Regenbogen-Revolution in Rom

Von Thomas Migge · 06.07.2013
Bisher schien Italien von der Legalisierung der Homo-Ehe meilenweit entfernt. Besonders die mächtige katholische Kirche bremste. Jetzt aber unterstützen erstmals große politische Parteien die Schwulen und Lesben. Das ist auch der Verdienst eines 17-jährigen Schülers.
Kardinal Angelo Bagnasco, Erzbischof von Genua, zu dessen Diözese der Verstorbene gehörte, sprach salbungsvolle Worte. Er würdigte den am 22. Mai verstorbenen Geistlichen Don Andrea Gallo als einen Mann, der den Armen und Kranken zur Seite stand. In der Kirche in Genua, in der die Totenfeier stattfand, wurde es sichtlich unruhig, während der Kardinal und auch mächtige Präsident der italienischen Bischofskonferenz mit seinem für ihn typischen monotonen Sprachstil fortfuhr.

Erst kam ein "buh", dann ein weiteres und in Sekundenschnelle standen sich in dem Gotteshaus zwei Gruppen gegenüber: diejenigen, die dem Kardinal applaudierten, und diejenigen, die ihn ausbuhten und sogar auspfiffen.

Schließlich überwogen die Kritiker des Kardinals und es erklangen Sprechchöre in der Kirche, wie in einem Fußballstadion. Man rief immer wieder den Namen Don Gallos und das Wort "Die Wahrheit! Die Wahrheit!".

Schließlich versuchte ein Gemeindemitglied die aufgebrachte Menge zum Schweigen zu bringen. Ein schwieriges Unterfangen. Die Stimmung bei der Trauerfeier von Italiens prominentestem und wegen seiner scharfen Kritik an der Amtskirche gefürchteten katholischen Geistlichen war so angespannt, dass man Ordnungskräfte rief, um Schlimmeres zu verhindern.

Die Buhrufer warfen dem Kardinal und Erzbischof der Diözese von Don Gallo vor, dass er in seiner Trauerrede nicht auf eines der wichtigsten Themen im Wirken Don Gallos zu sprechen kam. Ein für seine Kirche sehr unbequemes Thema: die Homosexualität. Don Gallo forderte Jahre lang den Papst und die Bischöfe dazu auf, endlich das Schwulsein in Gesellschaft und Kirche zu akzeptieren, und sich ihrerseits für eine Gesetzgebung wie in Deutschland und Frankreich starkzumachen, die gleichgeschlechtlichen Paaren verschiedene Rechte gibt.

Auf die laut vorgetragene Kritik der Gottesdienstbesucher in Genua reagierte Kardinal Bagnasco nicht mit einem einzigen Wimpernzucken. Doch er reagierte einige Tage später. Und zwar mit verschiedenen und recht eindeutigen Interviews zum Thema:

"Die Familie stützt sich, das wissen wir doch alle, auf die Ehe zwischen einem Mann und einer Frau, die die Pflicht haben, Kinder zu schaffen und zu erziehen. Die Politik hat die Aufgabe, die Familie als Zentrum der Gesellschaft zu schützen. Ein Konzept, wie wir es immer schon verteidigen"

Eine Mahnung an die politische Klasse Italiens. Zu dieser Mahnung sah sich der Präsident der italienischen Bischofskonferenz gezwungen, denn in den Tagen nach der Bestattung Don Gallos war etwas in Italien Unerhörtes geschehen.

Blick auf die Hauptstadt der italienischen Region Ligurien, Genua
Genua, Hauptstadt der italienischen Region Ligurien. Hier gab es Aufruhr bei der Totenfeier für einen verstorbenen Geistlichen.© Stock.XCHNG - Stefano Barni
Ein Brief als Alternative zum Selbstmord
Ende Mai veröffentlichte die linksliberale Tageszeitung "La Repubblica" den offenen Brief eines 17-jährigen Schülers aus Rom. Davide Tancredi fordert darin mit eindringlichen und ergreifenden Worten die italienischen Politiker und die Gesellschaft dazu auf, sich endlich gegen die im Land ausufernde Homophobie zu erheben und zu akzeptieren, dass es auch Menschen gibt, die Angehörige ihres eigenen Geschlechts lieben und deshalb nicht minderwertiger als andere Menschen sind. Klare Worte, die für die meisten Deutschen nichts Ungewöhnliches oder Skandalöses ansprechen.

Dazu Monica Laurenti, Mitglied einer römischen Vereinigung für katholische Homosexuelle und Lesben:

"Davide Tancredi, ein junger Homosexueller, schrieb in seinem Brief den ergreifenden Satz: 'Ich bin 17 Jahre alt und gay und dieser Brief ist meine einzige Alternative zum Selbstmord.' Er fordert, dass endlich ganz offiziell Beziehungen zwischen Schwulen legalisiert werden. Der Sinn einer Ehe, schreibt er, bestehe doch darin, dass man sich liebt. Warum also, fragt er, kämpfen Kirche und Politik gegen diese Liebe?"

Der Brief in der auflagenstärksten Zeitung Italiens löste eine in Italien nie da gewesene Welle an Reaktionen aus. Die Präsidentin des italienischen Parlaments lud Davide zu sich ein, um mit ihm zu sprechen. Schwulenverbände, Vereinigungen homosexueller Katholiken und mutige katholische Geistliche, die sich, dafür von ihren Vorgesetzten heftig kritisiert, für die rechtliche Gleichberechtigung homosexueller Beziehungen einsetzen und Schwule betreuen, meldeten sich zu Wort. Sie klagten nun auch ganz offen an, dass sich in Italien seit einiger Zeit Akte von Homophobie häufen würden, gewaltsame Übergriffe, vor allem von Rechtsradikalen. Das Innenministerium bestätigt diese Tendenz. Im Vergleich zwischen 2010 und 2012 sind Gewaltakte gegen Homosexuelle um 55 Prozent gestiegen.

Vorbild Deutschland
Auch prominente katholische Geistliche wie der Theologe und Ordensmann Alberto Maggi sprachen sich nach dem offenen Brief des jungen Mannes für eine neue Sichtweise der Kirche in Sachen Homosexualität aus. Zu der in seiner Kirche geltenden Vorstellung, wonach ein Homosexueller, der keusch lebt, sich keiner Sünde schuldig mache, meint Alberto Maggi:

"Die Kirche will keine klare Position beziehen und verrenkt sich zu einer verqueren Einstellung. Das ist doch so, als ob man eine Pflanze zwar wachsen lässt, ihr dann aber verbietet, Blüten zu treiben. Man kann doch einer Person nicht sagen, sie dürfe ihre Gefühle für eine andere nicht zum Ausdruck bringen! So eine Einstellung ist gegen die Natur!"

Der Brief von Davide Tancredi provozierte auch eine politische Reaktion. Und das zum ersten Mal in Italien, in einem Land, in dem sich bisher selbst die Linken nur ganz lau für eine Gesetzgebung wie in Deutschland starkmachten, denn auch sie wollten bei Wahlkämpfen nicht die katholische Kirche gegen sich haben.

Doch jetzt erklärten prominente Mitglieder nicht nur der Linksdemokraten sondern auch von Silvio Berlusconis so genannter "Partei der Freiheit", dass sie sich innerhalb der großen Koalition, die seit einigen Monaten Italien regiert, für ein Gleichstellungsgesetz wie in Deutschland einsetzen wollen. Für ein solches Gesetz, erklärten linke wie rechte Politiker, werde man eng zusammenarbeiten, um es schnell zu verabschieden, um, so Berlusconis ehemaliger Kulturminister Sandro Bondi, "in diesem Punkt endlich nicht mehr ein europäisches Schlusslicht zu bilden".

Italiens katholische Medien und Repräsentanten der Bischofskonferenz und des Vatikans sind entsetzt über dieses in ihrem Land bisher einmalige Vorpreschen der beiden wichtigsten politischen Parteien. Padre Alberto Maggi kann die Kritik und Aufregung seiner Kirche nicht nachvollziehen:

"Es gibt einen sehr schönen Satz im neuen Testament, der dem heiligen Petrus zugeschrieben wird. Da heißt es: 'Gott hat mir gezeigt, dass kein Mensch unrein ist.' Es ist die Religion als Institution, die zwischen rein und unrein, also zwischen sündig und nicht sündig unterscheidet. Sicherlich ist es nicht Jesus. Er sprach von Liebe für alle Menschen"
Begrüßung oder Abschied? Silvio Berlusconi, verurteilter Ex-Ministerpräsident Italiens
Auch in Silvio Berlusconis "Partei der Freiheit" will man sich nun für ein Gleichstellungsgesetz wie in Deutschland einsetzen.© picture alliance / dpa / Julien Warnaud
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