"Reiner Aktionismus"

03.09.2013
Sollten ehemalige KZ-Aufseher vor Gericht gestellt werden? Der Historiker Michael Wolffsohn ist strikt dagegen. "90-Jährige vor Gericht zu stellen, bringt überhaupt nichts."
Die Zentralstelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen will 30 Verfahren an die Staatsanwaltschaften übergeben. In den Fällen geht es um ehemalige Aufseher im Konzentrationslager Auschwitz. Die Staatsanwaltschaften müssen nun entscheiden, ob sie Anklage wegen Beihilfe zum Mord erheben.

Der Historiker Michael Wolffsohn lehnt weitere Gerichtsverfahren gegen ehemalige KZ-Aufseher strikt ab. Er meint: Durch einen Prozess werde man weder "Recht noch Gerechtigkeit erreichen". Im Gegenteil: Die Täter würden "quasi als Märtyrer" dastehen.

Wolffsohn nannte als warnendes Beispiel den Prozess gegen den NS-Kriegsverbrecher John Demjanjuk. Die Reaktionen seien von Mitleid und nicht von Genugtuung geprägt gewesen. Das Urteil gegen Demjanjuk habe "nur" fünf Jahre betragen. Das habe zwar den Rechtsvorschriften entsprochen, mit Gerechtigkeit habe das aber nicht zu tun.

In den aktuellen Fällen sprach Wolffsohn von "reinem Aktionismus". Warum komme diese "Erfolgsmeldung" erst jetzt - fast 70 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz? Es gehe offenbar auch um die Existenzberechtigung einer Behörde, kritisierte der emeritierte Geschichtsprofessor an der Münchner Universität der Bundeswehr.

Anstatt 90-Jährige vor Gericht zu stellen, erreiche man mit der Ächtung der Täter viel mehr. Diese hätten durch die Tatsache, dass sie versteckt gelebt hätten, gemerkt, "eigentlich tragen sie ein Kainszeichen". Zentral sei auch die kontinuierliche Aufarbeitung der NS-Verbrechen. Diese Aufarbeitung müsse weitergehen, selbst wenn alle Opfer und Täter gestorben seien.


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