Reflexion über die bürgerliche Genievorstellung

Von Sabine Fringes · 20.05.2011
Seit Richard Strauss ist Hans Werner Henze einer der erfolgreichsten deutschen Opernkomponisten. Einen der großen Erfolge feierte er mit seiner "Elegie für junge Liebende", die am 20. Mai 1961 uraufgeführt und noch im selben Jahr an mehreren europäischen Bühnen gespielt wurde.
Ein österreichischer Berggasthof, Frühjahr 1910. Hierhin hat sich der Dichterfürst Gregor Mittenhofer zum Schreiben zurückgezogen, um ihn seine Getreuen: seine Geliebte Elisabeth, seine Mäzenin und ergebene Sekretärin Carolina sowie sein Leibarzt mit Sohn Toni. Sie alle umkreisen den berühmten Künstler in unglücklich-neurotischer Abhängigkeit. Ihm wiederum dienen die Menschen nur als praktische Alltagsgehilfen oder als Stoff für seine Werke, wie etwa die geistig umnachtete Witwe Hilda, die seit 40 Jahren auf die Rückkehr ihres im Gebirge verschollenen Mannes wartet. Ihre qualvollen, in bizarren Koloraturen sich lösenden Wahnvorstellungen sind Mittenhofer eine unerschöpfliche Inspirationsquelle.

"Es geht in diesem Stück um die Darstellung des schlimmen Veitstanzes, des kreativen Furore, im unendlichen Konflikt zwischen dem schöpferischen Menschen und seiner Umwelt, um das Ausmessen dieser mörderischen, öfter hässlichen und tragischen als entspannt glücklichen Bereiche, die hier gleichnishaft dargestellt werden, vor dem Hintergrund einer Schuldkultur, die das christlich-spät europäische Denken durchdringt."

Hans Werner Henze über sein Werk. Mit nur 24 Instrumentalisten ist das Orchester klein genug, um die Sprache des Librettistenteams Wystan Auden und Chester Kallman ganz in den Vordergrund zu stellen. Eine eigene Zwölftonreihe und ein spezielles Instrumentarium geben jeder Figur einen individuellen klanglichen Charakter: Die hysterische Hilda begleitet die Flöte, hohe Streicherklänge das junge Liebespaar, Elisabeth und Toni, die unter der scheinbar großzügigen Billigung von Mittenhofer zusammengefunden haben, und dreifaches Blech den selbstgefälligen Meister.

Die Uraufführung der "Elegie für junge Liebende" bei den Schwetzinger Festspielen am 20. Mai 1961 war ein großer Erfolg, auch wenn die Musik zunächst noch aneckte: Dem traditionellen Opernpublikum war die Zwölftonmusik zu anstrengend, den Avantgardisten wiederum missfielen die schönen Melodien und der Belcanto. Und doch setzte sich das Werk durch als eine wichtige Oper der Nachkriegszeit: Sie ist eine klingende Reflexion über die bürgerliche Genievorstellung des späten 19. Jahrhunderts, die das Kunstwerk eines Menschen höher als dessen Leben schätzt.

Am Ende der Oper hat Mittenhofer ein neues Gedicht geschaffen: Die "Elegie für junge Liebende". Hierzu hatte ihn der von ihm mitverschuldete Tod von Elisabeth und Toni inspiriert, die er trotz Schneesturm-Warnung zu einem Gebirgsausflug gedrängt hatte. Die Zeilen seines Poems bleiben ungehört, stattdessen erklingen nur die Vokalisen derer, die zur Entstehung des Gedichts beigetragen haben.

"Am Ende steht dann wortlos die Musik allein, die einzige Kunst, die, wie Auden sagt, nicht in der Lage ist, zu verurteilen oder zu richten, und die daher Vergebung über den Menschen auszuschütten vermag wie reinen Wein."