Reihe: Museen jenseits der Norm (1)

Ein Ort für das Unterbewusstsein

Mitbegründer der Fluxusbewegung: Benjamin Patterson (1934-2016)
Ben Patterson © picture alliance / dpa / Felix Hörhager
Von Ludger Fittkau · 01.08.2016
Ben Patterson, einer der Mitbegründer der Künstlerbewegung "Fluxus", starb Ende Juni in Wiesbaden. Hinterlassen hat er der Stadt sein "Museum für das Unterbewusstsein".
Ein bronzener Gullideckel auf dem Bürgersteig an der Wilhelmstraße in Wiesbaden - der Prachtstraße, an der auch Kurhaus, Spielcasino und Theater liegen. Auf dem Gullideckel die Aufschrift: "Museum für das Unterbewußtsein. Eingang Wiesbaden". Der im Juni verstorbene Fluxus-Mitbegründer Ben Patterson ist der Erfinder dieses virtuellen Museums, zu dem es weltweit Eingänge gibt:
"Hier in Wiesbaden, den Gullideckel hatte ich gesehen und sofort - das musste es sein!- Der Eingang wurde 2012 hier eröffnet oder zugänglich gemacht. Das ganze Projekt existiert schon mit Eingängen seit 1996. Der erste Zugang wurde in Namibia gemacht, der zweite dann in Israel. Es gibt einen in Argentinien, einen in den USA."
… sagt Kunsthistorikerin Elke Gruhn von Nassauischen Kunstverein Wiesbaden. Der Verein betreibt seine Ausstellungsräume in einer prachtvollen Stadtvilla unmittelbar an der Stelle, in den der Gullideckel von Ben Patterson in den Bürgersteig eingelassen ist.
Im Foyer des Kunstvereins liegen Flyer mit Willenserklärungen aus, die Ben Patterson gestaltet hat und die ein Teil des "Museums für das Unterbewusste" sind.
"Für das Unterbewusstsein - wir haben viel Platz."
Das Patterson-Formular ähneln einer Einwilligungserklärung für einen Organspende-Ausweis. Doch nicht um die Transplantation von Nieren oder Herzen geht es hier, sondern um die schriftliche Einwilligung in die Spende des eigenen Unterbewussten, der Psyche. Der Nassauische Kunstverein sammelt und archiviert die unterschriebenen Spende-Formulare zu diesem immateriellen Teil des Menschen, wie ein Notar eine Patientenverfügung hütet. Elke Gruhn vom Nassauischen Kunstverein wird so zur Anwältin des Unterbewussten, das Patterson in Wiesbaden seit den späten 80er-Jahren besonders beschäftigte:
"Es kamen dann so erste Gedanken auf, was passiert eigentlich mit dem Unterbewusstsein, wenn man stirbt. Wir alle beschäftigen uns mit unseren Organen."

Subtil und humorvoll

Pattersons Idee eines "Museums für das Unterbewusstsein" muss man somit als einen subtil-humorvollen Kommentar des Fluxus-Künstlers zum Entstehen der Transplantationsmedizin seit Ende der 1960er-Jahre begreifen. Ben Patterson entwirft eine - symbolische - Willenserklärung für den Umgang mit der Psyche des Menschen nach dem sogenannten "Hirntod". Denn der auf die Organe fixierte Transplantationsbetrieb in den High-Tech-Krankenhäusern hat das Unterbewusste nicht im Blick.
Die Psyche kann eben nicht wie Herz oder Niere verpflanzt werden. An ihr besteht kein Verwertungsinteresse. Aber sie kann nun symbolisch dem "Museum für das Unterbewusstsein" gespendet werden, das von der Wiesbadener Wilhelmstraße aus mit den Weltmeeren verbunden ist. Elke Gruhn:
"Denn hier unter der Straße verläuft der Salzbachkanal. Und der Salzbachkanal geht halt in den Rhein rein und vom Rhein aus in die ganze Welt. Natürlich hat Ben auch laut gelacht, weil der Gulli hat bei uns nicht die ganz positive Assoziation. Er hat das aber anders gesehen und hat gesagt: Na klar, es geht jetzt hier in den Gulli rein, in den Bach, in den Rhein und von da aus in die Welt. Es geht nichts verloren, das Unterbewusstsein bleibt und das ist natürlich der ideale Ort, um seine Spende abzugeben."
Die schriftliche Willenserklärung für die fiktive Spende des Unterbewussten kann man ganz real bei Elke Gruhn im Nassauischen Kunstverein abgeben. Doch das ist nicht das einzige Vermächtnis Ben Pattersons in Wiesbaden.

Cocktails aus Bens Bar

Im Dachgeschoss der Räume des Nassauischen Kunstvereins gleich hinter dem Einstieg in das "Museum für der Unterbewusstsein" findet sich ein weiterer humorvoller Kommentar Ben Pattersons zum Zeitgeschehen. Es ist "Bens Bar". Eine luxuriöse kleine Cocktailbar im Rokokostil, gleich am Eingang plätschert Wasser in ein mit Fischen und Fröschen vergoldetes Brunnenbecken. Daneben ein Klavier, gegenüber eine üppig verzierte Spiegelwand mit Cocktailgläsern auf mehreren Regalbrettern. Eine freundliche Bar-Szenerie - geschaffen 1990 als pazifistisches Statement gegen den Golfkrieg:
"Sein Gedanke war einfach, wenn sich die Menschen am Freitagabend weltweit in Bars zusammenfinden und ordentlich einen trinken würden, dann gäbe es keine Kriege mehr."
Konsequenterweise gehört zu "Bens Bar" am Wiesbadener Eingang zum Museum für das Unterbewusste auch ein Heft mit Rezepten für Cocktails, die an die Fluxus-Bewegung erinnern:
"Die Bar besteht nämlich nicht nur aus dem was man hier sieht - ich kann das mal eben hier zeigen. Es gibt eine ganz Liste von Getränken, die Ben zur Bar entworfen hat. Und letztlich gibt es für jeden verstorbenen Fluxus-Künstler einen eigenen Cocktail, den Ben entworfen hat. Und wenn die Bar in Betrieb ist, mixen wir diese Getränke genau nach den Angaben von Ben Patterson und dann gibt es Cocktails aus Bens Bar."

"Fazit" startet mit dem "Museum für das Unterbewusstsein" eine Sommerreihe mit dem Titel "Sonder-Ausstellung: Museen jenseits der Norm". Vom 1. bis zum 6. August stellen wir Museen vor, die nicht unbedingt groß in der Öffentlichkeit stehen, die kurios sind, manchmal auch schräg, in jedem Fall aber ungewöhnlich.

Museen im Porträt:
1.8. Museum für das Unterbewusstsein in Wiesbaden
2.8. Museum sowjetischer Spielautomaten in Moskau
3.8. Museum für Bestattungskultur in Novosibirsk
4.8. Phallusmuseum in Reykjavik
5.8. Museum of Bad Art in Boston
6.8. Spedale degli Innocenti in Florenz

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