Reise

Auf Grenzpfaden

Von Jonathan Scheiner · 11.07.2014
Nach dem Ende seines Jobs in Tel Aviv hat sich der Nahost-Korrespondent Fredy Gareis ein Fahrrad gekauft und ist die gut 5.000 Kilometer nach Hause geradelt. Dabei entstand ein wahrhaftiger, sehr lesenswerter Reisebericht.
"Links schwappt das Meer sanft an den Strand, rechts in den Gassen zwischen den Häusern regieren die Katzen. Ganze Banden marodieren durch die Straßen. Tel Aviv riecht salzig nach Meer und sauer nach Katzenpisse."
"Im Norden der Stadt biege ich auf den Radweg am Yarkon-Fluss ab. Fahre unter den Kronen der Platanen und Eukalyptusbäumen entlang. Atme die Luft dieser grünen Lungen, die um diese Jahreszeit noch frisch ist."
Das klingt nach einer launigen Radtour, die der Journalist Fredy Gareis durch Tel Aviv gemacht hat. Dort hat er als Nahostkorrespondent gearbeitet. Doch statt nach dem Ende seines Jobs mit dem Flieger nach Berlin heimzukehren, hat sich der junge Mann ein gebrauchtes Fahrrad gekauft und ist mal eben nach Hause geradelt. Bergauf, bergab, Tag für Tag, Woche für Woche. Insgesamt 5114 Kilometer ist Fredy Gareis gestrampelt. Seine Erlebnisse zwischen Schlagloch und Leitplanke, zwischen kläffenden Hunderudeln und hupenden Sattelschleppern hat er aufgeschrieben. Seine "Geschichten von tausendundeiner Straße" sind nun im Malik Verlag erschienen.
"Das hatte ich mir aber anders vorgestellt. Die Auspuffgase der Fahrzeuge wie der Atem eines Tyrannosaurus. Ich bin Freiwild auf dieser Straße. Noch dreißig Kilometer bis Ramallah."
Fredy Gareis hat etwas gemacht, wovon viele Israelis nicht mal zu träumen wagen. Er hat mit seinem Tretesel Grenzen überwunden, die unpassierbar scheinen. Aber was heißt schon unpassierbar? Noch bevor er auf direktem Wege von Israel in den Libanon fährt, was ihm Dank eines deutschen Passes rein theoretisch möglich gewesen wäre, wird er zunächst einmal ganz schnöde ausgeraubt.
Auch eine Reise ins Innere
Und so gerät seine Radtour gleich zu Beginn nicht zur Schussfahrt ins Glück, sondern zu einer Odyssee. Eine Irrfahrt, die zur Reise zu sich selbst wird.
"Für mich auf jeden Fall war das Wichtigste auf der Reise diese lange Zeit mit mir selbst zu haben. Dass man endlich mal wieder nach Innen telefoniert auf dieser Reise. Man hat acht bis zehn Stunden auf dem Fahrrad und irgendwann will der Geist mit etwas anderem beschäftigt werden als einfach nur in die Landschaft zu gucken, was ja sowieso nur wie eine sich langsam ändernde Theaterkulisse ist.
Und das ist auch einer der Ausgangspunkte, die für mich wichtig waren, diese Radreise zu machen: Alles hinter mir zu lassen und die Verbindungen abzubrechen. Keine Kommunikationswege nach außen zu haben und einfach mal zu schauen: Wo stehe ich im Leben? Bin ich zufrieden damit? Wie mache ich weiter? Wo gehe ich hin?"
Fredy Gareis ist kein "Iron Man". Er ist Journalist. Es ging es ihm nicht um die Überwindung der Wegstrecke, sondern um die Geschichten der Menschen, die er unterwegs getroffen hat. Zum Beispiel die junge Liron Mark, die ihre regelmäßigen Besuche in Yad Vashem "als Tribut an ihr jüdisches Volk" versteht.
Wie das Fahrrad verbindet
Oder den jordanischen Teppichhändler mit dem geläufigen Namen Saddam Hussein, der den Reisenden am Ende der strapaziösen Tagesettape mit köstlichem Tee wieder aufgepäppelt. Oder den Marathon-Läufer Mahmoud, den Fredy Gareis durch das Flüchtlingslager Schatila begleitet.
Wegen all dieser Menschen haben sich die Strapazen gelohnt – ob der Weg nun über einen der berüchtigten Drogenpässe im albanischen Hochland führte oder nach Auschwitz, wo der Autor bilanziert, dass der "Tod leider nicht nur ein Meister aus Deutschland" ist.
Fredy Gareis hat dutzende von Grenzen überwunden. Sein Buch zeigt, dass sich die Mauern vor allem in den Köpfen der Menschen befinden. Und dennoch ist eine der wichtigsten Erkenntnisse auf dieser Reise die großartige Gastfreundschaft, die dem Fremdling entgegengebracht wurde, diesem "Deppen auf dem Fahrrad".
"Hör zu, egal wo du hinkommst, es kann auch die gefährlichste Gegend sein: Die Leute sehen dich und denken: Was ist denn das für ein harmloser Idiot, du wirst als harmlos zum einen wahrgenommen und zum anderen weckst du in den Leuten Beschützerinstinkte – ok, den müssen wir füttern, der sieht ziemlich abgemagert aus auf diesem Rad, das muss anstrengend sein, wir müssen ihn bewirten.
Und natürlich: Die Leute wollen deine Geschichte wissen. Das heißt, sie kommen unmittelbar auf dich zu und dieses ganze Problem eines Journalisten, Vertrauen aufzubauen... gibt’s einfach nicht mehr, weil das Fahrrad übernimmt diese Arbeit."
Fredy Gareis ist als Reiseschriftsteller kein weitgereister Exot wie Bruce Chatwin. Und er ist auch kein Helge Timmerberg, der noch die beiläufigste Begebenheit zu einer poetischen Märchenstunde macht. Doch Fredy Gareis hat einen Ton der Wahrhaftigkeit gefunden, der im Journalismus und auch in der Literatur von heute eine Seltenheit ist. Wenn das das Resultat seiner Reise zu sich selbst ist, dann sind wir als Leser die glücklichen Nutznießer seiner "Geschichten von tausendundeiner Straße". Ein tolles Buch! Zum Lesen und zur Nachahmung empfohlen!

Fredy Gareis: "Tel Aviv - Berlin. Geschichten von tausendundeiner Straße"
Malik Verlag 2014
286 Seiten, 19,99 Euro

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