Regisseur Rudolf Thome

Sensor für gesellschaftliche Befindlichkeiten

Der Regisseur Rudolf Thome im Februar Februar 1990 in Berlin: Thome wurde am 14. November 1939 in Wallau geboren.
Der Regisseur Rudolf Thome im Februar Februar 1990 in Berlin: Thome wurde am 14. November 1939 in Wallau geboren. © picture alliance / dpa / Erwin Elsner
Von Christian Berndt · 15.11.2014
Seit fast 50 Jahren dreht der deutsche Regisseur Rudolf Thome ununterbrochen Filme: Er gilt wahlweise als der deutsche Eric Rohmer oder Deutschlands wichtigster unbekannter Filmemacher. Gestern wurde er 75 Jahre alt. Ein Rückblick auf sein Werk.
"Neuer Auftrag für Dich."
"Du bist dran."
"Sie besteht drauf, dass Du kommst."
"Wie alt?"
"50, 60."
"Hm. Geben Sie mir ein Bier Mickey, sind Sie so lieb?"
Die beiden Privatdetektive Andy und Sebastian haben es nicht besonders eilig mit dem neuen Fall. Lieber lümmeln sie rauchend auf der Couch mit ihrer umwerfend gutaussehenden Sekretärin Mickey, die hauptsächlich für Whiskey- und Biernachschub zuständig ist. Auch die Tatsache, dass man mit der Büromiete im Rückstand ist, kann die beiden nicht aus der Ruhe bringen:
"Das habe ich vergessen, heute früh ist die Kündigung gekommen. Haben Sie denen denn nicht geschrieben, dass wir nicht bezahlen können?"
"Deshalb haben sie wohl gekündigt."
"Diesen Kapitalisten werde ich was erzählen."
Kein Wunder, dass die zwei Detektive bei ihrem folgenden Beschattungsauftrag, aus dem sich ein immer verworrenerer Kriminalfall entwickelt, von cleveren, schönen Frauen an der Nase herumgeführt werden. Rudolf Thomes Debütfilm "Detektive" von 1968 ist eine Art Film-Noir-Parodie und ein sehr zeitgemäßer Film über coole, junge Nichtstuer - gedreht mit einer Lässigkeit und in elegant-kühler Schwarz-Weiß-Ästhetik, wie man sie von der Nouvelle Vague kennt, nicht aber im deutschen Kino erwartet. Und wie die französischen Vorbilder versteht es Thome, seine Darstellerinnen Uschi Obermaier und Iris Berben großartig in Szene zu setzen.
Vorbote des Tarantino-Kinos
In seinem nächsten Film "Rote Sonne" von 1970 geht es um eine Frauen-WG, die sich auf Männermord verlegt hat:
"Was ist eigentlich los mit euch, verdammt noch mal?"
"Wir bringen Männer um."
"Das ist mir klar."
"Schließlich haben sie es verdient. Keine von uns darf länger als fünf Tage mit demselben Mann zusammen sein. Nach fünf Tagen muss er tot sein. Sonst wird es gefährlich, man verliebt sich. Du verstehst, es darf kein Gefühl dabei sein. Wir machen das nicht aus Spaß."
Die Radikal-Feministinnen, die sich auf Waffen ebenso gut verstehen wie auf trendiges Outfit, sehen wie die Vorboten eines Kinos aus, das man von Regisseuren wie Quentin Tarantino kennt. Thomes Filme wirken in den politisierten späten 60er-Jahren provozierend unterhaltsam und stehen in diametralem Gegensatz zum ernsten, gesellschaftskritischen Autorenfilm jener Jahre. Sie wollen Spaß machen, sind aber präzise treffsichere, bis heute nicht gealterte Zeitgeistbeschreibungen.
Halbdokumentarisches über das Leben in der Mauerstadt
1973 zieht Thome von München nach Berlin und beginnt damit, halbdokumentarische Geschichten über das Leben in der Mauerstadt zu drehen. 1980 kommt "Berlin Chamissoplatz" ins Kino. Der Film beginnt mit der Diskussion zwischen einer Studentin, die sich in einer Kreuzberger Initiative gegen den Abriss von Altbauten engagiert, und einem für die Sanierung zuständigen Architekten:
"Sie müssen mal an die Zukunft denken, es ist niemandem zuzumuten, in derartig dunklen Hinterhoflöchern zu hausen."
"Also, ich wohne in so einem Loch und fühle mich sehr wohl darin. Also, wenn ich da raus müsste, eine so billige Wohnung finde ich nie wieder. Es geht doch um etwas anderes."
"Was meinen Sie?"
"Hinter dieser Sanierung steht doch auch die Strategie des Senats, Leute, die die hier Randgruppen nennen, herauszukriegen. Die wollen ja gar nicht, dass es billige Wohnungen gibt, für die man nicht so hohe Miete zahlen muss."
Trotz aller Gegensätze entwickelt sich zwischen den beiden langsam eine Beziehung. "Berlin Chamissoplatz" ist beides zugleich - atmosphärisches Stimmungsporträt des alten West-Berlin und eine einfühlsam erzählte Liebesgeschichte. Typisch für Thomes Filme ab den 80er-Jahren wird die offene Form, mit der er seinen Figuren geduldig folgt und sie in wie zufällig entstandenen Alltagssituationen beobachtet.
Viele Szenen wirken improvisiert, manchmal unbeholfen, aber in ihrer scheinbar ziellosen Offenheit ungeheuer frisch. Das polarisiert damals: Auf den Filmtagen in Hof gibt es für "Berlin Chamissoplatz" Buhrufe, die "ZEIT" nennt ihn ‚das erste Meisterwerk des deutschen Films der 80er-Jahre.' Thome wird mit seinen Filmen zum Gesellschaftschronisten Berlins. So auch in seiner zwischen 2003 und 2006 entstandenen "Zeitreisen-Trilogie".
Gutbürgerliche Familie nach außen als perfektes Idyll
In "Frau fährt, Mann schläft" inszeniert sich eine gutbürgerliche Familie nach außen als perfektes Idyll, bis durch den Tod des Sohnes alles aus den Fugen gerät. Die Mutter, gespielt von Hannelore Elsner, will sich nun von ihren Lebenslügen befreien:
"Ich weiß schon, dass Du mich betrogen hast, immer wieder. Hast Du wirklich geglaubt, dass ich nichts merke, nichts spüre? Manchmal warst Du so heiß darauf, mit mir zu schlafen, da wusste ich, Du hast Dich verliebt, und weil das Mädchen nicht so wollte wie Du, hast Du mit mir Vorlieb genommen. Jetzt habe ich mich in einen Mann verliebt, weil Du mich nicht mehr liebst."
Thome, den Kritiker auch schon als deutschen Eric Rohmer bezeichnet haben, registriert mit feinem Sensor gesellschaftliche Befindlichkeiten. Er spürt den Entfremdungserfahrungen eines wohlhabenden Großstadtbürgertums nach – ähnlich den Filmen der Berliner Schule. Aber im Gegensatz zu deren Regisseuren zeichnet Thome der Anteil nehmende Blick aus. Er liebt die Figuren seiner Filme, in denen vor allem dominante Frauen im Zentrum stehen, zeigt sie in ihren oft hilflosen, aber nie sinnlosen Fluchtversuchen aus der Einsamkeit. Am Ende eines Thome-Films sind seine Helden einem vertraut, als hätte man mit ihnen eine Zeitlang gelebt.