Reinhard Kaiser: "Der glückliche Kunsträuber"

Der größte Kunstdieb aller Zeiten

Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Porträt des französischen Künstlers, Kunstsammlers und Diplomaten Dominique-Vivant Denon (1747-1825) © imago / Leemage
Von Eva Hepper · 20.05.2016
Er war auch als "Auge Napoleons" bekannt: der französische Kunstexperte und Sammler Dominique-Vivant Baron Denon. Reinhard Kaiser hat über das heute vergessene Talent die erste deutsche Biografie geschrieben − ein spannendes Porträt.
Diese Ausstellung war atemberaubend und einmalig: 1807 zeigte der Louvre Statuen, Büsten, Bronzen und andere Altertümer gemeinsam mit Gemälden von Lucas Cranach, Rembrandt, Rubens oder Martin Schongauer, um nur die (heute) Berühmtesten zu nennen. Die Schau wurde ein Riesenerfolg, sogar Besucher aus dem deutschen Ausland schwärmten.
Dabei handelte es sich um Beutekunst von dort; genauer: aus Preußen. Ausgewählt wurden die Stücke von einer Kunstkommission, die Napoleons Grande Armée auf ihren Feldzügen begleitet hatte. Allen voran kein geringerer als der Direktor des Louvre selbst: Dominique-Vivant Baron Denon.
"Er hat einen Kunstblick, der einzig ist, den Wert der Originalität, den Meister und das Zeitalter zu erkennen", schrieb der deutsche Bildhauer Johann Gottfried Schadow über das "Auge Napoleons". Andere bezeichneten Denon als größten Kunstdieb aller Zeiten. Tatsächlich gilt der begnadete Kunstexperte, der Napoleon durch halb Europa und bis nach Ägypten folgte, als eine der schillerndsten Figuren Europas zur Zeit der Umbrüche Ende des 18. Jahrhunderts. Nun legt Reinhard Kaiser die erste deutsche Biografie über den Abenteurer und Lebenskünstler vor.

Augen geschult in Sankt Petersburg

Als Napoleon Vivant Denon zum Direktor des Louvre ernannte (1802-1815), hatte dieser schon ein halbes Leben hinter sich. 1747 in Burgund geboren, weilte er unter Ludwig XV. in diplomatischen Diensten in Sankt Petersburg und schließlich in Italien. Hier hatte der Baron sein Auge geschult, eine stattliche Kunstsammlung zusammengetragen, auch selbst als Künstler gearbeitet und Bekanntschaft mit Stendhal, Voltaire und Goethe gemacht.
Erst die Umwälzungen der Französischen Revolution brachten Denon wieder nach Paris und führten ihn schließlich im Gefolge Napoleons durch sämtliche großen Museen und Sammlungen der französisch besetzten Gebiete und an die Spitze des Louvre. 1793 war das einstige Königsschloss zum Kunstmuseum umgewandelt worden, und die Werke, die Denon zusammentrug, übertrafen in Zahl und Qualität sogar die Bestände des heutigen Museums.

Auch ein feines Porträt der Epoche

Kaisers Biografie liest sich äußerst spannend. Er versteht es meisterhaft, Denons mitunter ans Sagenhafte grenzenden Erlebnisse detailreich zu schildern – sei es die Bekanntschaft mit der italienischen Inquisitionsbehörde oder mit Joséphine, der späteren Kaiserin. Da der Autor auf viele zeitgenössische Quellen und vor allem auf Denons (350) Briefe an seine venezianische Geliebte Isabella Marin zurückgreifen kann, gelingt ihm auch ein feines Porträt von Denons Persönlichkeit und schließlich der gesamten Epoche.
Dass der Louvre die meisten Beutestücke nach Napoleons Niederlage wieder hergeben musste, ließ den feinsinnigen Kunstexperten abdanken. "Ich sehe zu, wie mein Leben zunichte gemacht wird", schrieb Denon an seine Geliebte, "allerdings ohne dass mein Ansehen schwindet".
200 Jahre später ist Dominique-Vivant Denon fast vergessen. Reinhard Kaiser rückt den faszinierenden Kunstliebhaber, der bis zu seinem Tod 1825 als Privatmann weiter sammelte, nun endlich wieder ins Licht.

Reinhard Kaiser: Der glückliche Kunsträuber. Das Leben des Vivant Denon
399 Seiten, C.H. Beck
München 2016, 24,95 Euro