Reisebericht von Graham Greene

Begegnungen mit Buschteufeln und Blitzemachern

Graham Greene sitzt auf einer Terrasse im Garten.
Der Schriftsteller Graham Greene. © Imago / United Archives
Von Sigrid Löffler · 04.08.2015
1935 machte sich Graham Greene auf, die weißen Flecken auf der Landkarte Liberias zu erwandern. Hier entdeckte der britische Autor das Thema seiner zukünftigen Romane: die spätkoloniale Realität in den trägen, traurigen Tropen, im verdämmernden britischen Empire.
Im Jahr 1935 war Graham Greene 30 Jahre alt, Autor dreier wenig erfolgreicher Romane und von Selbstzweifeln zermürbt. Da kam ihm die Idee, nach Liberia zu reisen. Er wollte den westafrikanischen Staat zu Fuß durchqueren und sich durch die Regenurwälder bis zur Küste nach Monrovia vorarbeiten. Greene hatte Europa nie zuvor verlassen und war ein völliger Amateur, was Reisen in Afrika betraf.
Literaturkritikerin Sigrid Löffler über das Buch "Reise ohne Landkarten" von Graham Greene
Literaturkritikerin Sigrid Löffler über das Buch "Reise ohne Landkarten" von Graham Greene© Deutschlandradio / Cornelia Sachse
Warum Liberia? Warum ein Fußmarsch durch eine weglose Wildnis, die noch nicht einmal kartographiert war? Die beiden einzigen existierenden Landkarten waren voller weißer Flecken, wo Kannibalen vermutet wurden und Flüsse, die es nicht gab. Eben dieser schlechte Ruf reizte Graham Greene. Die Zwielichtigkeit zog ihn an. Von Liberia erhoffte er sich den belebenden Ruck, der ihn vom Ennui, von der Langeweile und Todessehnsucht befreien sollte, seiner depressiven Grundstimmung seit frühen Jugendtagen. Kurz: Greene war auf der Suche nach Inspiration. Liberia versprach eine Zeitreise zurück in eine wilde Ursprünglichkeit, in die Kindheit der Menschheit, in eine vorzivilisatorische Unschuld. Es war auch eine Reise zur Erkundung der eigenen Grenzen – und darüber hinaus.
Doch ganz ohne westlichen Komfort wollte sich Greene auf dieses Abenteuer nicht einlassen. Er reiste in Begleitung seiner Cousine Barbara und in der üblichen Kolonialherren-Manier: versorgt mit Klappbetten, Badewanne, Wasserfilteranlage und zahllosen Kisten mit englischen Konserven, Whisky und Gin. 30 Träger, zwei Boys und ein Koch wurden angeheuert. Vier Wochen lang und über 350 Meilen hinweg schleppten die Träger den Krempel der Weißen – und zeitweilig auch diese selbst, wenn die vor Erschöpfung oder Fieberanfällen nicht weiter konnten. Aus seinen Notizen von unterwegs machte Greene 1936 seinen großen Reisebericht "Journey Without Maps", der eine Wende in seinem Werk markiert und nun erstmals vollständig auf Deutsch vorliegt, elegant übersetzt von Michael Kleeberg.
Erinnerung an frühkindliche Ängste
Der Fußmarsch erweist sich als ebenso kräftezehrende wie stumpfsinnige Strapaze. Einerseits. Die Karawane schleppt sich die immer gleichen öden Dschungelpfade entlang, von Dorf zu Dorf, in mörderischer Hitze und in Gewitterstürmen, die Träger maulen und meutern, die Nachtquartiere sind primitiv, durchwimmelt von Ratten, Kakerlaken und roten Ameisen. Sandflöhe bohren sich unter die Zehennägel, Hakenwürmer und Malariamücken sind zu fürchten.
Doch andererseits hat Greene auf diesem Treck die fremdartigsten Begegnungen – mit Häuptlingen, Hexen, maskierten Schmieden, die als tanzende Buschteufel, als Blitzemacher und Giftmischer fungieren, mit den Riten und Zeremonien der Geheimgesellschaften der verschiedenen Stämme, aber auch mit versprengten weißen Missionaren, Nonnen und Ärzten tief im Busch. Er lernt, die instinktive Freundlichkeit, die ihm in den Dschungeldörfern entgegenbracht wird, zu schätzen:
"Soviel Jungfräulichkeit gibt es nicht auf der Welt, als dass man es sich leisten könnte, sie nicht zu lieben, wenn man sie findet."
Mehr noch: Diese Reise ins liberianische Herz der Finsternis ist auch eine spirituelle Reise. Greene erfährt die magische Macht von Geisterglauben, Animismus und Ahnenkult und fühlt sich erinnert an seine eigenen frühkindlichen Ängste und Alpträume mit ihren Hexen und Gespenstern. Vor allem findet der Schriftsteller Greene in Liberia und im benachbarten Sierra Leone endlich das Thema, das Setting und das Personal seiner künftigen Romane: die spätkoloniale Realität in den trägen, traurigen Tropen, im verdämmernden britischen Empire, ein metaphysisches Schlachtfeld des Scheiterns und der Vergeblichkeit, von Greenes katholischem Glauben nur spärlich erhellt.

Graham Greene: Reise ohne Landkarten
Aus dem Englischen von Michael Kleeberg
Liebeskind Verlag, München 2015
368 Seiten, 22,00 Euro

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