Regisseur über "Louder Than Bombs”

"Mir liegt sehr daran, Intimität herzustellen"

Der norwegische Regisseur Joachim Trier, Schauspieler Gabriel Byrne und seine Kollegin Isabelle Huppert.
Der norwegische Regisseur Joachim Trier (l) mit seinen Darstellern Isabelle Huppert und Gabriel Byrne © Franck Robichon, dpa picture-alliance
Joachim Trier im Gespräch mit Patrick Wellinski · 02.01.2016
"Louder Than Bombs" ist der erste englischsprachige Film des Norwegers Joachim Trier: Ein Familiendrama im Nordosten der USA. Isabelle Huppert spielt darin die rätselhafte Figur einer weltbekannten Kriegsfotografin.
Patrick Wellinski: "Louder than Bombs" ist ihr erster englischsprachiger Spielfilm. Bislang haben Sie vor allem norwegisch gedreht. Wie hat diese Umstellung in der Sprache die Art und Weise Ihrer Arbeit beeinflusst?
Joachim Trier: Ich habe eine Filmschule in England besucht, weil ich aus einem Land komme, das bloß fünf Millionen Einwohner hat. Wenn man nur mit Norwegisch aufwächst, zieht es einen ganz von allein ins Ausland und zu einer Sprache, die weltweit verstanden wird, aber meine genuine Sprache ist natürlich die des Kinos: Die Schauspieler, die ich auswähle, meine Art, zu drehen, die ganze Regiearbeit ... dadurch drücke ich mich aus.
Nach dem Studium kehrte ich nach Norwegen zurück und drehte meinen ersten Film "Auf Anfang". Damit hatte ich erstaunlicherweise großen Erfolg in Amerika. Ich bekam viele Angebote, Spielfilme zu drehen, aber ich fand keinen Stoff, der für einen wirklich langen Film getaugt hätte. In Norwegen begann ich mit dem Drehbuch für "Louder Than Bombs" und nebenbei drehte ich den Film "Oslo, 31. August". Damit war ich eine ganze Weile beschäftigt, denn es ist ein sehr persönlicher Film und keine Superheldengeschichte. So etwas bekommt man nicht leicht ins amerikanische Kino. Da werden doch leichtere Stoffe vorgezogen.
Sie wollen wissen, ob es einen Unterschied macht, eine Geschichte in Amerika spielen zu lassen. Ja, es macht einen Unterschied. Ich erfinde neue Charaktere, neue Dialoge. Mein Ko-Autor Eskil Vogt und ich haben Witze gemacht darüber, dass wir unser ganzes Wissen über Amerika aus Filmen haben, und nun mussten wir wirklich losziehen und recherchieren und uns mit der Gegenwart des Landes auseinandersetzen. Als Filmemacher sollte man seine Vorstellungskraft nutzen, aber eben auch Impulse der Außenwelt und des gesellschaftlichen Umfelds auf sich einwirken lassen.
Wellinski: Also ist "Louder Than Bombs" in gewisser Hinsicht eine sehr amerikanische Geschichte?
"Es geht ganz einfach um menschliche Schicksale"
Trier: In gewisser Weise schon. Die Geschichte spielt in New York. Es geht um eine Familie. Isabelle Huppert spielt die Mutter, die eine weltbekannte Kriegsfotografin ist. Der Vater, gespielt von Gabriel Byrne, hat seine Schauspielerkarriere aufgegeben und wurde Lehrer. Seine Frau verunglückte unter nicht geklärten Umständen. Er bleibt mit den beiden Söhnen zurück, und ich zeige, wie sie sich an die Ehefrau und die Mutter erinnern, wie sie bemüht sind, nach vorn zu schauen. Es geht ganz einfach um menschliche Schicksale und familiäre Beziehungen.
Das Ehepaar hat sich wahrscheinlich in den 80er Jahren in New York kennengelernt, in Manhattan, da, wo eine französische Fotografin und ein Schauspieler sich in jener Zeit leicht begegnen konnten. Und dann ziehen sie raus aus der Stadt, an den Rand. Ich bin mit Filmen wie "Eine ganz normale Familie" von Robert Redford, mit John Hughes' "Der Frühstücksclub"und mit Woody Allen aufgewachsen. In gewisser Weise versuche ich, an die überholte Tradition des amerikanischen Charakterdramas anzuknüpfen.
Wellinski: Ein Aspekt, der Ihren Film auszeichnet sind die unterschiedlichen Perspektiven, mit denen Sie arbeiten. Also es gibt die objektive Perspektive, wenn wir auf die Familie draufblicken, doch dann wechseln Sie regelmäßig in die unterschiedlichen subjektiven Perspektiven der unterschiedlichen Familienmitglieder. War dieser Kniff nicht die eigentliche Herausforderung von "Louder Than Bombs"?
"Ich höre immer, dass das Denken Stoff für Romane ist"
Trier: Das ist eine sehr gute Frage. Mir liegt sehr daran, Intimität herzustellen. Das hat überhaupt nichts mit Nacktheit zu tun (Lachen). Ich will nah an die Leute rangehen und spüren, wie sie mit ihren Sinnen wahrnehmen. Ich will ihr Denken mitvollziehen. Ich höre immer, dass das Denken Stoff für Romane ist und dass das Kino sich besser um das kümmern sollte, was in der Welt passiert. Ich sehe das ganz anders. Kino kann sehr subjektiv sein. In meinem Film wechsele ich ja ständig zwischen der Innen- und der Außenperspektive der Figuren und zeige, wie unterschiedlich die Wirklichkeit innerhalb einer Familie betrachtet wird.
Man kennt das doch. Weihnachten fährt man nach Hause und schon bekommt man eine Rolle zugewiesen. Ach, das soll ich sein? Wenn Familienmitglieder aufeinandertreffen, wird die eigene Identität schnell angekratzt. Für diese Situation einen formalen Ansatz zu finden, war mir wichtig.
Wellinski: Wenn wir dann kurz einmal bei dem formalen Aspekt des Films bleiben. Er besteht auch ganz viel aus Träumen, aus Erinnerungssequenzen. Überhaupt ist das ja so eine Art Patchwork, das sehr stark an ihren ersten Film "Reprise" erinnert. Wollten sia auch vielleicht zurück zu dieser Ästhetik kommen?
Trier: Ich möchte es immer weiter erforschen. Es gibt heute eine Tendenz, modernistisch-willkürliche Filme zu drehen - die finde ich persönlich zu langatmig und altmodisch - oder du machst was Neues, aber das wird durch Superhelden und Action wieder verwässert. Ich suche nach einem dritten Weg, indem ich Elemente aus dem Kino der 60er, 70er-Jahre mit einer schnellen, heutigen Schnitt-Technik kombiniere. Man muss die ganze Komplexität zusammenhalten. Wir jungen Filmemacher sind schon einem ziemlich großen Druck ausgesetzt.
Ich bin mit Hip-Hop und Punk aufgewachsen und keiner meiner Freunde hat jemals ein Konservatorium besucht, wo einem gesagt wird, wie man einen Song komponiert. Fuck it! Man will doch schließlich sein eigenes Ding machen. Dein Film, der muss sitzen, wie eine Jacke, den willst du auf der Haut spüren. So geh ich da ran. Die Realität, das ist für mich Patchwork. Ich nehme sie in Fragmenten wahr. Meine Freunde hängen alle fünf Minuten am Handy, und trotzdem quälen uns dieselben existenziellen Fragen: Wer sind wir? Wie verhalten wir uns zueinander? Ich versuche, dafür eine passende Form zu finden. Ich weiß nicht, ob mir das gelingt, aber ich sehne mich danach.
Wellinski: Lassen Sie uns doch vielleicht noch kurz auf eine der vielen Figuren etwas genauer eingehen, und zwar die Mutter, gespielt von Isabelle Huppert. Wir erfahren viel über sie, aber wir erfahren am Ende nur das, was uns die Familienmitglieder über sie erzählen. In gewisser Hinsicht ist diese Figur doch ein Enigma, oder?
"Die Mutterfigur ist ein Rätsel"
Trier: Ja, da haben Sie recht, die Mutterfigur ist ein Rätsel. Im Film versuche ich, zu zeigen, wie sehr sie ihre Söhne und ihren Mann prägte. Es ist mir wichtig, genau den Punkt herauszuarbeiten, an dem die Figuren ihre Subjektivität hinter sich lassen und anfangen, den Anderen zu begreifen. In der Familie herrscht eine besondere Art der Trauer, denn die Mutter wurde sehr idealisiert. In der Trauer ermisst man, wie vielschichtig und komplex die Persönlichkeit des verlorenen Menschen war. Selbst die Mängel wurden idealisiert. Die Komplexität bedingt einen Teil des Rätsels.
Wellinski: Wenn man sich ihre bisherigen Filme ansieht aber auch Ihren neuen, dann fällt einem auf, dass sie kein Regisseur sind, der "nur" eine Geschichte erzählen will. Sie haben auch etwas, das ich mal vorsichtig "einen Sinn für Orte" nennen würde. Will heißen: Sie betonen die Orte in denen Ihre Geschichten spielen; dass war in "Oslo, 31. August" so, wo die Stadt Oslo eine wichtige Rolle spielte, weil sie sich zum einsamen Helden verhalten musste. Wieso ist Ihnen diese Ortskunde so wichtig?
Trier: Ehrlich gesagt, Kino ist für mich Raum in der Zeit. Dazu kommt, dass ich mich sehr für die Figuren interessiere. Wenn ich mit den Dreharbeiten beginne, sage ich den Produzenten immer: Habt Geduld mit mir! Es gibt zwei Dinge, für die ich in der Vorbereitungsphase Mittel brauche: das Casting und das Location-Scouting .
Das kostet Zeit und Geld. Die Orte sind in meinen Filmen sehr wichtig. Der Raum ist atmosphärisch aufgeladen und bedeutsam. Wenn du die Augen schließt und an einen Film denkst, den du vor zehn Jahren gesehen hast, einer, der dir richtig gefiel, dann kommt dir als erstes nicht die Geschichte in den Sinn, sondern du erinnerst dich an bestimmte Plätze und an Gesichter. Du siehst, wie das Licht durch das Fenster fällt, und im Nebenraum hat es eine andere Tönung, es erzeugt eine andere Stimmung. Das ist nichts Nebensächliches! Ein Film setzt sich aus diesen emotionalen Bruchstücken zusammen.
Es klingt sehr intellektuell, wenn man dies beschreibt, aber die Wirkung ist eine ganz besondere und emotional aufgeladen. Darauf kommt es doch an. Und dann gibt es noch den gesellschaftlichen Raum. In "Louder Than Bombs" sieht man, wie hierarchisch die High-School geführt wird, und daneben setze ich die Raumordnung im familiären Heim. In Up-State New York gibt es gleitende Übergänge zwischen dem urbanen Raum und der Natur. Es erinnert mich fast ein wenig an Norwegen. All diese Beobachtungen haben einen Gefühlswert. Ich verstehe Ihre Frage als Kompliment. Ja, Raum ist mir wichtig.
Wellinski: Ja, das war durchaus ein Kompliment. Machen wir doch damit weiter, denn Sie erscheinen mir auch als ein sehr cinephiler Regisseur. Sie inszenieren nie an der Filmgeschichte vorbei, tun nicht so als würden Sie mit jedem Film Neuland betreten. Wie wichtig ist Ihnen die Filmgeschichte, wenn Sie ihre Filmprojekte realisieren?
"Als Künstler musst du deine eigene Welt erforschen"
Trier: Dass ich selber Filme drehen wollte, das fing schon an, als ich das erste Mal überhaupt in einem Kino saß, ich klebte regelrecht im Sitz. Und ich schaue mir ja auch heute noch sehr viele Filme an. Mich beschäftigt die Tatsache, dass ich mein eigenes Leben immer stärker in das Filmgeschehen einbinde. Es besteht für mich eine dialektische Spannung zwischen der Geschichte des Kinos, auf die ich zurückgreife, und spezifischen Bildern und Figuren, die sich aus etwas speisen, das ich nicht vollständig verstehe. Als ich die Filmakademie besuchte, musste ich einen Kurzfilm drehen. Ich machte Anleihen bei Bertolucci, bei Hitchcock, Alains Resnais und Brian de Palma. Ich habe lauter kleine Zeichen versteckt. Das waren meine Stützräder.
Du hast versucht, deine eigene Bildsprache zu finden, indem du den Meistern nachgeeifert oder bei ihnen Inspiration gesucht hast. Als Künstler musst du deine eigene Welt erforschen und von dort aus die Grenzen immer weiter verschieben. Wenn du deinen zweiten oder dritten Film drehst, dann hast du schon ein paar Freunde gefunden und ihr wollt einfach nicht dieselben Dinge wiederholen. Wir wollen eine neue Ästhetik erforschen. Als Person kenntlich bleiben und sich nicht allzu sehr um das Woher-wir-Kommen kümmern.
Als ich "Auf Anfang" drehte, war das eine sehr ehrliche Beschreibung des Lebens - so wie ich es ich ein paar Jahre zuvor sah. Ich hatte ein bisschen Angst, dass die Kritiker sagen würden: Oh, das ist der Typ, der einen Film über seine Freunde gedreht hat. Aber es haben sich unheimlich viele junge Leute mit dem Film identifiziert, und als sie darüber mit mir redeten, fühlte ich mich zutiefst erkannt. Für manches hatte ich unbewusst einen Ausdruck gefunden. Diese Erfahrung, dass einem beim Drehen Dinge durchrutschen, sich deiner Kontrolle entziehen, und dass genau das für den Zuschauer ein Gewinn ist, das wurde immer wichtiger für mich.
Man sollte ruhig seinen Instinkten trauen und das Unbewusste arbeiten lassen. Dinge, für die man sich schämt oder die einem lästig sind, können dem Publikum etwas bedeuten. Für mich ist Form wichtig. Ich liebe das handwerkliche Arbeiten, ich liebe es, ein richtig gutes, stimmiges Bild zu erzeugen, eine intelligente Geschichte zu entwickeln, und doch braucht es Risse. Es muss ein Wind durch den Film wehen. Es muss etwas geben, dass sich deiner Kontrolle entzieht.
Übersetzung: Sigrid Brinkmann
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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