"Regierungen in Europa machen ihren Job nicht"

Gerhard Schick im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 14.05.2013
Dass die EZB verbriefte Darlehen von Schuldenstaaten kaufen will, sei ein Schritt zur Rezessionsbekämpfung, findet Gerhard Schick. Der finanzpolitische Sprecher der Bündnisgrünen sieht aber zugleich die Regierungen in der Pflicht, wirksame Maßnahmen einzuleiten.
Jan-Christoph Kitzler: In der Krise hat man den Regierungen und Parlamenten in Europa immer wieder dieses Prädikat verliehen: ohnmächtig. Man hechelt den Märkten hinterher, fürchtet die Ratings wie der Teufel das Weihwasser und beschließt in großem Stress milliardenschwere Rettungspakete. Soweit die Ohnmacht.

Es gibt aber auch eine Institution, die hat an großer Macht gewonnen – manche halten sie für die heimliche Regierung Europas in der Krise: Die Rede ist von der Europäischen Zentralbank. Die hält in großem Stil Staatsanleihen maroder Staaten, und nun macht die EZB mit einer neuen Idee von sich reden: Man könnte ja auch gleich verbriefte Darlehen in den Krisenstaaten kaufen, zum Beispiel Schulden im Wert von rund 70 Milliarden Euro, die die italienische Regierung bei Unternehmen hat. Finanzminister Schäuble hält davon – mit einem Wort – nichts. Aber wäre das nicht doch bedenkenswert, oder ist das ein neuer Tabubruch? Und was bedeuten diese Pläne der Europäischen Zentralbank?

Darüber spreche ich mit Gerhard Schick, dem finanzpolitischen Sprecher der Grünen im Bundestag. Schönen guten Morgen, Herr Schick.

Gerhard Schick: Guten Morgen.

Kitzler: Lehnen Sie die Pläne der EZB eigentlich genau so ab, wie Bundesfinanzminister Schäuble, der sagt, das ist nichts anderes als verdeckte Staatsfinanzierung?

Schick: Es ist eindeutig eine Krücke, die hier neu in den Raum gebracht wird angesichts eines kranken Patienten, nämlich der Wirtschaft im Euroraum, die sich ja in einer tiefen Rezession befindet. Das ist sicher kein schönes Instrument und kein gutes Instrument. Gleichzeitig müssen diejenigen, die es ablehnen, aber dann doch beantworten die Frage: Was wollen sie denn tun gegen die Rezession im Euroraum? Und da habe ich jetzt vom Bundesfinanzminister wenig gehört.

Kitzler: Wie würde das eigentlich genau funktionieren? Was würde die EZB da kaufen?

Schick: Nun, die Verbriefung ist ja ein gängiges Instrument an den Finanzmärkten, man verpackt sozusagen Kredite und die hinterlegen ein Wertpapier. Die Europäische Zentralbank kauft Wertpapiere ja auch sonst auf beziehungsweise akzeptiert sie als Sicherheiten von den Geschäftsbanken, und hier würde sich jetzt der Charakter der Sicherheiten verändern. Das hat die Europäische Zentralbank insgesamt schon an anderer Stelle auch gemacht, dass sie Wertpapiere aufgekauft hat, um einzelne Teilmärkte zu stützen und um die Kreditvergabe im Euroraum anzukurbeln, von daher ist es ein weiterer Schritt einer Lockerung von Konditionen neben anderen Schritten, die in dieser Krise schon begangen worden sind. Aber entscheidend ist ja die Frage: Sollte eigentlich die Hauptaufgabe der Rezessionsbekämpfung jetzt bei der Europäischen Zentralbank liegen, oder sind da nicht eigentlich andere am Zug, nachdem die Europäische Zentralbank mit ihrer Zinssenkung auf 0,5 Prozent ja eigentlich das ihre in der Geldpolitik auch schon gemacht hat.

Kitzler: Ich sehe schon, Sie gewinnen dem Vorschlag durchaus was ab. Auf der anderen Seite: Ist das nicht auch eine Armutserklärung der bisherigen Politik der niedrigen Zinsen, die Sie gerade angesprochen haben, dass die nicht funktioniert, eben weil das die kleinen Sparer belastet, zum Beispiel auch in Deutschland, und weil es eben offensichtlich nicht dafür sorgt, dass das Geld dort landet, wo es gebraucht wird, in der realen Wirtschaft?

Schick: Ja, das ist ein Armutszeugnis, aber weniger für die Europäische Zentralbank als vielmehr für die Staats- und Regierungschefs, die ihren Teil nicht tun, denn in so einer Krise müsste jetzt die Geldpolitik und die Fiskalpolitik, das heißt das, was die Zentralbank macht, und das, was die Regierungen machen, sinnvoll zusammen wirken. Die Europäische Zentralbank tut ihren Teil. Was fehlt, ist auf Seiten der europäischen Staats- und Regierungschefs etwas gegen die Rezession zu tun. Wir haben eine Rekordarbeitslosigkeit im Euroraum von 12,1 Prozent, das heißt, es sind 19 Millionen Menschen arbeitslos in den 17 Ländern der Eurozone.

Und vor diesem Hintergrund muss man jetzt noch mal fragen: Was ist eigentlich geworden aus dem Wachstumspaket, was damals beschlossen wurde im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Fiskalpakts. Da hat man ja gesagt, wir wollen in einer Größenordnung von 120 Milliarden Euro die Wirtschaft im Euroraum auch stabilisieren, sodass jetzt nicht nur überall gespart und gestrichen wird, sondern auch investiert wird. Und aus diesem Programm ist nichts geworden. Da hat die Bundesregierung ihr Wort nicht eingehalten, und das ist ein Teil der Misere, die wir jetzt im Euroraum erleben.

Kitzler: Das heißt, die Politik der niedrigen Zinsen müsste einhergehen mit massiven staatlichen Investitionen, Ihrer Meinung nach?

Schick: Genau, und man muss, bei aller Notwendigkeit zu Strukturreformen, in den Krisenstaaten schon auch gucken, dass die Nachfrage nicht völlig wegbricht. Wenn nämlich gleichzeitig die Kaufkraft der Privatleute einbricht, der Staat spart, die Unternehmen nicht mehr investieren, dann ist es klar, dass die Wirtschaft in die Rezession rutscht, und das können wir ja in den Staaten, in Griechenland, in Zypern, in Italien, in Spanien, Portugal, überall erleben, und das zieht die Eurozone insgesamt in die Rezession und gefährdet damit auch die deutsche Wirtschaft.

Kitzler: Haben wir in der jetzigen Situation eigentlich eine Chance, von diesen rekordverdächtig niedrigen Zinsen runterzukommen? Denn wenn man sie jetzt erhöhen würde, dann sorgt das ja auch nicht dafür, dass die Banken das Geld leichteren Herzens verleihen.

Schick: Genau, man kann die Banken letztlich nicht zur Kreditvergabe zwingen. Kredite sind Verträge zwischen den Unternehmen und den Banken, und die Zentralbank kann das genau so wenig direkt erzwingen, wie man mit einem Seil einen Wagen anschieben kann. Das funktioniert nicht, sondern das sind unabhängige Entscheidungen, deswegen ist es einfach entscheidend, dass die Nachfragesituation insgesamt in der Wirtschaft stark ist.

Und man muss in Deutschland auch aufpassen, dass man einer Angst nicht unnötig aufsitzt: Im Moment besteht überhaupt keine Inflationsgefahr, die Nachfrage ist so schwach, dass die Preise weniger stark steigen, als es die Zielgröße der Europäischen Zentralbank ist. Im Moment ist die Inflationsrate bei 1,2 Prozent, als deutlich unter der Zielvorgabe der Europäischen Zentralbank von zwei Prozent oder leicht drunter. Und deswegen sollten wir an dieser Stelle jetzt nicht an der falschen Stelle Angst haben, sondern aufpassen, dass wir endlich die Rezession im Euroraum überwinden.

Kitzler: Kann man Ihren Blick auf die Rolle der EZB so auf den Punkt bringen: Die EZB, die Europäische Zentralbank, ist nur deshalb so stark, weil die Regierungen, weil Europa so schwach ist?

Schick: Genau das ist der Punkt. Weil die Regierungen in Europa ihren Job nicht machen, ist die Europäische Zentralbank in der Rolle des einzig funktionierenden Krisenmanagers, und deswegen ist sie auch gezwungen, problematische Aktivitäten zu unternehmen. Und deswegen sollte man nicht die Europäische Zentralbank kritisieren, wenn sie jetzt neue Ideen entwickelt, sondern man sollte diejenigen kritisieren, die ihren Job nicht machen, also die Staats- und Regierungschefs, und insbesondere die Bundesregierung, die ja bei vielen Stellen da auf der Bremse steht in Europa.

Kitzler: Gerhard Schick, finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Deutschen Bundestag. Vielen Dank für das Gespräch, einen schönen Tag.

Schick: Vielen Dank.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Gerhard Schick, Mitglied im Parteirat von Bündnis 90/Die Grünen
Gerhard Schick© picture alliance / dpa
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