Reise durch den wilden Osten

17.05.2013
Seit 40 Jahren gehört das Grand Prix Finale im Fernsehen für die Autorin und Musikerin Christiane Rösinger zur Pflicht. Einmal live dabei zu sein - diesen Traum erfüllte sie sich 2012 und reiste über den Landweg nach Aserbaidschan. Von dieser Reise erzählt sie in ihrem Hörbuch.
"Der Grand Prix gehört in meiner Erinnerung zu den schönsten archetypischen Samstagabend-Fernseherlebnissen. Der Vater ist beim Kartenspielen im Wirtshaus. Mama und ich holen uns Getränke, Salzstängle, und Erdnusswürmle und machen es uns im Wohnzimmer gemütlich."

Grand Prix: Wer den Eurovision Songcontest bei seinem früheren Namen nennt, der ist ein "alter - Hase", der kennt sich richtig aus. Eins wird hier klar: Grand Prix gucken ist für Christiane Rösinger - die Kreuzbergerin mit der hörbar badischen Vergangenheit - seit vier Jahrzehnten Pflicht. Nicht berufsbedingt, sondern aus Treue zu einem Highlight früher Kindertage:

"Was es da für Länder und Sprachen gab und wie seltsam sich das anhörte - Finnisch und Isländisch wurde da gesungen - aber am besten gefiel mir die stundenlange Punktevergabe, Germany zero points, Allemagne, zero points, Deutschland null Punkte ... bis zum Auftritt von Abba. Da wurde aus dem allgemeinen Stoff- und Spracherlebnis plötzlich ein Pop-Erweckungserlebnis: Bei "Waterloo" war einfach alles anders. Das rasant-fröhliche Lied in Dur, die Sängerinnen nicht mehr so spießige Trutschen mit biederen Frisuren, sondern ganz bunt poppig und quicklebendig. Die Musiker am Keyboard und der silbrig-glänzenden Gitarre in Sternenform lachten und das Auftreten und Spielen schien ein richtiger Spaß zu sein. Es war ein ästhetischer und musikalischer Bruch mit dem zuvor Dagewesenen. Eine Ahnung von Glam-Pop war ins deutsche Fernsehen gekommen."

Jahrzehnte nach Abbas Triumph in Brighton befördert ein Sieger-Pärchen aus Aserbaidschan die Stadt Baku ins ESC-Zentrum. Das soll in Europa liegen? Wie es da wohl aussieht? Pure Neugierde treibt Rösinger und ihre Reisegefährtin Frau Fiercke - die Nachbarin - an. Der Weg ist das Ziel, und so braucht das Hörbuch mehr als zwei Stunden, bis Baku endlich erreicht ist.

"Sagen wir mal so: Wem es in Dubai, Stuttgart oder Singapur gefällt, der wird auch hier alles super finden. Sind wir wirklich 4.800 Kilometer gefahren, um unter Kronleuchtern und Marmor-Unterführungen zu fahren und durch ausgestorbene Prachtstraßen mit leeren Dolce & Gabbana-, Dior-, Gucci-, Armani-Boutiquen zu gehen?"

Liebe wird oft überbewertet, heißt ein berühmter Song von Christiane Rösinger. Auch Reiseziele werden oft überbewertet. Nicht touristische Ortsbeschreibungen, sondern die kleinen Betrachtungen am Wegesrand im trocken-abgeklärten Rösinger-Sound sind die eigentlichen Höhepunkte. Wenn es um nervenzehrende Bemühungen geht, bei diversen Zitat: "verbrecherischen Autohändlern" in Brandenburg einen Kleinbus zu erwerben, oder um depressive Kellner in menschenleeren Hotel-Lobbys, oder um allgemein philosophische Betrachtungen übers Unterwegssein:

" ... denn das Rumfahren ist immer das Schönste. Die stille Grundtrauer, die den Melancholiker doch immer und überall begleitet, die lässt beim Fahren ein bisschen nach, denn man hat ja was zu tun , vorwärts kommen, Kilometer und Landschaften hinter sich lassen. Fahrend hat plötzlich alles ein bisschen mehr Sinn."

Serbien, die Türkei, Bulgarien Georgien ... je fremder die Bilder jenseits der Autoscheiben werden, desto intensiver kehrt Christiane Rösinger zurück in die eigene Biographie. Im Kapitel "Männer, die auf Ziegen starren" über stoische bulgarische Schafshirten erinnert sie sich an ihre Teenager-Traum, Schäferin zu werden – damals litt sie besonders stark an "Zivilisationsmüdigkeit".

Das hat sich übrigens auch in der Gegenwart nicht groß geändert. Deshalb kommt Christiane Rösinger auf dieser Reise durch den wilden Osten, trotz eines enttäuschenden Ziels, unterwegs doch auf ihre Kosten – genau wie der geneigte Hörer, auch wenn leider kein einziger Takt Musik erklingt.

"Wir zählen auf, was wir schön finden am Kaukasus, das noch Unerschlossene, Unverbaute, nicht Verschandelte, Versesselliftete, Touristifizierte. Berge, die noch nicht zugebaut sind von Hotels, sondern die nackt und erhaben daliegen wie seit Urzeiten - oder die Szene, als eine Gruppe von Wildpferden die Straße entlanggaloppiert, im Hintergrund die hohen Berge ohne Spuren einer modernen Zivilisation."

Besprochen von Olga Hochweis

Christiane Rösinger: "Berlin - Baku. Meine Reise zum Eurovision Song Contest"
Tacheles Hörbuch und Roof Music
2 CDs, Laufzeit 2 Stunden, 28 Minuten, 14,99 Euro