Reise nach Jerusalem

Von Christian W. Find · 07.07.2012
In Jerusalem liegen einige der heiligsten Stätten von Judentum, Christentum und Islam, und das Zusammenleben dort war und ist nicht immer friedlich. Für zehn in Berlin ansässige Künstler ist Jerusalem nun ein Verbindungsglied, um sich mit Religion, Tradition und Tabu auseinanderzusetzen.
Zohar Fraiman, Trudy Dahan und Benyamin Reich stammen alle aus Israel - kennen gelernt haben sich die Künstler aber in Berlin, über ihre Auseinandersetzung mit ihrer jüdischen Tradition. Vor einem Jahr kam ihnen die Idee, neben jüdischen auch christliche und muslimische Künstler anzusprechen. Ihr Ziel war eine gemeinsame Ausstellung in einem säkularen Umfeld, wie Zohar Fraiman betont.

"Ich hab die Idee vorgeschlagen dem Künstlerhaus Jerusalem in Israel und auch hier dem Bethanien. Ich hab gesehen, dass wenn jemand spricht über Religion und Tradition, aber er hat selber keine Beziehung, Erfahrung, Blick darauf - das ist wie eine fremde Sprache für ihn."

Der Kunstraum Kreuzberg, in dem die Arbeiten zu sehen sind, befindet sich im Künstlerhaus Bethanien, das noch heute ein Symbol für politischen Widerstand ist, seit seiner Besetzung durch linke Gruppen in den 70er-Jahren. Bei der Auswahl der Arbeiten habe das eine Rolle gespielt, sagt Benyamin Reich. Kunstwerke, die als politische Äußerungen missverstanden werden könnten, wollten sie gerade hier nicht präsentieren.

"Als Zohar mir von der Idee der Ausstellung erzählte, fragte ich sie, was der Unterschied zu anderen Ausstellungen über Religion sein wird. Und sie sagte, zuallererst leben wir alle in Berlin und dann ist es eine Ausstellung, die das Heilige zusammenbringt, also es ist eine Suche nach dem Heiligen in dem Werk jedes einzelnen Künstlers, nach dem, was spirituell ist und eben nicht politisch. Vielleicht ist das auch ein Statement, dass es keine politische Ausstellung ist."

Antisemitische Konnotationen, die der Titel "Reise nach Jerusalem" auslösen könnte, weisen alle drei Künstler ausdrücklich von sich. Das gleichnamige Spiel, in dem ein Spieler nach dem anderen ausscheidet, beziehe sich eben nicht auf das Verschwinden von Juden aus Nazi-Deutschland, sondern auf die Pilger im Mittelalter, von denen viele auf den kleinen Schiffen in das Heilige Land keinen Platz finden konnten, sagt Trudy Dahan.

"Also für mich ist es erstmal, wir reisen wirklich nach Jerusalem. Das Projekt hat zwei Teile, einmal hier, einmal in Jerusalem, und das zweite ist, Jerusalem nicht als physischer Platz, sondern wirklich als so eine Heimatsuche, oder Zurückreise zu einem spirituellen Zentrum, deswegen 'Reise nach Jerusalem'. Also wir als Künstler, in einer sehr säkularen Atmosphäre, in der wir arbeiten, aber immerhin, diesen Willen nach einem spirituellen Center. Und es geht tatsächlich wirklich um diese Pilger, die immer wieder nach Jerusalem wollten, als einem spirituellen Zentrum, aber nicht konnten. Es hat immer wieder etwas nicht geklappt."

Von diesen Hindernissen, die den eigenen Zugang zu Religion und Tradition immer wieder erschweren, erzählen alle Arbeiten: in Fotografien von jungen Menschen, die wie Ikonen wirken; oder mit der Installation einer christlich-orthodoxen Kapelle, die von innen beleuchtet bedrohliche Schatten an dunkelgraue Wände wirft. Viele Bilder stellen sinnlich und provokant religiöse Rituale dar. Auf einem großen Ölgemälde, das aus Fragmenten besteht, zeigt Zohar Fraiman "Hadlakat Ha Ner", das jüdische Kerzenritual, in zwei Szenen zwischen Mutter und Tochter. In einem Fragment wirkt die Szene mit den beiden brennenden Kerzen friedlich wenn auch traurig. Von der Darstellung des Rituals geht schon eine subtile Bedrohung aus. Im anderen Fragment zeigt sich, dass die Beziehung zwischen Mutter und Tochter zerstört ist. Hier ist der Konflikt zu Tage getreten, er hat sich offenbart - die Kerzen sind verlöscht.

"Dieses Ritual mit den Kerzen, das ist sehr schön. Man macht es am Freitagabend, die Frauen zusammen, die Kerzen irgendwie bringen ein Licht ins Haus und irgendwie ist es das Ende der regelmäßigen Woche im Judentum und Shabbat fängt an. Das hat eine ganz intime und wunderschöne Situation; gleichzeitig gibt es da Rituale oder Ideen über Sexualität: wie sollen sie einen Partner auswählen oder heiraten? Diese ganzen Themen über Sexualität manchmal können viel Probleme machen."

Probleme, die Zohar Fraiman dazu herausforderten, die Tabus in ihrer Religion immer deutlicher zu benennen.

"Auch ganz viele meiner Bilder sprechen über Masturbierungen, und viele schämen sich. Also ich weiß auch selber, als ich religiös war, ich hatte viel mehr Scham über meinen Körper."

Dann gibt es noch diesen kleinen Raum mit dem knarrenden Fußboden. Das Geräusch, das sich hier beim Flanieren vor den Bildern einstellt, verstärkt die Wirkung der kleinen Gemälde von Pavel Feinstein. In altmeisterlicher Öltechnik bildet er Familienszenen ab, die an Opferungen erinnern. Feinstein wurde in Moskau geboren und emigrierte schon in jungen Jahren nach Berlin. Wie er konnten alle Künstler ihre Arbeiten nur in räumlicher Distanz zu ihrer Heimat entwickeln.

"Wenn man sich die Arbeiten anschaut und auch die Positionen und Herangehensweisen, merkt man, dass die Unterschiede gar nicht so groß sind. Also es gibt Unterschiede, jeder hat eine eigene Position, aber eben nicht in so einer Unterschiedlichkeit, wie sie immer wieder heraufbeschworen wird und in ihrer Konflikthaftigkeit auch als dramatisch dargestellt wird. Im Grunde genommen ist es jeweils ein Spiel oder ein Umgang mit Distanz und Nähe in allen Religionen."

Stéphane Bauer, der Kurator der Ausstellung, sieht gerade darin einen Ansatz, der den interreligiösen Dialog gelingen lassen könnte. Statt einer Benennung der Unterschiede zwischen den Religionen geht es ihm um die künstlerische Darstellung der Konflikte mit der je eigenen Religion. Dann steht nicht mehr die gegenseitige Infragestellung im Vordergrund, auch nicht der Bruch mit den Tabus und Traditionen, sondern die spannende Frage, wie jeder und jede sich mit ihnen in Beziehung setzt. Das hier beobachten zu können und darüber vielleicht ins Gespräch zu kommen, sei das Neue, das die Ausstellung ihren Besuchern biete, sagt Bauer.

"Also es ist eben keine Ausstellung, die zum Skandal taugen wird. Aber vielleicht dann doch, weil sehr viele Arbeiten sehr subtil sind und natürlich sehr persönliche Fragestellungen aufwerfen, und dieser sehr persönliche Zugang hat natürlich auch was Brisantes."

Die "Reise nach Jerusalem" entpuppte sich schon wenige Stunden nach ihrem Beginn als große gemeinschaftliche Suche. Noch spät in der Nacht standen die Besucher bei der Ausstellungseröffnung in kleinen Gruppen zusammen und diskutierten. Trudy Dahan, die mit ihren filigranen Scherenschnittmustern auf zarten Papierservietten ihre Suche nach der eigenen Identität zeigt, ist sich sicher, dass jeder, der sich auf diese Reise begibt, etwas für sich mit nach Hause nehmen kann.

"Ich finde, in meinem Blick sieht das so aus, dass wir alle Menschen sind und dass eigentlich alle Religionen sehr ähnlich zueinander sind und auch dieselben Konflikte aufbauen. Deswegen sprechen wir alle dieselbe Sprache eigentlich. Die Konflikte, die jeder stellt, sind sehr persönliche Konflikte und sehr klein manchmal auch, und deswegen hat es soviel Kraft."

Veranstaltungstipp: Am Donnerstag, den 26.Juli um 19 Uhr findet ein Gespräch mit den Künstlerinnen und Künstlern und dem Kurator Stéphane Bauer im Kunstraum Kreuzberg am Mariannenplatz in Berlin Kreuzberg statt.

Homepage des Kunstraums Kreuzberg
Mehr zum Thema