Regelung zur Stammzellforschung "trägt nicht mehr"

Moderation: Hanns Ostermann · 13.02.2008
Der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Krebsforschungszentrums Heidelberg, Otmar Wiestler, hat sich dafür ausgesprochen, die Forschung an embryonalen Stammzellen zu erleichtern. Die Stichtagsregelung solle vorsichtig geöffnet werden, sagte Wiestler.
Hanns Ostermann: Allzu häufig kommt es nicht vor, dass Linke und liberale Politiker das gleiche Ziel verfolgen – Gregor Gysi und Guido Westerwelle zum Beispiel -, oder dass Friedrich Merz von der CDU Seit an Seit streitet mit dem Grünen Hans-Christian Ströbele. Am kommenden Donnerstag aber sind derartige ungewöhnliche Bündnisse wieder zu beobachten: immer dann, wenn es um schwierige ethische Fragen geht. Dann spielt der Fraktionszwang keine Rolle. Diskutiert wird die Stammzellforschung in Deutschland. Vier verschiedene Gesetzesentwürfe beschäftigen die Parlamentarier. Bislang darf nach geltendem Recht bei uns nur mit Stammzellen geforscht werden, die aus dem Ausland stammen und die vor dem 01. Januar 2002 gewonnen wurden. Das könnte sich ändern. – Am Telefon ist jetzt der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Krebsforschungszentrums Professor Otmar Wiestler. Guten Morgen Herr Wiestler!

Otmar Wiestler: Guten Morgen!

Ostermann: Es sind nicht wenige, die für eine neue Stichtagsregelung plädieren. Sie gehören dazu. Welche Argumente sprechen dafür?

Wiestler: Die Argumente, die dafür sprechen, sind erstens: Dieses Gebiet der Stammzellforschung hat sich über die Jahre rasant weiterentwickelt. Es gibt viele neue Erkenntnisse. Es gibt in der Zwischenzeit neue Stammzelllinien, die international hergestellt worden sind, die den alten in vielen Eigenschaften überlegen sind. Wir müssen, wenn wir als Forschungsstandort auf einem der wichtigsten Gebiete international konkurrenzfähig bleiben wollen, eine Öffnung auf diesem Sektor haben.

Ostermann: Das heißt, die Förderung des Wissenschaftsstandortes, das hat für Sie absolute Priorität?

Wiestler: Das hat für mich als Wissenschaftler im Endeffekt Priorität, wobei ich gerne anerkenne, dass das eine Frage ist, die die Bevölkerung und nicht nur die Politik ja intensiv beschäftigt hat und nach wie vor beschäftigt. Wir sind hier in einem Bereich, wo wir auch ethische Abwägungen treffen müssen. Aber ich denke mit einer vorsichtigen Öffnung jetzt, die auch den ethischen Bedenken Rechnung trägt, würden wir einen Kompromiss erreichen, mit dem alle Seiten leben können.

Ostermann: Aber bei einer vorsichtigen Öffnung denkt der eine oder andere, dann wird in drei, vier Jahren ein neues Gesetz verabschiedet und es geht so weiter.

Wiestler: Ich glaube, wir müssen immer von der momentanen Situation ausgehen. Die Forschung und Entwicklung geht weiter. Das ist ja keine neue Erkenntnis. Wir sind mittlerweile einfach an einem Punkt angelangt, wo die gesetzliche Regelung, die wir vor fünf Jahren alle intensiv ja gemeinsam gefunden haben, nicht mehr trägt.

Ostermann: Nun werden menschliche Embryonen – also ein Häuflein aus wenigen Hundert Zellen – getötet. Das ist doch die Voraussetzung für menschliche embryonale Stammzellen. Die grundsätzliche Frage: ist das vereinbar mit der Würde des Menschen?

Wiestler: Ja, die Frage ist natürlich enorm wichtig. Ich will da aber gleich etwas korrigieren. Es werden keine Embryonen getötet, sondern es werden aus überzähligen Embryonen, die sowieso angelegt werden im Rahmen der künstlichen Befruchtung und die nur über einige Jahre in gefrorenem Zustand lebensfähig gehalten werden können, einzelne Zellen entnommen. Wir sind absolut der Meinung wie auch viele Kollegen in der Politik, dass niemals Embryonen hergestellt werden sollten nur zum Zweck der Gewinnung von Stammzellen.

Ostermann: Gleichwohl die Frage: wird menschliches Leben hier getötet aus Forschungszwecken?

Wiestler: Nein, es wird nicht getötet, weil diese überzähligen Embryonen, die im Rahmen der künstlichen Befruchtung ja weltweit vielfach täglich hergestellt werden, über längere Zeit tiefgefroren gelagert werden und nach einem gewissen Zeitraum werden sie im Endeffekt aufgetaut und verworfen, weil sie dann nicht mehr eingepflanzt werden können. Noch einmal: es werden keine Embryonen getötet nur zum Zwecke der Entnahme der Stammzellen.

Ostermann: Warum brauchen wir überhaupt diese embryonale Stammzellforschung, wenn vor kurzem menschliche Hautzellen zu Stammzellen umprogrammiert werden konnten?

Wiestler: Das ist natürlich eine ganz entscheidende Frage. Wir sind nach wie vor in der Situation, dass ja an unterschiedlichen Stammzellen geforscht wird. Es gibt in unserem erwachsenen Körper auch noch Zellen, die Stammzellcharakter haben, die dafür sorgen, dass unsere Haare wachsen, dass die Schleimhäute neu aufgebaut werden, dass das Blut sich ständig erneuert. In diese sogenannten erwachsenen Stammzellen hat die Forschung große Hoffnung gesetzt. Leider hat sich herausgestellt, dass sie doch viele der Eigenschaften, die wir uns erhofft haben, nicht haben – ganz im Gegensatz zu den embryonalen Stammzellen, die zum Beispiel dauerhaft vermehrbar sind und von denen wir wissen, dass sie noch in alle Körperzellen ausdifferenzieren können. Es ist in der Tat so, dass es neue wissenschaftliche Erkenntnisse gibt, die darauf hindeuten, dass man aufbauend aus Ergebnissen der Forschung mit solchen embryonalen Stammzellen eines Tages vielleicht wird Alternativen entwickeln können. Darauf hoffen wir durchaus!

Ostermann: Und da hoffen nicht zuletzt die Menschen, die unter Parkinson oder unter den Folgen eines Herzinfarktes leiden. Aber noch ist Ihr Fachgebiet Grundlagenforschung. Das wird es auch die nächsten sechs oder zehn Jahre lang bleiben?

Wiestler: Ich glaube, dass auf diesem Sektor in der Tat sehr viel Grundlagenforschung erforderlich ist. Deshalb sollte man sehr vorsichtig sein beim Wecken von Hoffnungen für Patienten mit schweren Krankheiten. Ich persönlich bin allerdings davon überzeugt, dass im Laufe der nächsten fünf bis zehn Jahre sicher die ersten Behandlungsversuche gemacht werden – vielleicht bei Patienten mit Parkinson-Krankheit, vielleicht auch bei Patienten mit Zucker-Krankheit, weil das sind Erkrankungen, bei denen ja nur eine ganz bestimmte Zelle im Körper verloren geht und durch eine Transplantation ersetzt werden müsste.