Regierungserklärung

Richtungsbestimmung für die Politik

Christoph Haas im Gespräch mit Julius Stucke · 29.01.2014
Während in den USA die Rede zur Lage der Nation eine Art politischer Absichtserklärung darstellt, dient die Regierungserklärung in Deutschland vor allem der Koalitionsdisziplin, meint der Politologe Christoph Haas.
Julius Stucke: Politiker reden viel und überall, in Interviews hier im Radio, in Fernseh-Talkshows, bei Veranstaltungen und klar: im Parlament. Aber neben dem Reden gibt es auch die Reden, die größeren, die Grundsatzreden. Einmal im Jahr gibt es große Worte des amerikanischen Präsidenten, die Rede zur Lage der Nation. Seine fünfte hat Barack Obama gerade abgeliefert.
Noch liefern muss Angela Merkel heute ihre Regierungserklärung. Reden außer der Reihe des Redens. Aber welche Rolle spielen denn diese Grundsatzreden in den USA und bei uns und wie viel bleibt davon? Darüber spreche ich mit Christoph Haas, Politikwissenschaftler an der Universität Freiburg. Guten Morgen, Herr Haas!
Christoph Haas: Guten Morgen!
Stucke: Ja, Herr Haas, Barack Obamas Rede heute, das war der Versuch, Schwung zu holen für sein sechstes Jahr im Amt. Wie sehen Sie es, hat das funktioniert?
Haas: Nun, er hat auf jeden Fall für sich und seine Administration einiges an Schwung aufgenommen, und er hat die wichtigsten Punkte, die für sein Programm stehen, noch mal erwähnt, hat die Republikaner vor allen Dingen natürlich im Kongress aufgefordert, mitzumachen, und die Analysten und Kommentatoren meinen schon, dass er eine gute Rede gehalten hat. Die Frage ist, ob er inhaltlich mit dem durchkommt, was er sich vorgenommen hat.
Stucke: Schwung holen mit einer Rede, einen Auftakt für ein tatkräftiges Jahr schaffen. Legen wir manchmal ein bisschen zu viel Bedeutung in diese Grundsatzreden, oder sind sie wirklich von der Bedeutung her so wichtig?
"Das sind wichtige Absichtserklärungen"
Haas: Ich glaube, sie sind vielleicht für die Amerikaner ein bisschen wichtiger als vielleicht für uns. Das liegt aber auch am Regierungssystem. Es ist wichtig, dass die Regierung natürlich, egal ob es jetzt in den USA oder in Deutschland ist, mal ihr Programm darlegt. Insofern haben diese Regierungserklärungen eine öffentliche Funktion.
Das sind wichtige Absichtserklärungen, die für die Legislaturperiode, zumindest für das kommende Jahr im Fall der USA, mal darlegen, was die Regierung plant, was sie vor hat. Insofern sind sie einfach so eine Richtungsbestimmung für die Politik, die geplant ist.
Stucke: Eine Richtungsbestimmung? Das erwarten Sie auch von der Bundeskanzlerin heute in ihrer Regierungserklärung, eine Richtungsbestimmung?
Haas: Ja gut, die Situation in Deutschland ist insofern ein bisschen anders, weil wir natürlich eine Kanzlerin haben, die auf die Mehrheit des Bundestages setzen kann. Sie ist ja auch gewählt worden mit der Mehrheit des Bundestages.
Es gibt eine Große Koalition und die Regierungserklärung in Deutschland hat vor allen Dingen natürlich die Funktion, das in der Koalition, im Koalitionsvertrag vereinbarte nochmals darzulegen, die Reihen einzuschwören, dieses Programm auch durchzuhalten und durchzuziehen für die nächsten Jahre. Es ist so eine Art Herstellung der Koalitionsdisziplin und der Bestärkung dessen, was man jetzt gerade vertraglich beschlossen hat.
In den USA ist es ein bisschen anders, weil der Präsident hier ja im Grunde nicht automatisch die Mehrheit im Kongress hat und auch hier mehr die Öffentlichkeit anspricht, gewissermaßen auch von außen Druck auf den Kongress auszuüben und so sein Programm zu unterstützen und den Kongress zu bewegen, hier mitzugehen.
Stucke: Das klingt jetzt für den Fall der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin aber auch nach einem, ich sage mal, gehörigen Maß an Langeweile, was Sie da sagen: Große Koalition, alles verabredet, jetzt sagen wir mal, was wir verabredet haben. War das mal anders? Hat man diese Regierungserklärung früher vielleicht auch häufiger genutzt, um mal so was Grundsätzliches los zu werden, oder war das immer schon so?
Haas: Es war eigentlich schon immer so. Es ging eigentlich mit Adenauer schon los, dass es vor allen Dingen darum ging, die Koalition zu bestärken, den Plan voranzulegen. Vielleicht war es früher ein bisschen stärker möglich, gerade für Adenauer, weil einfach die Situation noch nicht so geklärt war.
Es gab auch natürlich andere Situationen: Man konnte noch viel mehr Grundsätzliches gesetzlich regeln. Heute ist ja vieles ein Reparieren an den bestehenden Gesetzen oder Reformen zu machen, als jetzt irgendwie grundlegende Gesetze zu verabschieden, die den Weg für Jahrzehnte bestimmen werden.
"Eine Regierungserklärung der Bundesregierung gibt es ja häufiger"
Ich denke, hier ist heutzutage auch natürlich weniger möglich, weil die wichtigsten Entscheidungen, die allerwichtigsten Entscheidungen getroffen sind, und es geht vor allen Dingen um Reformen, Reparaturen an Arbeiten, kleine Stellschrauben zu drehen. Insofern ist früher vielleicht ein bisschen mehr Akzentuierung möglich gewesen, aber letztlich geht es im parlamentarischen System vor allen Dingen in der Regierungserklärung darum, den Leuten zu zeigen, dass die Koalition willig ist, für die nächsten vier Jahre ihr Programm durchzuziehen.
Stucke: Welche Rolle spielt denn sowohl in den USA als auch hier bei uns die jeweilige Lage, ob das Ganze in einem entspannten Umfeld stattfindet, oder ob wir gerade ein Problem haben und damit die Bürger vielleicht auch wach rütteln müssen, mit so einer Rede?
Haas: Hier haben wir natürlich auch eine große Unterscheidung. Eine Regierungserklärung der Bundesregierung gibt es ja häufiger, gerade wenn eben außergewöhnliche Situationen, sei es außenpolitischer Art, sei es innenpolitischer Art, eintreten. In der Euro-Krise haben wir das ja mehrfach gesehen, dass hier die Bundesregierung oder die Kanzlerin eine Regierungserklärung abgibt. Insofern ist es immer situativ bestimmt.
Auch ist natürlich klar, dass eine Regierungserklärung, unabhängig ob sie jetzt am Beginn der Legislaturperiode oder irgendwann mitten drin steht, eine gewisse Bedeutung hat, oder die Regierungserklärung sich darauf konzentrieren wird, was aktuell gerade geboten ist. In den USA ist es so, dass die State of the Union Message im Grunde eine Jahresbotschaft ist.
Zum Beginn des Kongressjahres wird jeder Präsident sein Programm darlegen. Ansonsten werden besondere Situationen eher durch Pressekonferenzen des Präsidenten erledigt oder durch andere öffentlichen Auftritte. Es ist eher selten, dass ein US-Präsident noch mal vor den Kongress kommt, außerhalb dieser State of the Union Message, die jährlich gehalten wird.
Stucke: Große Reden oder auch nicht so große Reden - Christoph Haas, Politikwissenschaftler an der Universität Freiburg. Herr Haas, danke und einen schönen Tag für Sie.
Haas: Ich danke Ihnen! Schönen Tag Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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