Regener liest Regener

Von Wolfgang Schneider · 04.10.2013
Sven Regeners 500 Seiten starker Roman "Magical Mystery oder Die Rückkehr des Karl Schmidt" ist in gedruckter Form bereits ein Bestseller. Viele lesen dieses Buch - dabei sollte man es eigentlich hören, meint unser Kritiker Wolfgang Schneider.
Inzwischen sind fünf Jahre vergangen. Karl Schmidt, als "Multitox-Problemfall" eingestuft, hat seinen Drogenmissbrauch in den Griff bekommen. Er wohnt in der betreuten Sucht-WG Clean Cut 1 in Hamburg-Altona und jobbt als Hilfshausmeister in einem Kinderkurheim. Ein Leben in der gesicherten Parkbucht. So kann es nicht weitergehen. Da kommt der Anruf von einem alten Freund aus Berliner Zeiten:

"Wir brauchen einen, der sich um alles kümmert, der uns fährt und auf das Geld aufpasst und auf uns auch, und dass wir weiterkommen, und was weiß ich alles."
"Und wieso ich?"
"Das war Ferdis Idee, weil du nichts nehmen darfst. Du darfst doch nichts nehmen? Das habe ich doch richtig verstanden, oder?"
"Ja, also nein, darf ich nicht."
"Jedenfalls hatten wir dann die Idee, dass wenn du nichts nehmen darfst, dann bist du doch der ideale Mann dafür. Ich meine, wir können uns ja unmöglich von irgendeinem Verstrahlten durch die Gegend fahren lassen."

Karl soll also mit seinem zwangsweise klaren Kopf den Aufpasser spielen für eine feierwütige Bande von zehn Techno-DJs des überaus erfolgreichen Labels Bumm-Bumm-Records, die eine "Magical Mystery Tour" unternehmen wollen mit ihrem "deutschen Dance". Es geht um das "Ding mit der Liebe", um die Beseelung des Geschäfts durch reaktivierte Hippie-Ideen.

Als Frontmann der Gruppe "Element of Crime" ist Sven Regener selbst tourneeerfahren und zudem ein Meister des prononcierten Sprechgesangs. Artikulation und Ausdruck sind wichtiger als Melodie und Oktavenreichweite. Das erprobte Talent kommt dem Autor beim literarischen Vortrag zugute. Herrlich, wenn er sich in der Schmidt-Rolle in Rage redet. Da gibt es gleich in der ersten Nacht Probleme beim Late-Check-in im Fluxi-Hotel Bremen. Die gebuchten Zimmer sind vergeben.

"Sie wollten also die Zimmer doppelt abkassieren, so sieht’s aus, und jetzt will ich hier nichts mehr hören, jetzt wollen wir die Zimmer, sonst rufe ich die Buchungszentrale von Fluxi an und frag die mal, wie die das finden, dass Sie hier solche Nebengeschäfte machen."
"Das sind keine Nebengeschäfte."
"Das sind wohl Nebengeschäfte."
"Das sind keine Nebengeschäfte!"
"Das sind wohl Nebengeschäfte!"
Das sind keine Nebengeschäfte. Was denken Sie denn?"
Die Frau war kurz vorm Weinen und tat mir schon wieder ein bisschen leid, ein Gefühl, das ich in diesem Moment überhaupt nicht gebrauchen konnte. Aber so ist das mit den Gefühlen. Wenn man welche hat, sind es meist die falschen."

Eine große, anrührende Geschichte
Eigentlich ein guter, mitfühlender Mensch, dieser Karl Schmidt, der zwischendrin auch viele kluge, lebenserfahrene Sätze äußert, oft am Ende dieser typisch regenerhaften Dialoge, die um gewichtige Nichtigkeiten rotieren. Dazu ist Karl ein begabter Schlichter, wenn zum Beispiel bei der Crossover-Night in Schrankenhusen-Borstel die DJs in Streit geraten.

"Ja und? Dagegen ist doch nichts zu sagen! Ich meine, wir wären doch voll die arroganten Ärsche, wenn wir das nicht … Ich meine, wir dachten, da sind so Bauern und Güllewagen und Schlägerei und Billigspeed, und dann haben die da Rollstuhlabend! Das ist doch ganz klar Magical Mystery! Ich meine, die Magnetic-Leute machen die Springtime, das kann jeder, aber wir voll auf dem Lande und dann Behindertendisco … Ich meine, das ist doch Magical Mystery total."

Dass dies bei allen Comedy-Momenten eine große, anrührende Geschichte wird, verdankt sich der Schmidt-Figur: ein gefährdeter Mensch, das "dunkle Gefühl" immer als bedrohliche Wolke über der Seele, und die kann sich leicht zu einem schwarzgrauen Himmel auswachsen. Mit vielen Versuchungen hat Karl zu kämpfen, in seinem Kopf säuseln die Sirenenstimmen der inneren Party-People:

"Denn das war ja Quatsch, wenn man schon mal hier war, dass man das nicht gleich auch noch ein wenig auskostete. Was war denn schon dabei? Es musste ja nicht gleich Bier sein, es ginge ja auch erst mal eine Cola. Mal nicht gleich das Kind mit dem Bade ausschütten! Auch mal locker lassen, und überhaupt, wer weiß, ob ich überhaupt jemals ein Multitox gewesen war? Und nur mal so eine halbe Stunde Bumm-Bumm, solange noch keiner da ist, das kann ja wohl nicht das Problem sein! Und Bier ist ja wohl sowieso noch nie das Problem gewesen, dann eben einfach mal Koks und Schnaps und Speed und all das weglassen, das kann ja wohl nicht so schwer sein."

Wunderbarer Quatsch in Literaturform
Aber ob Münchner Hofbräuhaus, Frankfurter Äppelwoikneipe oder Hamburger Hafenrundfahrt – Karl schafft es, nüchtern zu bleiben. Das ist doch mal eine positive Geschichte, und dazu kein bisschen kitschig. Denn das Leben, wie Regener es sieht, gebiert unaufhörlich Komplikationen. Da stirbt mitten auf der Tour eines der beiden Begleit-Meerschweinchen an Altersschwäche, was einen Rattenschwanz an Problemen nach sich zieht:

"Ja, aber wir brauchen ein zweites Meerschweinchen", ließ er nicht locker. "Sonst ist das Tierquälerei. Oder warte mal" – er hob einen Zeigefinger – "wir kaufen einfach zwei neue Meerschweinchen, so junge Meerschweinchen. Dann kann Bolek in Ruhe sterben, und die anderen beiden können einfach weitermachen."
"Dann hab ich ja immer und ewig Meerschweinchen am Hals", sagte Holger. "Ich kann doch nicht mein Leben lang immer wieder Meerschweinchen dazukaufen, da kannst du ja ewig warten, dass die genau gleichzeitig sterben. Das ist doch Quatsch!"

Ja, ganz viel wunderbarer Quatsch wird in "Magical Mystery" in Literatur transformiert. Klare Empfehlung: Das sollte man nicht lesen, das sollte man unbedingt hören – in der passionierten Performance von Sven Regener.

Sven Regener: Magical Mystery oder Die Rückkehr des Karl Schmidt
Ungekürzte Autorenlesung
Tacheles 2013, 8 CDs, 10 Stunden 7 Minuten
39,99 Euro

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Mit Schmidt heil in den Tourbus - Sven Regener: "Magical Mystery oder Die Rückkehr des Karl Schmidt", Galiani Verlag, Berlin 2013, 506 Seiten, (DKultur, Kritik)
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