Reihe "Unerhörte Orte"

Konzert auf Schiffspropellern

Ein 32 Tonnen schwerer Schiffspropeller mit einem Durchmesser von sieben Metern aus der Gießerei Mecklenburger Metallguss in Waren an der Müritz (Mecklenburg-Vorpommern) wird am 19.12.2014 mit Hilfe von zwei Kränen aufgestellt.
Ein 32 Tonnen schwerer Schiffspropeller mit einem Durchmesser von sieben Metern aus der Gießerei Mecklenburger Metallgus: Solche Propeller können auch als Musikinstrumente genutzt werden. © dpa / picture alliance / Jens Büttner
Von Silke Hasselmann · 17.07.2015
Eines hat die riesige Produktionshalle der Mecklenburg Metallguss GmbH Waren noch nicht erlebt: ein Klassikkonzert. Beim Auftakt der Konzertreihe "Unerhörte Orte" spielt der mehrfach preisgekrönte Perkussionist Alexej Gerassimez auf Schiffspropellern, die dort gefertigt wurden.
Solche sphärischen Klänge holt Alexej Gerassimez aus einem Schlaginstrument, das wenig bekannt ist: die Marimba. Am Donnerstagabend verblüffte und bezauberte der Perkussionist das Festspiele-Publikum im Lokschuppen der vorpommerschen Kleinstadt Pasewalk. Wenn Gerassimez und seine drei Kollegen am heutigen Freitagabend in der Schiffspropeller-Halle in Waren an der Müritz zum Percussion-Gipfel aufspielen, werden sie ebenfalls die Marimba dabei haben - für Eigenkompositionen wie diese, aber auch für fünf Stücke aus Tschaikowskis "Album für die Jugend op. 39". Die habe er eigens für Schlaginstrumente arrangiert, obwohl er das nur ausnahmsweise tue, erzählt 28-Jährige. Denn die meisten klassischen Stücke seien für andere Instrumente geschrieben und funktionierten einfach nicht mit dem Schlagzeug.
"Wenn ich aber das Gefühl habe, dass ich dem Stück, das für andere Instrumente geschrieben worden ist, eine andere Richtung geben kann, dann mache ich das natürlich. Das habe in diesem Fall getan. Der Tschaikowski zum Beispiel, diese Kinderlieder - das auf Marimba? Ich hatte sofort die Vision, tja, und ob das funktioniert, kann man dann live erleben."
Extra komponiertes Stück für Schiffspropeller
In Pasewalk hat es bestens funktioniert. Genau wie die überwältigende Uraufführung von "Rotox", bei dem die vier Musiker die Zuschauer in der Halle mit unterschiedlichen Schlaginstrumenten umstellt hatten und ein quadrophones Feuerwerk im wahrsten Sinne des Wortes um die Ohren bekamen. Phantastisch schon in dem Lokschuppen. Wie das wohl erst heute Abend in der Schiffsschraubenhalle Waren klingen mag, dem bislang "unerhörten Ort"?
"Es ist unglaublich spannend, auch in solchen Locations zu spielen. Also da, wo bis jetzt noch nie wirklich Musik erklungen ist außer vielleicht aus dem Radio, das die Arbeiter nebenher laufen haben. Da zu stehen und die Schiffsschrauben zum Erklingen zu bringen oder überhaupt dort zu spielen - das wird ganz spannend."
Denn der mehrfach preisgekrönte Perkussionist hat auch für Waren extra ein Stück komponiert, bei dem er und seine Kollegen Schiffspropeller bespielen werden. Dass die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern auch in seiner Produktionshalle stattfinden sollen, fand der Firmenchef übrigens so gut, dass er dem Musiker eigens fünf Test-Propeller schicken ließ - der kleinste rund zwei Meter im Durchmesser. Diese sogenannten Schiffsschrauben schlug, trommelte, kratzte, streichelte, hämmerte Gerassimez - immer auf der Suche nach Klängen.
Nächster "Unerhörter Ort" ist Nazi-Erholungsanlage Prora
Erstaunlich, dass die Weltmarktführer aus Waren das zulassen, achten sie doch bei der Oberflächenbehandlung ihrer Propeller auf millimetergenaue Präzision. Was, wenn die Perkussionisten Dellen hineinschlagen? Ach was, lacht Alexej Gerassimez:
"Man muss sich ja vorstellen, was diese Propeller bewegen. Also die bewegen ja zig Tonnen im Wasser, und so'n Propeller, den ich im Proberaum habe, der wog 200, 250 Kilo. Wenn ich mit meinen Stöckchen ein bisschen drauf rumtrommele, dann macht denen das gar nix. Da muss man schon mit 'nem Zug drüber fahren, dass da mal 'ne Schramme reinkommt. Da mache ich mir keine Sorgen. Interessant ist eigentlich, wie der ganze Propeller an sich klingt, also was es bedeutet, aus welchem Material er ist oder wie der geschwungen ist."
Übrigens: der nächste "Unerhörte Ort" wird am 24. Juli der "Koloss von Prora" sein. In dem 4,5 Kilometer langen Betonriegel an Rügens Ostseeküste hatten die Nazis einst eine "Kraft-durch-Freude"-Erholungsanlage für 20.000 Menschen schaffen wollen. Sie wurde nie fertig und bezogen. Später nutzte die NVA die Riesenanlage. Nun ergreifen die Festspiele Besitz von ihr - mit einem Preisträgerkonzert des Pianisten Igor Levit. Bislang klassikfreie Spielstätten und somit "Unerhörte Orte" sind auch die Druckerei der Tageszeitung "Nordkurier" in Neubrandenburg sowie der architektonisch wundersame Müther-Rettungsturm am Strand von Binz. Doch erst einmal kann sich das Publikum auf das heutige Schlagfeuerwerk in der Schiffspropellerhalle Waren/Müritz freuen.

Karten für das Konzert von Alexej Gerassimez am 17. Juli 2015 in Waren und mehr Informationen zu der Konzertreihe "Unerhörte Orte" der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern auf deren Webseite