beschreiben, denen sich der Filmemacher auszusetzen hatte.

Lynch hat Filme wie "Blue Velvet", "Lost Highway" und "Mullholland Drive" gedreht, die durchaus im ästhetischen und inhaltlichen Widerspruch stehen zu seinen Werken wie "Dune", "The Straight Story" oder "Elephant Man". Letztere sind eher dem klassischen Erzählkino zuzuordnen während Lnych ja eigentlich als Meister des Non-Linearen Films gilt. Seeßlen aber sieht zu engstirnig immer nur den roten Faden im Werk von Lynch und ist insgesamt dann doch viel zu häufig statt eines kritischen Analytikers bloß ein bewundernder Fan.

Im letzten, der aktuellen Auflage hinzugefügten Kapitel über "Inland Empire" gelingt es dem Autor dann jedoch, etwas Abstand auch zu sich selbst zu gewinnen. So liest man den schönen Satz:

"Selbst wenn man Dummheiten über David Lynch sagt, und tun wir das nicht alle?, können es doch keine banalen Dummheiten sein."

Georg Seeßlens Buch über Lynch ist so gesehen nie banal und immer dann lesenswert, wenn es sich nicht im zu Spezifischen verliert. Und doch muss der Leser schon eher Kenner als Einsteiger sein, um die intensiven 268 Seiten wirklich zu goutieren. Lobenswert ist der ausführliche Anhang, auch wenn - wie zu oft - Angaben zu DVD-Editionen der Filme fehlen.

Rezensiert von Jörg Taszman

Georg Seeßlen: David Lynch und seine Filme
arte Edition, Schüren Presseverlag 2007,
6. erw. u. überarb. Auflage 2007,
broschiert 278 S., 19,90 €.