Regisseurin Maren Ade über "Toni Erdmann"

"Eltern sind halt auch was wahnsinnig Privates"

Die Regisseurin Maren Ade
Die Regisseurin Maren Ade © NFP/Komplizen Film – Foto: William Minke
Maren Ade im Gespräch mit Susanne Burg · 09.07.2016
Fast sieben Jahre lang hat Maren Ade an "Toni Erdmann" gearbeitet. Dann wurde sie mit Jubelschreien bei den Filmfestivals in Cannes und München belohnt. Sie wollte gar keine reine Komödie machen, erzählt die Regisseurin im Interview, Humor entstünde ja oft auch aus Verzweiflung.
Susanne Burg: Sie haben so lange an Ihrem Film gearbeitet – sechseinhalb, sieben Jahre –, man kann sich das irgendwie kaum vorstellen. Man sitzt da, arbeitet, arbeitet, arbeitet, dann wird der Film in die Welt entlassen und führt zu unglaublichen Jubelschreien in Cannes, dann in München, jetzt kommt er also wirklich in die Welt. Wie haben Sie diese letzten Wochen erlebt?
Maren Ade: Ich habe den Film wirklich erst kurz vor Cannes fertiggemacht. Vier Tage vorher saß ich noch in der Mischung, das heißt ich habe extrem viel gearbeitet vorher. Ja, wir hatten natürlich eine tolle Zeit in Cannes, viel erlebt. Ich habe mich wahnsinnig über die Reaktionen gefreut und auch alles, was so geschrieben wurde. Es ist wirklich schön, wenn man sich so erkannt fühlt, und trotzdem hat jeder den Film zu seinem eigenen gemacht, die Leute, mit denen ich gesprochen habe, aber dazwischen, zwischen Cannes und dem Filmfest München, gab es auch sehr viel Normalität, viel Einkäufe, die ich hochgetragen habe und Wäsche, die ich gewaschen habe. Also das normale Leben findet auch noch statt.
Burg: Ich würde gerne mit Ihnen über die Zeit vor Cannes und München reden, nämlich über die Entstehung des Films. Auf der Webseite Ihrer Firma Komplizen Film stand lange eine Zeile, "ein Vater versucht, sich seiner Tochter über eine Reihe von Witzen anzunähern". Wie macht man daraus einen Film, also wie setzt man sowas um?
Ade: Den Satz schreibt man erst, nachdem man das Drehbuch schon kennt, also insofern reduziert man es runter auf das, was man gerade so verraten will und versucht es so runter zu brechen. Ich arbeite lange an den Drehbüchern oder jetzt auch eben an diesem, und das hat sich so angeschichtet. Zum einen gab es eben mein Interesse an dem Thema Familie. Die Familie ist manchmal oder kann in meinen Augen manchmal was sehr Statisches sein. Jeder spielt eine bestimmte Rolle, vieles spielt sich in Ritualen ab, es ist was, was schwer zu durchbrechen ist. Das hat mich interessiert als Ausgangspunkt. Der Vater versucht ja mit seiner Verwandlung da auch rauszukommen und seiner Tochter noch mal neu zu begegnen als Fremder.
Peter Simonischek als Winfried/Toni und Sandra Hüller als Ines in einer Szene von "Toni Erdmann"
Peter Simonischek als Winfried/Toni und Sandra Hüller als Ines in einer Szene von "Toni Erdmann"© picture alliance / dpa / Komplizen Film / NFP
Diese Grundkonstruktion war eigentlich am Anfang da, und ein großer Teil des Films basiert auch auf Recherche. Ich habe so gearbeitet, dass ich immer wieder ein paar Monate geschrieben habe, dann habe ich Sachen recherchiert, zum Beispiel das Land Rumänien, die Tochter arbeitet als Unternehmensberaterin, und bin dann wieder schreiben gegangen. Nach dem Casting habe ich die Rollen noch mal auf Sandra und Peter, auf die Personenkonstellation angepasst. Also es schichtet sich so an. Es ist für mich auch ganz schwer zu sagen, was wirklich so der erste Ausgangspunkt war.
Burg: Das, was den Film ja so toll macht, ist, dass Sie Ihre Figuren so genau beobachten, das Milieu, in dem sie sich bewegen, also das, was Sie beschrieben haben, eben auch die Welt der Unternehmensberatung, der Ines, die Welt des altgewordenen 68er-Vaters. Wie ernst haben Sie diese Welt genommen, um den Figuren dann zu erlauben, komisch zu sein?
Ade: Komik oder Humor wird ja oft auch aus einer Verzweiflung heraus geboren und funktioniert ja auch wie eine Sprache, in der alles vorkommt. Gerade bei Winfried – mal nutzt er seinen Humor, mal flüchtet er sich mit Humor aus einer Situation, mal versucht er, sie aufzulockern, mal ist es ein Angriff. Irgendwie hat mich eher interessiert, einen Film über Humor auch zu machen – das war so ein Gedanke – als eine reine Komödie. Letztlich ist es wirklich die Figur Winfried, also der Vater, der für seine Tochter eine Komödie spielt. Ich musste jetzt nicht so rangehen, dass ich als Autorin in noch so direkterem Kontakt oder im direkteren Hinblick auf den Zuschauer eine Komödie mache, sondern die ganze Aktion entsteht auch bei ihm aus einer großen Verzweiflung, wie ich finde.
Burg: Also was Sie eben sagten, ein Film über den Humor. Es gibt ja unglaublich viele verschiedene Ebenen des Humors und Sie testen ja wirklich auch die Grenzen des Humors aus, wo man dann in manchen Szenen denkt, oh, wie kommt sie da wohl wieder raus, und dann setzen Sie aber noch eins oben drauf. Wenn man das so einfach jemandem erzählt, der den Film noch nicht gesehen hat, dann denkt man, hm, na ja, also Furzkissen, falsches Gebiss, es gibt eine Nacktparty – wie kann das funktionieren. Amerikanische Standup-Comedians, zum Beispiel Louis C.K., die probieren ihre Witze auch tatsächlich vor Publikum aus, um zu gucken, wie funktionieren die, wie kommen die an. Wie sind Sie vorgegangen? Weil, wenn man sich was überlegt, theoretisch weiß man ja noch nicht, wie es dann auch praktisch funktioniert.

Bis Cannes dachte Ade, es sei ein melancholischer Film

Ade: Mir war es eigentlich fast ein bisschen auch egal, wie das nachher aufgenommen wird. Also ich hätte auch ein Drama gemacht. Insofern war ich jetzt gar nicht so drauf angewiesen, zu gucken, wie funktioniert das nachher, und auch beim Drehen hat es sich wirklich teilweise sehr verloren, dass irgendwas jetzt so lustig war. Also zum Beispiel die Nacktparty ist ein gutes Beispiel. Wir haben da wirklich vor allem daran gearbeitet, dass es für die Figuren existentiell ist, dass es für den Chef existentiell ist. Deshalb ist es im Endeffekt vielleicht lustig oder natürlich hat es da auch so manchmal ganz eindeutig komödiantische Elemente – Tür auf, Tür zu, es kommt wieder jemand.
Im Kern habe ich mich eigentlich gar nicht so da drum gekümmert. Auch vor Cannes dachte ich, ich geh da schon auch mit einem melancholischen Film auf das Festival, und in einem vollen Kino mit vielen Leuten funktioniert der Film auch immer noch mal anders, und da kam die Komödie sehr stark zurück, was mich gefreut hat.
Burg: Im Englischen gibt es diesen schönen Begriff comic relief – befreiende Komik –, also der Moment, der Entlastung schafft in einer ansonsten ganz angespannten Situation. Wie sehr können Sie sich mit diesem Konzept identifizieren, also auch an die Wahrheit, die sich in der Komik verbirgt?
Ade: Das ist ja das, was Winfried auch macht mit Toni. Als Vater traut er sich, viele Sachen seiner Tochter auch nicht zu sagen. Er unterdrückt da auch viel an Aggression oder an Meinung, und Humor nutzt er dann auch wirklich als Waffe, um auch noch mal was los zu werden. Ich habe auch das Gefühl, dass es einige Szenen gibt in dem Film, wo man auch lacht, um sich dann zu erleichtern, wo es vielleicht jetzt gar nicht so unbedingt direkt lustig ist, wo sich nur eine Spannung aufgebaut hat in den Figuren.

Zwei Perspektiven, beide nachvollziehbar

Burg: Man versteht ja auch wirklich beide Perspektiven, also Ines auf der einen Seite, die sich unglaublich schämt, wenn sie ihren Vater mit Pferdegebiss beim offiziellen Empfang sieht, aber auch den Vater, der sich fragt, na ja, warum die Tochter wie ferngesteuert da durch die Welt der Unternehmensberatung hetzt und sich völlig zumacht. Die beiden untereinander wiederum können ihre Perspektiven nur bedingt verstehen. Wie schwierig war es für Sie als Filmemacherin, diese Ausgeglichenheit zwischen den zwei Perspektiven zu erhalten und nicht Partei zu ergreifen?
Ade: Na, weil ich sie wirklich nicht habe die Partei. Also ich kann irgendwie beide nachvollziehen, und ich arbeite auch das Drehbuch dann wirklich so durch, dass ich auch Durchläufe mache, wo ich mich wirklich noch mal nur in die eine Figur reinversetze, um das noch mal zu überprüfen. Auch wenn man mit den Schauspielern dann arbeitet – der Schauspieler spielt ja seine Perspektive, der soll ja nie nur der Szene irgendwie dienen, sondern hat seine eigene Haltung, und die muss man dann zu jedem Punkt ernst nehmen. Vater und Tochter ist für mich auch wie eins. Ich habe schon auch versucht, das als Thema dahingehend zu behandeln und nicht jetzt nur die Geschichte vom armen Vater und der Karrieretochter zu erzählen oder von der armen Karrieretochter und dem Scherzkeks.
Vielleicht zum ersten Teil der Frage: Es ist ja schon so, Eltern sind halt auch was wahnsinnig Privates. Man kann ja wirklich viel an sich so ändern, aber seine Eltern halt nicht. Oder man kennt es, dass es einem unangenehm ist, sie irgendwohin mitzunehmen. Im Prinzip zeigt man damit wahnsinnig viel von sich. Man zeigt, wo man herkommt, und gerade in ihrem Arbeitsumfeld ist das eigentlich doch so ein relativ großer Schritt, dass sie ihn dahin mitnimmt. Wir haben schon auch immer wirklich versucht, vor allem auch ihre Perspektive ganz genau zu durchdenken. Sie findet einfach nicht mehr alles lustig, was er macht, weil sie es kennt.
Burg: Sie sagten, es ist was ganz Privates, gleichzeitig schaffen Sie es ja auch, das irgendwie so universell zu erzählen, dass man sofort andocken kann. Also zum Beispiel dieser Kreislauf des Älterwerdens. Der Vater, der darüber nachdenkt, dass man Momente eigentlich nicht festhalten kann und der ganz viel nachdenkt darüber, als die Tochter noch klein war. Das kann Ines überhaupt nicht so richtig nachvollziehen, weil sie ist noch in dem Alter, wo es immer noch ums weiter, weiter, weiter geht.

Vater hat Tochter an globalisierte Welt verloren

Ade: Ja, ich glaube aber eigentlich befinden die sich beide schon an so einem Wendepunkt. Sie ist ja auch nicht mehr ganz so jung. Sie ist Ende 30 und steht auch irgendwie davor, sich wirklich vielleicht noch mal neu für das Leben, das sie führt, zu entscheiden oder eben dagegen. Was der Vater sagt, glaube ich, berührt sie schon in ihrem Kern. Es ist dann nur wieder so, dass die äußeren Umstände der Situation und wie er das vorbringt wieder eine Unbeholfenheit haben oder man natürlich einfach auch eher in dem Moment noch mal was auf das Tablett bringt, was er ihr eigentlich in Bukarest längst beantwortet hat.
Burg: Genau, Bukarest – der Film spielt ja in Rumänien und auch alle anderen haben nicht in Deutschland gespielt, sondern in Sardinien. Es scheint immer so, dass sich die Probleme in Beziehungen oder eben dann auch in der Familie erst herauskristallisieren, wenn man in der Ferne ist. Welche Rolle sollte Bukarest filmisch spielen?
Ade: Ich fand das sehr angenehm, Figuren aus ihrem Alltagsumfeld rauszunehmen, weil man dann auch den ganzen Krimskrams nicht miterzählen muss die ganze Zeit und es natürlich auch einengt, weil man dann sich wieder an so Sachen festhängt, wie wohnen die, wie sind die eingerichtet und so. Das finde ich immer relativ mühsam.
Es geht natürlich auch in dem Film darum, dass der Vater seine Tochter auch an die globalisierte Welt verloren hat und er ihr auch hinterherreist und damit auch für sie die Heimat zurückbringt und auch eine Frage sich damit stellt. Rumänien, Bukarest fand ich sehr interessant aufgrund seines Bezugs zu Deutschland. Nicht nur die Sprache, aber auch nach dem Ende des Kommunismus gab es viele Firmen, die dort sich fusioniert haben, versucht haben, was vom Kuchen abzukriegen, was für Rumänien sehr schmerzhaft war, und auch heute findet sich noch so eine Hierarchie oft in den Unternehmen, die mich interessiert hat.

Viel Budget in Zeit investiert

Burg: In der "Süddeutschen Zeitung" hieß es, nach dem Deutschen Filmpreis im Mai, "die Zukunft des Kinos liegt auch bei Regisseurinnen wie Nicolette Krebitz, Anne Zohra Berrached und Maren Ade. Was sie vereint", schreibt die Autorin, "ist, dass sie das Kino hierzulande derzeit mit leiser Verstörung aufmischen", und von Mut und Ideen ist die Rede. Finden Sie sich da wieder?
Ade: Das, finde ich, hört sich schon gut an, oder? Doch, ja. Wir bemühen uns, ja!
Burg: Ich wollte es nicht ganz so nörgelig stellen die Frage, aber man könnte auch fragen, fehlt es dem deutschen Kino an Mut?
Ade: Finde ich eigentlich nicht, nein. Ich finde, manchmal fehlt es an Geld ein bisschen oder auch daran, dass man irgendwie sagt, nein, das ist ein toller Autor, es ist jetzt mal egal, was der als nächstes macht, der hat vorher tolle Sachen gemacht oder die hat vorher tolle Sachen gemacht, die kriegt jetzt einfach mal mehr Geld. Mir hat das bei dem Projekt auch wirklich richtig viel geholfen, dass ich nach allen anderen, es war nicht schwer, den Film zu finanzieren zum Glück. Ich hatte ein relativ großes Budget und habe viel davon auch einfach in Zeit investiert, und der Film, der hätte auch wirklich… mit 30 Prozent weniger Drehtagen wäre das ein ganz anderer Film gewesen, und dann hätte ich den auch nicht so hingekriegt. Deshalb, wir sind sehr froh, glaube ich, alle, dass das BKM seine Mittel gerade so erhöht hat, und hoffe, dass sich da auch etwas verändert und so bleibt.
Burg: Und nachdem er also in Cannes und in München auf den Festivals gelaufen ist, kann man ihn jetzt auch im Kino sehen. "Toni Erdmann" kommt am Donnerstag in die deutschen Kinos. Maren Ade ist die Regisseurin des Films. Vielen Dank für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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