Reichtum neu definieren

11.04.2011
In "Wohlstand ohne Wachstum" verabschiedet sich der Ökonom Tim Jackson vom Wachstum, um den Wohlstand in die Zukunft zu retten. Sein Sachbuch ist eine Absage an die heutige Art zu wirtschaften, die nicht verzweifeln lässt, sondern Auswege weist.
Noch schnüren die europäischen Regierungen an Rettungspaketen für den Euro, da kommt einer und sagt, diese Krise sei eine Chance. Wenn derjenige auch noch Ökonom ist, sogar Berater der britischen Regierung, verwundert das. Umso mehr, wenn er zugleich sagt, dass das Ende der heutigen Wirtschaftsweise nicht nur bevorstehe, sondern schon da ist. Schonungslos analysiert Tim Jackson in seinem klar verständlichen Buch die Wachstumsdoktrin der Industrieländer und beweist, dass sie längst am Ende ist. Die Rohstoffquellen sind in absehbarer Zeit erschöpft, das Klima verträgt keinen höheren Zuwachs an Treibhausgasen und das Geld hat nicht mehr genug realen Gegenwert. Was bei anderen nur düstere Zukunftsszenarien sind, holt Jackson gnadenlos in die Gegenwart. Wir schauten einfach durchs falsche Ende des Fernrohrs und glauben deshalb, das Verhängnis sei noch weit weg, schreibt er.

Mithilfe einer Vielzahl von Quellen rechnet der Autor vor, dass allein zum Aufhalten der Klimaerwärmung sofort drastische Maßnahmen nötig sind, und für weiteres Wachstum kein Platz mehr. Außerdem haben natürlich alle Menschen ein Anrecht auf Wohlstand, aber wie soll das auf einem Planeten gehen, der heute schon bis an seine Grenzen ausgenutzt wird? Jackson plädiert dafür, Wohlstand neu zu definieren. Nahrung, Wohnen, Kleidung, Bildung, Teilhabe am gesellschaftlichen Leben könnten für alle möglich sein, auch wenn wir bald neun Milliarden sein werden.

Diese utopisch anmutende Vorstellung belegt der Wirtschaftswissenschaftler mit Zahlen. Natürlich geht das nicht, wenn jeder Haus und Ferienwohnung, Zweitwagen und Südseereise will. Aber das sei auch gar nicht nötig zum Glücklichsein. Jackson zitiert Studien die belegen, dass auch die krassen Unterschiede zwischen Arm und Reich in den Industrienationen wie den USA oder Deutschland Lebenszufriedenheit behindern und Menschen in scheinbar armen Ländern wie Chile oder Kuba mit weniger materiellen Gütern besser leben. Beeindruckend ist überhaupt die Quellenfülle im Buch, die neben wirtschaftlichen auch ökologische, soziale und sogar psychologische Erkenntnisse einbezieht.

Nach einem wirklich ernüchternden ersten Teil baut er wieder Hoffnung auf mit konkreten Vorgaben, wie eine künftige Wirtschaftsordnung aussehen kann, die Wohlstand auch ohne künstlich angeheiztes Wachstum ermöglicht. Und hier kommen die Chancen der Finanzkrise wieder ins Spiel. Wenn schon der Steuerzahler und die Staaten die Banken retten, sollen sie auch bestimmen, wohin künftige Investitionen gehen. Das müssten dann Klimaschutz oder Erhalt natürlicher Ressourcen sein. Mit Hilfe von Steuern, wie sie schon andere vorschlugen, ist es laut Jackson möglich, Energie und Rohstoffe so teuer zu machen, dass menschliche Arbeit sich wieder lohnt. Das bedeutet dann, den Laubsauger wieder gegen die Harke zu tauschen und damit mehr Menschen in Lohn und Brot zu bringen. Gerechtere Verteilung von Arbeit und Freizeit soll zu einer Gesellschaft führen, die mit weniger Energie und Ressourcen mehr Wohlstand für alle erreicht und ihn absichert auch für die nächste Generation.


Besprochen von Susanne Harmsen

Tim Jackson, Wohlstand ohne Wachstum. Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt,
übersetzt von Eva Leipprand, Oekom Verlag, München 2011, 240 Seiten, 22,95 Euro

Links bei dradio.de:
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