Reggae, Rasta und Rassismus

18.07.2007
In den 1930er Jahren entstand auf Jamaika eine Bewegung, die christlich-mystische Elemente mit "Black Power" verband: Rastafari. Der Anthropologe Werner Zips will mit seinem Buch "Rastafari" die Klischeebilder von kiffenden Reggae-Anhängern mit geschöntem Afrika-Bild entzerren. Doch statt einer verständlichen Erklärung der Hintergründe bietet Zips nur Rasta für Insider.
Kingston, das ländlich-tropische Städtchen am Meer, ist eine Reise wert. Die Schreie der Busausrufer, die Händler mit einer Fülle an Früchten, Schnapsläden hinter Gittern. Dazu die Musik Bob Marleys, allgegenwärtig, und Männer mit Dreadlocks, den verfilzten "Schreckenslocken", und Wollmützen in den panafrikanischen Farben, rot-gelb-grün. Jamaikas Hauptstadt, Wiege von Reggae und Rastafari, betört Augen und Ohren.

Eine weitere Erfahrung ist indes prägender. Vielleicht an keinem anderen Ort in Lateinamerika schlägt dem weißen Reisenden, sei er Journalist oder Entwicklungshelfer, so deutlich Feindseligkeit entgegen, spürt er beim Gang durch die Straßen einen fast greifbaren Hass. Reggae und Rasta, so lesen wir nun, haben mit dieser Art Rassismus nichts zu tun.

Werner Zips, ein Anthropologe aus Wien, hat zum Thema Rastafari (der Begriff meint zweierlei - Ideengerüst und Akteure) ein lesenswertes Buch herausgegeben. In einer Epoche allgemeiner Sinnkrise und Heilssuche empfiehlt der Professor die Weltanschauung aus der Karibik als "universelle Philosophie im 3. Jahrtausend".

Für sein Kompendium nutzte Zips Redebeiträge einer Konferenz über Karibikforschung. Bei dem Symposium 2001 in Wien trafen schwarze Autoren und Künstler auf weiße Forscher. Das Buch versammelt jetzt - warum erst sechs Jahre später? - Referate und lockere Berichte. In drei Teile hat Zips das Werk gegliedert; wir finden reichlich Nabelschau ("Rasta aus Erfahrung"), Rückblicke in Geschichte und Literatur sowie die Aussicht auf Afrika als Land der Erlösung.

Zips' Anliegen: "Sozialwissenschaftliche Zerrbilder" entzerren, um die westlich-anmaßende "Macht der Definitionen" zu brechen. Rastafari, entstanden im Kingston der dreißiger Jahre, sei mehr als ein Kult, dessen Anhänger Dreadlocks tragen, Ganja (Marihuana) rauchen, Äthiopiens toten Kaiser Haile Selassie als Inkarnation Gottes verehren und ein geschöntes Bild Afrikas pflegen. "Der Band" - so verspricht es der Rücktitel - "gibt leicht verständliche Anleitungen zu den philosophischen Grundlagen von Rastafari".

Nun, genau das tut das Buch nicht. Wer den einfachen Zugang sucht, sollte zum Lexikon greifen. Das Sammelwerk hat eine andere, leicht erkennbare Zielrichtung; es bietet Rasta für Insider, für Gläubige oder Suchende, eine Phantasie mit etwas Größenwahn. Manche Essays tragen sprechende Titel: "Universelle Gerechtigkeit" / "Die Bedeutung von Rastafari für die Weltkritik" / "Rastafaris Weg zum Weltfrieden". Eine Autorin sieht in Rastafari den "globalen Katalysator des sozialen Wandels", mehr noch, die "wahre neue Weltordnung"; Rasta-Musik habe sogar geholfen, die Berliner Mauer niederzureißen.

Herausgeber Werner Zips, Jahrgang 1958, kam in den späten Siebzigern nach Kingston; in den Achtzigern promovierte der Anthropologe. Sein Forschungsgegenstand scheint ihn irgendwann geschluckt zu haben: Von wissenschaftlicher Distanz ist in den Texten des Professors (und im gesamten Buch) nichts zu spüren. Hier spricht ein Missionar mit dem ganzen Eifer des Bekehrten.

Zips' erster Satz ist ein Dank - an Seine Kaiserliche Majestät Haile Selassie (zu Deutsch: "Macht der Dreifaltigkeit"). Rastafari, heißt es dann, sei eine "allgemein gültige Vision der 'spirituellen Rettung'". Häufig ist von Liebe die Rede. Nur: In stereotyper Wiederholung bekommt das Wort bald etwas Drohendes, und drohend wirken bestimmte Schlagworte: Ablehnung, Attacken, Black Power, to beat the system, Schlachtfeld, Speerspitzen, gerechter Zorn, umgekehrte Kolonialisierung, Deprogrammierung oder Reinigung des Bewusstseins, dazu die alte Losung "Tod den Weißen". Aktivisten rufen nach Feuer, um "Babylon" (den ausbeuterischen Westen) niederzubrennen. Auf eine sich selbst entlarvende Weise schreibt Zips das Adjektiv "schwarz" grundsätzlich mit großem S. Der schwarze Rassismus in Kingston wird im Buch nicht erwähnt.

Das Doppelprojekt aus Symposium und Buch bot die Chance, in ein faszinierendes Denkgebäude einzudringen; sie wurde vertan. Was, am Ende, ist Rastafari? Religiöses Blendwerk, eine Sekte? Protestbewegung, Lebenskunst? Von allem wohl etwas. Rasta sei "unidentifizierbar und damit unkontrollierbar", heißt es im Klappentext. Rasta, wie das Buch die Lehre beschreibt, ist eine dogmatische Weltanschauung, so intolerant wie jede Ideologie. In diesem Sinn: "Blessed, Perfect Love. Seid gesegnet, Wahre Liebe."

Rezensiert von Uwe Stolzmann

Werner Zips (Hg.), Rastafari. Eine universelle Philosophie im 3. Jahrtausend
Promedia-Verlag, Wien 2007
248 Seiten, 19,90 EUR