Reichsbürger in Bayern

Seit dem Polizistenmord im Visier

Eine Flagge mit dem Wappen der Reichsbürgergruppierung vom «Bundesstaat Bayern» weht am 07.02.2017 auf einem Wohnhaus in Pliening (Bayern). In dem Haus hat zuvor ein SEK-Einsatz gegen einen Reichsbürger stattgefunden.
Eine Flagge mit dem Wappen der Reichsbürgergruppierung "Bundesstaat Bayern" weht auf einem Wohnhaus. © pa / dpa / Matthias Balk
Von Michael Watzke · 06.04.2017
Ein junger SEK-Beamter wurde im Oktober 2016 Jahr erschossen - von einem 49-jährigen selbsternannten Reichsbürger. Der mutmaßliche Mord von Georgensgmünd bei Nürnberg hat den Umgang der bayerischen Behörden mit dieser rechtsextremen Bürgerbewegung grundlegend verändert.
Das kleine Örtchen Bolsterlang im Allgäu. Hier, am Alpenrand, spielt die neueste Episode aus der Serie "Bayern und die Reichsbürger". Monika Zeller, die Bürgermeisterin von Bolsterlang, soll ein Seminar eines Referenten besucht haben, der den Reichsbürgern nahesteht. Und das auch noch im örtlichen Gemeindesaal. Sogar das bayerische Landesamt für Verfassungsschutz schaltete sich ein, erklärt Landrat Anton Klotz.
"Die Prüfung hat ergeben, dass eine gewisse Nähe zur Reichsbürgerschaft der Bürgermeisterin Monika Zeller nicht ganz auszuschließen ist. Insofern haben wir im Landratsamt entschlossen, dass wir ein neutrales Prüfverfahren einleiten."

Landesanwaltschaft Bayern ermittelt gegen Bürgermeisterin

Jetzt ermittelt die Landesanwaltschaft. Sie will zum Beispiel herausfinden, warum Monika Zeller einen Staatsangehörigkeitsausweis der Reichsbürger besitzt. Also quasi einen Personalausweis des Deutschen Reiches. Zeller beklagt eine Hetzjagd gegen sie und will sich nicht vor dem Mikrofon äußern.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann mahnt zur Sorgfalt:
"Erst müssen wir feststellen, ob sie sich zur Reichsbürgerszene bekennt oder ob sie sich diesen Staatsangehörigkeits-Nachweis aus völlig anderen Gründen – wie sie sagt, nur aus Neugier – hat ausstellen lassen."
Die Reichsbürger stehen seit Herbst letzten Jahres ganz oben auf der Tagesordnung des bayerischen Innenministers. Das hat mit einem tragischen Vorfall aus dem September 2016 zu tun, den ein düsteres YouTube-Video dokumentiert. Darin beschimpft ein glatzköpfiger, bulliger Mann mit weißem Hemd und schwarzer Krawatte zwei Polizisten.
"Sie stehen nicht auf dem Boden des Grundgesetzes in der gültigen Fassung von 1949! Stehen Sie auf dem Boden des Grundgesetzes von 1949 – ja oder nein?"

Mordanklage gegen Georgensgmünder Reichsbürger

Der 49 Jahre alte Mann aus dem Video, ein selbsternannter "Reichsbürger", ist der mutmaßliche Polizistenmörder von Georgensgmünd. Er hat kurze Zeit nach dem Video einen jungen SEK-Beamten erschossen. Deshalb hat die Staatsanwaltschaft Nürnberg vor zwei Tagen Mordanklage gegen ihn erhoben. Der Leitende Oberstaatsanwalt Walter Kimmel:
"Gegen den Reichsbürger wurde Anklage erhoben, weil er im Rahmen einer Vollziehungsmaßnahme, bei der Waffen bei ihm sichergestellt werden sollten, auf die anwesenden Beamten geschossen hat. Er hat dabei vier Beamte verletzt, einen davon tödlich."
Ein Polizeifahrzeug steht am 19.10.2016 in Georgensgmünd (Bayern) vor einem Haus.
Ein Polizeifahrzeug steht im Oktober 2016 vor dem Haus des 49-Jährigen in Georgensgmünd.© dpa / Nicolas Armer
Dass der Angeklagte von dem SEK-Einsatz nicht überrascht wurde, sondern damit rechnete, schließt Kimmel daraus, dass er eine schusssichere Weste trug. Außerdem seien die SEK-Beamten mit Blaulicht vorgefahren. Von fahrlässiger Tötung könne deshalb keine Rede sein. Fahrlässige Tötung wirft die Staatsanwaltschaft dagegen einem 51-jährigen Polizeibeamten vor, der den angeklagten Reichsbürger kannte. Der Polizist chattete mit ihm privat in einer Whatsapp-Gruppe – auch über die Reichsbürger.
"Warum wir den Polizeibeamten mit auf die Anklagebank setzen, liegt daran, dass wir im Zuge der Ermittlungen festgestellt haben, dass dieser Beamte Kenntnis von dem Reichsbürger hatte und von ihm auch wusste, dass der sich folgendermaßen geäußert hatte: 'Wenn man bei mir Waffen abholen will, dann kracht's!'"

Grundlegend neue Vorgehensweise der Behörden

Der mutmaßliche Mord von Georgensgmünd bei Nürnberg hat den Umgang der Behörden mit Reichsbürgern grundlegend verändert. Seit der Tat prüft und ahndet das bayerische Innenministerium rigoros jede Nähe von Staatsbediensteten zu der obskuren Gruppe. Fast 20 Fälle sind mittlerweile bekannt – mehr als in jedem anderen Bundesland. Was nicht heißen muss, dass es im Freistaat mehr Reichsbürger gibt als anderswo in Deutschland. Aber im Süden ist das Problem besonders virulent. Auch, weil bei manchen Verdächtigen die Nähe zum "Deutschen Reich" mit der Vision vom "Bundesstaat Bayern" einhergeht.
Diese Sehnsucht nach bajuwarischer Selbstständigkeit hat sogar eine eigene Homepage: bundesstaat-bayern.info. Diese selbsternannte "Weltnetzseite" ist derzeit allerdings im Wartungsmodus. Ein Blick in den Kosmos der Reichsbürger offenbart, aus welch' unterschiedlich trüben Quellen dieses Universum schöpft: da gibt es knallharte Neonazis ebenso wie esoterische Spinner, dazu notorische Querulanten und ahnungslose Geschichtsblinde, sagt der Reichsbürger-Experte und Journalist Oliver Bendixen. Auch Bayerns Innenminister Herrmann spricht von verschiedenen Strömungen innerhalb der Reichsbürger-Szene. Allerdings stellt Markus Schäfert vom bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz klar:
"Dass die Reichsbürger-Ideologie insgesamt dem Rechtsextremismus sehr nahesteht."

Problem eskaliert quantitativ und qualitativ

Viele Reichsbürger landen irgendwann vor Gericht, weil sie keine staatlichen Autoritäten anerkennen. Sie sind mit gefälschten Führerscheinen Auto gefahren, haben keine Steuern gezahlt oder im Gerichtssaal randaliert - wie Reichsbürgerin Manuela H. aus dem Ostallgäu. Sie wurde vor einer Woche vom Amtsgericht Kaufbeuren zu 14 Monaten Haft verurteilt. In der bayerischen Justiz stöhnen mittlerweile viele Richter ob der schieren Zahl von "Prozess-Hansln" mit Reichsbürger-Hintergrund, sagt Reinhard Nemetz vom Amtsgericht München:
"Derzeit eskaliert die Angelegenheit. Quantitativ und qualitativ. Wir hatten letztes Jahr 20 Verurteilungen. Wir zählen nicht die Anzeigen, verfolgen aber aufmerksam, zu wie vielen Verurteilungen es kommt. Und es werden heuer mit Sicherheit mehr werden."
Besonders bedenklich wird es dann, wenn die obskuren Ansichten der Reichsbürger bei der Polizei oder in staatlichen Ämtern Rückhalt finden. Wenn also genau jene, die den Rechtsstaat schützen sollen, ihn heimlich ablehnen. Der Freistaat Bayern hat inzwischen mehr als zehn Staatsbeamte wegen Kontakten zur Reichsbürger-Szene suspendiert. Einige Verfahren laufen noch, sagt Innenminister Herrmann.
"Wenn sich hier ernstliche Zweifel an der Verfassungstreue zum Freistaat Bayern und der Bundesrepublik Deutschland ergeben sollten, dann müssen diese Beamten den Dienst verlassen."
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