Reihe Schöne Paare: Ungewöhnliche Kulturbeziehungen

Fußballfans machen Theater

Fans von Eintracht Braunschweig im heimischen Stadion
2. Bundesliga - 1. Spieltag: Eintracht Braunschweig - SV Sandhausen am 26.07.2015 im Eintracht Braunschweig Stadion. Eintracht Braunschweig Fans halten Plakate zu Beginn der Partie hoch. © picture alliance / dpa / Alexander Körner
Von Alexander Budde · 03.01.2016
Das theatralische Treiben der Fußballfans von Eintracht Braunschweig beeindruckt auch die Profis vom Staatstheater Braunschweig. Chefdramaturg Axel Preuß hat den Cheftrainer schon von einer Zusammenarbeit überzeugt. Im Frühjahr werden auch Fans als Laiendarsteller auf der Bühne stehen.
An einem Sonntag im Dezember sitzt Axel Preuß hoch oben im Olymp des Stadions. Ergriffen lauscht er den an- und abschwellenden Schlachtgesängen. Kein Zweifel: Der Chefdramaturg des Staatstheaters Braunschweig ist ein Fan der runden Sache.
"Das ist einmalig beim Fußball, wenn die Gesänge hin und her wogen und auch gegenseitig die Fangruppen sich dadurch anfeuern, indem sie sich gegenseitig dissen! Ich sehe mit tiefer Zuneigung in die Kurve, weil ich selber auf dem Fußballplatz groß geworden bin."
Unten auf dem Spielfeld geben sich die Gäste aus Kaiserslautern unbeteiligt. Noch kurz vor dem Anpfiff müssen sie erdulden, wie sich Fußball-Zweitligist Eintracht Braunschweig für 120 Jahre überaus bewegter Vereinsgeschichte feiern lässt. Rhythmisches Klatschen dringt aus dem blau-gelben Fahnenmeer der Ultras.
"Der Vorsänger ist wie der Chorführer in der Antike: Er steht im Dialog mit der Kurve, mit den singenden Fans, und natürlich ist er derjenige der sehen muss, welche emotionale Situation die Mannschaft gerade durchleidet – und in Folge dessen muss er, wenn er gut ist, auch darauf reagieren – indem die Kurve eben maximal supportet, wenn es der Mannschaft vielleicht nicht gut geht."
Das Drama beginnt – und natürlich spielt es sich vor vollbesetzten Rängen ab. Axel Preuß sagt, dass sein Besuch im Stadion auch der Recherche dient. In der fünften Ausgabe der "Themenwoche Interkultur" will der Theatermann ausgewählten Eintracht-Fans eine Bühne bereiten, um von ihrer Leidenschaft zu erzählen. Wenn das Theater überleben will, muss es sich öffnen, warnt der Chefdramaturg. Seit einigen Jahren mühen sich die Künstler mit partizipatorischen Projekten. Im Stadion wähnt Preuß die Bewohner der Löwenstadt in ihrer ganzen kulturellen Vielfalt versammelt, einzigartig im Zusammenhalt.
"Vom Oberbürgermeister bis zum Studenten, vom Hartz IV-Empfänger bis zum Arbeiter bei VW – es sind alle hier! Alle Menschen, die in Braunschweig vertreten sind, finden Sie hier wieder mit all ihren Meinungen, Bedürfnissen und Emotionen. Wenn es uns am Theater wirklich gelänge, in gleicherweise das Publikum sozusagen übergreifend für sich zu gewinnen … Jaaaa! … Da ist er drin – ein wunderschönes Tor!"
Torsten Lieberknecht hat die Eintracht einst aus der Versenkung bis in die erste und zweite Liga geführt, als Patriot mit Weitblick duldet der Cheftrainer nun auch die zarte Annäherung der Kulturschaffenden.
"Das Theater spielt für Braunschweig – und wir mit der Eintracht spielen auch für Braunschweig! Wir haben schöne Momente auch zusammen erlebt mit der Kultur hier in Braunschweig und deswegen war das für mich sofort ein Thema, wo ich gesagt habe, da bin ich bereit – auch im Namen der Eintracht – als Cheftrainer mich zur Verfügung zu stellen."
Leidenschaft auf beiden Seiten
Bis zur Premiere im April ist nicht viel Zeit. Zweieinhalb Monate sollen die Laiendarsteller probieren. Regisseur Michael Uhl rückt den Fans mit Schreibbock und Mikrofon zu Leibe.
"Da ist eine Neugierde, Menschen zu treffen, die dem Verein und dem Fußball ja doch einiges unterordnen. Und das ist mir ehrlich gesagt ein bisschen fremd. Für mich ist das gerade auch eine Reise zurück zu den Wurzeln – wo Fußball herkommt. Fußball ist unser wichtigstes Gesellschaftsspiel, das wir spielen. Es ist ein Bereich in unserer Gesellschaft, in dem noch Freiräume da sind. Die aber auch immer mehr – weil ja auch immer mehr Geld damit verdient wird –, sich immer mehr einschränkt oder reproduzierbarer wird. Es interessiert mich, wie mit so einem Freiraum umgegangen wird. Und da sind Fans auch sehr spannende Gesprächspartner!"
Ein aufmunterndes Lächeln hier, ein zärtliches Schulterklopfen dort: Lässig spielt Uhl den Reporter an zwei Fans heran, die beim Theaterstück "Eintracht ist unser Leben!" mitmachen wollen.
"Ich bin Nuriay. Ich habe Karten gewonnen vor 15 Jahren, Freikarten im Radio. Bin dann das erste Mal mit meinen Kindern hierhergekommen. Und das war's, das erste Mal hat mich gleich infiziert, und seitdem: jedes Heimspiel, Auswärtsspiel – alles dabei!"
"Mein Name ist Erik, ich bin hier in Block acht in der Südkurve zuhause. Ich habe großen Respekt vor dem Theater, weil es ist eine komplett werbefreie Zone in unserer kommerzialisierten Gesellschaft – und man geht dorthin, zahlt einen geringen Beitrag an Eintritt und bekommt dafür aber eine werbefreie Fläche mit Darstellern, die einfach Leidenschaft ins Stück einbringen!"
"Wir feuern unsere Mannschaft an. Wenn wir Niederlagen haben sind wir alle traurig, wenn wir gewinnen ist das wie ein Geburtstag in der Familie!"
"Die Leidenschaft ist auf jeden Fall auf beiden Seiten gleich, denke ich. Beide Seiten haben richtig Lust, voneinander zu lernen, miteinander zu arbeiten!"
Auf dem Spielfeld hapert die Eintracht an diesem Sonntag mit der Ensembleleistung. Mehr als ein maues Unentschieden gegen die Pfälzer ist nicht drin. Michael Uhl ist dennoch auf seine Kosten gekommen. Der Regisseur genießt den Zauber des Unbändigen:
"Es gibt ein paar Akteure, die Spieler sind, genauso wie es Spieler auf der Bühne gibt. Es gibt ein paar Regeln – aber was passiert, weiß man nicht als Zuschauer. Und im guten Theaterstück weiß man das auch nicht. Es gibt eben nur den Moment, den man gemeinsam erlebt!"

Reihe "Schöne Paare: Ungewöhnliche Kulturbeziehungen"
Kann Baukunst unser Seelenheil befördern? Braucht die Kunst die Hilfe der Wissenschaft? Was passiert, wenn Fußballfans Theater machen? In der Reihe "Schöne Paare" stellen wir Institutionen vor, die sich auf eine Weise zusammenschließen, die wegweisend ist.
Hören Sie vom 1. bis 5.Januar täglich einen Folge in "Fazit" ab 23.05 Uhr.

Freitag 1.1.
Heilende Architektur: Wenn ein renommiertes Architekturbüro mit der Berliner Charité zusammenarbeitet
Von Jochen Stöckmann

Samstag 2.1.
"Kunst-Lab!" im Max-Planck-Institut Frankfurt/Main
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Sonntag 3.1.
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Von Alexander Budde

Montag 4.1.
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Dienstag 5.1.
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