Recording Fields

Tanzen gegen den Verfall

Ein Lader der Erzgebirgischen Fluss- und Schwerspatwerke lädt Gestein zur Weiterverarbeitung ab.
Bergwerk in Deutschland © picture alliance / dpa / Arno Burgi
Von Elisabeth Nehring · 24.10.2014
Eine Choreografin aus Frankreich, eine aus Polen und eine aus dem Ruhrgebiet präsentieren Tanzinszenierungen aus ihren Heimatstädten. Thema: Probleme der postindustriellen Zeit. Anna Piotrowska entwickelt etwa ein Tanzstück um die schlesische Stadt Bytom.
Etwa zehn Kinder und Jugendliche haben sich in dem schicken, weitläufigen Galerieraum mit großformatigen Photographien an den Wänden eingefunden. Die Galerie Kronika hat zum wöchentlich stattfindenden Workshop "Fo Foo" geladen, in dem junge Menschen spielerisch an zeitgenössische Kunst herangeführt werden sollen. Überraschend lebendig und wach geht es zu, wenn sie über so anspruchsvolle Fragen diskutieren, was zum Beispiel eine normale Collage von einer Assemblage unterscheidet.
Gegründet wurde Kronika kurz nach dem Zusammenbruch des Sozialismus – 1991. Seit acht Jahren wird die Galerie, die mitten im Zentrum Bytoms, aber doch etwas versteckt im ersten Stock eines Altbaus residiert, von dem international bestens vernetzten Kunstkurator Stanislaw Ruksza geleitet. Der konzentriert sich nicht nur auf pädagogische Klassen und regelmäßige Präsentationen nationaler und internationaler Künstler, sondern auch auf lokale Projekte.
Stanislaw Ruksza: "Unser Ziel ist es, Leute aus der Stadt, die nichts voneinander wissen, in Kontakt zu bringen, z.B. Künstler und Aktivisten. (...) Obwohl Bytom eine konservative Stadt ist, gibt es doch eine Menge alternativen Ideen hier; Hausbesetzter oder Leute, die alternativen Tourismus betreiben. Für solche Aktivisten und Künstler ist unsere Galerie ein Treffpunkt, um in der Stadt sozial oder politisch etwas auf die Beine zu stellen."
Wilde Bäume wachsen aus Fensterluken
Und das hat Bytom auch bitter nötig.
In der einst schönen, auch selbstbewussten Bergarbeiterstadt verfallen heute viele historische Gebäude. Zahlreiche Wohnungen stehen leer, der Putz blättert von den Fassaden der eklektizistisch verzierten Gründerzeitbauten und aus manch einer Fensterluke wachsen schon wilde Bäume. Der jungen Generation kann das Bytom von Heute kaum etwas bieten: die Arbeitslosigkeit ist hoch. Und in den vergangenen 20 Jahren haben über mehr als die Hälfte der Einwohner die Stadt verlassen.
"Das Wichtigste ist die soziale Revitalisierung der Stadt – nicht die architektonische oder städteplanerische. Vielleicht ist es unmöglich, die Stadt wiederherzustellen wie sie z.B. in den achtziger Jahren einmal war, als noch 200.000 Menschen hier lebten. Die Größe ist aber weniger entscheidend als die Lebensqualität. Deshalb plädieren wir v.a. für Investitionen in das soziale Leben der Stadtbewohner."
Spannung in den verlassenen Straßen
Stanislaw Ruksza weiß um die ausufernde Drogen-, Alkohol- und Kriminalitätsproblematik in Bytom, die sogar für den ortsunkundigen Spaziergänger offensichtlich ist – spätestens nach Einbruch der Dunkelheit, wenn sich eine latente Spannung über die verlassen wirkenden Straßen legt. Für Jacek Luminski ist vor allem die Bandenkriminalität in der Stadt ein großes Problem. Er leitet einen Tanztheater-Studiengang mit mehr als Hundert Studierenden aus allen Teilen Polens.
Jacek Luminski: "Einer unserer Studierenden wurde von Jugendlichen attackiert und schwer verletzt; ein anderer Überfall konnte gerade noch verhindert werden. (...)(17:50ff.) Unsere Studenten haben die Gang, die dafür verantwortlich ist, auf Facebook gefunden. Sie nennen sich ‚Die Krankheit Bytoms' und wirken ziemlich bedrohlich. Die Polizei ist völlig unfähig dagegen anzugehen! Erst sagten sie, sie hätten keinen Zugang zu Facebook und könnten das nicht überprüfen. Und dann meinten sie, wenn sie jeden Kriminellen aus Bytom ins Gefängnis brächten, wäre die Stadt leer. Wenn man mit der Polizei spricht, kann man wirklich Angst bekommen, hier zu leben!"
Die Studenten helfen sich, in dem sie möglichst dicht an der Uni wohnen und am Abend nur zusammen das Haus verlassen. Doch trotz des schwierigen Alltags ist es für sie keine Frage, ob sie in Bytom bleiben oder nicht. Ihr Tanztheaterstudiengang, den Jacek Luminski mit viel Pioniergeist und in Zusammenarbeit mit der Theaterhochschule in Krakau hier aufgebaut hat, gehört in Polen immerhin zu einer der besten und anspruchsvollsten Ausbildungen auf dem Feld der Kunst.