Reden über die Massaker in Bromberg

Von Hartmut Krug · 04.11.2012
Wer hat damals im September 1939 all die Morde begangen? Darum geht es in diesem Stück. Eine besondere Bedeutung bekommt der Theaterabend über die Bromberger Massaker, weil sich ein großer Teil der ehemals deutschen Minderheit der Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg in Wilhelmshaven angesiedelt hat.
Zu seinem 60.Geburtstag hat sich das Stadttheater Wilhelmshaven ein Festprogramm mit vielen Reden und einer deutschsprachigen Erstaufführung ("Das System Ponzi" von David Lescot über einen Anleger-Betrüger und dessen gierige Klienten) geschenkt. Im Mittelpunkt aber stand die Erstaufführung von "Bromberg/ Bydgoszcz", geschrieben von der deutschen Autorin Katharina Gehricke und dem polnischen Autor Artur Palyga.

Aus den zwei Texten montierte die in Polen geborene, in Berlin lebende Regisseurin Grazyna Kania ihre Theaterfassung. Gespielt wird sie gemeinsam von deutschen und polnischen Schauspielern - mit Übertiteln - sowohl in Wilhelmshaven wie in Bydgoszcz, wo die Uraufführung Mitte Oktober bei einem Premierenfestival stattfand.

Das Wilhelmshavener Theater fährt als Landesbühne Niedersachsen Nord regelmäßig übers Land, bis auf die Nordseeinseln. Die seit drei Jahren bestehende Kooperation mit dem Teatr Polski im polnischen Bydgoszcz aber ist etwas Besonderes. In Wilhelmshaven trafen sich seit den sechziger Jahren die sogenannten Bromberger Heimatkreise, später kam es zu einer Partnerschaft mit der nun polnischen Stadt, mit Bydgoszcz. Man tauschte Inszenierungen aus, führte Jugendprojekte zusammen, und mit Hilfe des Fonds "Wanderlust" der Kulturstiftung des Bundes entstand der gemeinsame Theaterabend.

Es geht um die Massaker, die nach Hitlers Überfall in Polen am 3. September, dem "Blutsonntag", und an den folgenden Tagen in Bromberg stattfanden. Wer sie an wem verübt hat, darüber gibt es noch immer viele Meinungen. Das Stück zeigt Haltungen, Diskussionen und Erinnerungsversuche bei einer (Versöhnungs-) Konferenz in Wilhelmshaven. Ehemalige Nachbarn, Deutsche und Polen, einstige Bekannte oder Unbekannte treffen sich.

Die Aufführung beginnt mit Kriegs-Filmsequenzen und einer Rede Hitlers Ende September in Danzig. Dann sitzen die vier Schauspieler mit ihrer Souffleuse auf den breiten Stufen der leeren Bühne und suchen die Erinnerungen ihrer Figuren zu sortieren. Wir erleben kein Aktions-, sondern ein intensives Redestück. Das keine Antworten und Lösungen bietet, sondern viele Fragen aufwirft und bewusst offen lässt. So die, was einen Polen mit Namen Szmidt von einen deutschen Schmidt unterscheidet.

Mieszko, der seinen Opa Kazimierz nach Wilhelmshaven begleitet, hat mit diesem bei einem bayerischen Tag im Supermarkt wegen eines kurzbehosten Jodlers, der für ihn schlimme Assoziationen weckt, für einen heftigen Eklat gesorgt. Elsa dagegen erinnert sich poetisch bewegt an ihre schöne Kindheit in Bromberg mit deutscher Mutter und polnischem Vater, während die junge deutsche Dora - zweisprachig und schauspielerisch stark: Kathrin Ost - nicht nur aus dem Polnischen übersetzt, sondern auch - arg klischeehaft - für alle deutschen Untaten um Verzeihung bittet.

Kazimierz findet sich mit Elsa in einer gemeinsamen Faust-Rezitation, - vielleicht eine Erinnerung an das gemeinsame Schultheater? Die Legende vom Heiligen Martin mit der Aufforderung "Zeige deine Wunden", von der Kazimierz glaubt, Elsa habe sie ihm einst erzählt, könnte als Motto des Stückes gelten. Es gibt kompliziert verzahnte Dialoge über Urteile und Vorurteile, über Wahrheiten und Erinnerungen, über Gemeinsamkeiten und Unterschiede, über das Zusammenleben von Deutschen und Polen und ihre Konfrontation. Kazimierz, der in den Tagen des Bromberger Blutsonntags selbst zwei Menschen getötet hat, darunter einen Jungen, weiß nicht, warum. Und Elsa weigert sich, das junge Mädchen gewesen zu sein, an das Kazimierz sich erinnert.

So endet die schöne Aufführung angemessen offen und fragend mit einem Film,
in dem die Darstellerin von Elsa immer wieder Bromberg sagt und der Darsteller des Kazimierz stets aufs Neue mit Bydgoszcz kontert: Die jeweiligen scheinbaren Wahrheiten müssen eben immer wieder befragt werden.


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