Rechtsruck in Sachsen

Ist Legida typisch sächsisch?

Versammlung des fremdenfeindlichen Legida-Bündnisses
Bei einer Versammlung des fremdenfeindlichen Legida-Bündnisses in Leipzig kam es zu massiven Ausschreitungen © dpa/picture-alliance/ Dirk Knofe
Von Karoline Knappe und Konstantin Kumpfmüller · 25.07.2016
Der Pegida-"Ableger" in Leipzig, Legida, hält sich seit anderthalb Jahren in der Stadt. Blühen rechte und rassistische Ideen in Sachsen besonders gut? In den Sozialen Medien fordern Nutzer: Der Freistaat solle Deutschland verlassen.
Leipzig, 21. Januar 2015. Hubschrauber kreisen über der Stadt. Überall Polizei. Die Innenstadt wird abgeriegelt. Sie wirkt wie leer gefegt. Gespenstisch.
Pegida, das war in Dresden und damit bisher weit weg für mich. Doch nun macht Legida mobil, Leipzig gegen die Islamisierung des Abendlandes.
Die ganze Stadt ist auf den Beinen. Um die 5000 Demonstranten auf Seiten von Legida.
20 bis 30.000 Gegendemonstranten. Darunter auch ich mit meinem Freund und unserer knapp 4-jährigen Tochter, die mich fragt, ob wir jetzt jede Woche so eine Party machen.
Wir stehen hinter der großen Bühne am Waldplatz, auf der Oberbürgermeister Burkhard Jung und Prinzen-Sänger Sebastian Krumbiegel für Toleranz und Offenheit werben.

Pfefferspray in den Augen

Auch ich bin mittendrin. Für das Universitätsradio mephisto 97.6 will ich Töne einfangen und ziehe mit Gegendemonstranten durch das Leipziger Waldstraßenviertel. Mein Reporter-Einsatz endet abrupt. Als ich einen etwas rabiaten Polizeieinsatz mit meinem Handy filmen will, vernebelt sich mir die Sicht, ich spüre eine zähe Flüssigkeit in meinem Gesicht, es fängt an zu brennen. Die Polizei hat sich mit Pfefferspray den Weg durch die Menschenmenge frei gemacht.
Auch wenn um mich herum alles vergleichsweise friedlich ist und ich heute nur privat und nicht für mephisto 97.6 unterwegs bin, ist mir mulmig zumute. Meine Tochter spielt mit den anderen Kindern zwischen den Gegendemonstranten fangen.
Es dauert keinen Monat, bis die Teilnehmerzahlen nach unten gehen. In den folgenden Wochen kommen kaum noch 1000 Legida-Anhänger zusammen. Die Gegendemonstranten bleiben immer in der Überzahl. Trotzdem hat sich in Leipzig etwas verändert.
Im Alltag, in der Straßenbahn, im Supermarkt und beim Bäcker taucht immer wieder der Gedanke auf: Läuft mein Gegenüber jede Woche bei diesen Demos mit? Müssen dann vielleicht Polizisten den Raum zwischen uns sichern, die wir jetzt uns in diesem Moment so nichtsahnend gegenüber stehen?
Und warum findet das in Sachsen statt? Will ich hier überhaupt noch leben? In dem Bundesland, in dem die meisten rechtsextremen Übergriffe verübt werden? In dem Land, in dem die AfD schon 2014 mit beinahe zehn Prozent in den Landtag gewählt wurde. Die Frage wird mir häufig gestellt. Und immer seltener weiß ich eine Antwort. Wie konnte es hierzulande so weit kommen?
Oliver Decker: "Ich denke, da muss man sicherlich nochmal Spezifika heranziehen, wie die lange Regierungszeit einer einzigen Partei, die sich auch im Gegensatz zu anderen Bundesländern deutlich weniger bereit gefunden hat, zivilgesellschaftliche Projekte zu unterstützen. Sie eher unter Generalverdacht gestellt hat und damit jahrelang auch eine Legitimation rechtsextremer Gewalt und Bewegung auch betrieben hat."
Oliver Decker spricht von der CDU. Er ist Sozialpsychologe an der Universität Leipzig und Herausgeber der Mitte-Studien. Er forscht zur autoritären und rechtsextremen Einstellung in Deutschland.
"Sie hat das Problem nicht nur einfach klein gemacht, sondern, wenn wie in Mügeln Menschen durch die Stadt jagten, durch die anschließende Relativierung dieses Rassismus nicht nur die Opfer doppelt beschädigt, sondern die Täter legitimiert. Die konnten sich in ihren Handlungen, die ja nicht verfolgt worden sind, durchaus im Sinne des Volksbegehrens und selbst im Sinne der Landesregierung begründet sehen und ich denke, dass solche langen politischen Stillschweigen zu einem Problem wird. Das haben wir in anderen Bundesländern, auch in Ostdeutschland, so nicht gehabt."
Person: "Ich habe früher immer CDU gewählt, Frau Merkel, aber wenn die morgen nach Leipzig kommt, werde ich schreien: Merkel muss weg. Die AfD wird sich etablieren, das werden sie erleben."

Jeden Montag kreisen Hubschrauber

In den folgenden Wochen und Monaten demonstriert Legida jeden Montag. Jeden Montag wird der Innenstadtring gesperrt. Jeden Montag kreisen die Hubschrauber.
Ich erschrecke darüber, dass ich mich daran gewöhne. An die ständigen Aufmärsche. Die ständige Polizeipräsenz. Oft habe ich nicht die Kraft zu demonstrieren. Bin eher genervt, wenn ich wegen der Straßensperrungen Umwege fahren muss, um nach Hause zu kommen.
Die Fronten zwischen Demonstranten und Gegendemonstranten verhärten sich. Zwischenzeitlich sind es drei Demos pro Woche, die die Stadt fast völlig lahm legen.
Leipzig, 12. Dezember 2015. Rechte Demonstranten ziehen durch den linksalternativen Leipziger Süden. Die Gegendemo eskaliert. Von 1000 Chaoten ist die Rede. Oberbürgermeister Burkhard Jung spricht von "Straßenterror".
Einen Monat später randalieren über 250 rechtsextreme Hooligans im linken Viertel Connewitz. Schon vorher werden bei Demos immer wieder Journalisten angegangen, darunter auch Kollegen von uns.
Seitdem gehen wir nur noch zu zweit raus. Wöchentliche Live-Ticker auf der Homepage werden unser Alltag.
Person 2: "Da kann ich nur sagen, da spuck ich drauf. Da kann einem echt die Wut packen. Man will ja nicht handgreiflich werden, man müsste's aber eigentlich, weil die so viel Schaden anrichten mit ihren Lügen."

Ostdeutschland: eine fragmentierte Soziallandschaft

Heinz Bude: "Und jetzt sagt man: Wir sind das Volk! Wir sind das Volk ist eigentlich ein ganz trauriger Ausruf. Es ist ein völlig verlorener Ausruf, weil das Volk der Ostdeutschen sich, wenn Sie so wollen, verpulverisiert hat. Es gibt es nicht mehr. Es gibt auch keine ostdeutsche Solidarität mehr, die man aufrufen kann. Wenn man sie überhaupt noch aufrufen kann, dann in einem gewissen Ressentiment."
Heinz Bude ist Wessi. Genauso wie ich. Nur fühle ich mich sogar noch wessihafter als er mit seinen über sechzig Jahren. Er hat die DDR wenigstens miterlebt. Ich war gerade mal zweieinhalb Jahre alt, als sie aufhörte zu existieren. Davon, dass es mal zwei deutsche Staaten gab, erfuhr ich durch meine Mitschüler in der Grundschule. Ein paar von ihnen hatten ungewöhnliche Vornamen und ihr Dialekt klang ganz anders als der meiner bayerischen Klassenkameraden. Wirklich nachvollziehen, wie das Leben in der DDR war und was das Ende dieses Lebens bedeutet, kann ich nicht. Und es schien mir bisher auch gar nicht nötig zu sein, weil es die Mauer ja nur noch in den Köpfen gab. Und es darum ging, diese Unterschiede zwischen Ost und West zu überwinden und sie nicht auch noch hervorzuheben.
Bude: "Ich glaube, es gibt, und diese Geschichte ist noch viel zu wenig erzählt, es gibt auch einen ostdeutschen Grund in der ganzen Geschichte, ein ostdeutsches Narrativ. Und das geht in etwa so, dass Ostdeutschland überhaupt gar nicht mehr existiert. Ostdeutschland gibt es nicht mehr. Ostdeutschland ist wahrscheinlich heute eine der fragmentiertesten Soziallandschaften Europas."
Aus dieser fragmentierten Soziallandschaft also stamme ich. Aufgewachsen bin ich in Potsdam. Ich erinnere mich noch daran, wie ich mit knapp fünf Jahren mit meiner Mutter an der Glienicker Brücke stand. In einer langen Schlange von Menschen, die auf die Passkontrolle warteten. Dann musste ich an so einem seltsamen, provisorisch wirkenden Häuschen meinen DDR-Kinderausweis vorzeigen.
An mehr erinnere ich mich nicht.

DDR: Einsames, verlorenes Volk

Heinz Bude: "Ich habe das Gefühl, dass Jean-Luc Godard, der 1990 einen sehr schönen Film über Deutschland gemacht hat, wo er gesagt hat, die DDR hat ein einsames Volk produziert, dass das in Teilen jetzt wieder da ist. Dieses einsame und verlorene Volk, jedenfalls die Reste davon, die rufen: Wir sind das Volk! Und keiner interessiert sich wirklich dafür."
Einsamkeit und Verlorenheit. Als Kind hätte ich das so nie sagen können. Erst vor kurzem hat mir mein älterer Bruder erzählt, wie verunsichert er die Erwachsenen um uns herum Anfang der 90er Jahre erlebt hat. Und ja, verloren habe ich mich oft gefühlt zwischen ihnen.
Der Sozialpsychologe Oliver Decker: "Es ist mit Sicherheit so, dass je nach Generation unterschiedliche Erfahrungen gemacht worden sind, und sicherlich auch die Versuche sich einzugliedern in das neue System auch nicht ohne Brüche für die Biographien für die Menschen abgegangen sind und die Frage auch hier ist: hab ich meine Bereitschaft, das zu tun, und auch meine eigenen Interessen und Entwürfe über Bord zu werfen, das Neue zu akzeptieren, ist das aufgegangen? Kann man sozusagen buchführerisch sagen, ist es gut ausgegangen für mich, habe ich meinen Schnitt gemacht und meinen Frieden gefunden."
Eine Frage, die nur wenige Ostdeutsche so überhaupt beantworten könnten. Denn schließlich haben viele ihre Lebensentwürfe nicht freiwillig über Bord geworfen.
Heinz Bude: "Und jetzt taucht das Problem auf, alle Leute erzählen, Deutschland geht es so gut, Deutschland ist das wirtschaftlich erfolgreichste Land Europas, möglicherweise auch das politisch führende Land. Und alle Leute gucken auf Deutschland und sagen, mein Gott, wie die Deutschen es gut gemacht haben. – Es gibt aber ganz viele in Ostdeutschland, die sagen, wir haben getan und gemacht, wir haben versucht unsere Energien zu entfalten. Wir haben versucht unsere Talente einzubringen. Aber es hat ja niemand gewollt."

Vielbeschworenes Bild des "dauerbeleidigten" Ostdeutschen

Daher kommt wahrscheinlich auch das von uns Wessis oft beschworene Bild des dauerbeleidigten Ostdeutschen. Kommen daher auch die Zurechtweisungen der Legida-Teilnehmer? Dass wir doch keine Ahnung hätten, wir Jungen, wir Wessis, wir, die wir jetzt Refugees Welcome schreien.
Oliver Decker: "Und jetzt, wo sich abzeichnet, man bekommt nicht das, was man eigentlich wollte, die Wut da ist und dann die sich gegen welche richtet, die die Fantasie wachrufen, das schöne Leben ohne Arbeit zu haben oder das klassische Vorurteil gegenüber Sinti und Roma keines Königs Untertan zu sein, also genau das zu sein, was man selber vielleicht gerne wäre. Und die Flüchtlinge, die alles kriegen, was einem selber zustünde. Die kriegen zwar nichts, aber da kann man die Aggression lassen."
Das gilt aber definitiv nicht nur für die Ostdeutschen.
Unter dem Titel "Gesellschaft der Angst" hat Heinz Bude 2014 ein Buch veröffentlicht. Prompt wurde er gebeten, einen Vortrag in Dresden zu halten, der das Phänomen Pegida erklären sollte. Bude beschrieb dort drei soziale Gruppen, die fremdenfeindliche Haltungen hätten: Da seien zum einen die Übergangenen. All jene Minijobber und Hartz-IV-ler, die tatsächlich wenig haben. Dann seien da die Verbitterten. Ihnen gehe es materiell gesehen im Grunde gut, aber sie fühlten sich seltsam zurückgesetzt, außen vor. Das beträfe mehr Ost- als Westdeutsche. Und schließlich sind da die Selbstgerechten:
Heinz Bude: "Das ist nämlich eine Gruppe, denen geht es relativ gut. Die haben auch das Gefühl, sie haben so im Leben, je nach dem, in welchem Alter sie sind, mehr oder weniger eigentlich ganz gut das erreicht, was sie sich vorgenommen hatten. Und sie sind gleichzeitig zu einem großen Anteil der Meinung, dass sie zu den Gewinnern der wirtschaftlichen Entwicklung der letzten 20 Jahre gehören. Das sind, wenn Sie so wollen, Leute, die ein hohes positives Statusgefühl haben. – Die haben zum Teil Angst vor einer Veränderung unserer Gesellschaft durch Migranten mit islamischem Hintergrund. Und es ist merkwürdig. Wie kommen die eigentlich da drauf?"
Person: "Es werden jeden Tag mehr. Wir werden immer weniger und die werden immer mehr. Das ist die Tatsache. Alleine dieses Jahr 500.000 junge Männer, sie werden doch nicht glauben, dass die alleine bleiben…"

Islamisten sind so ähnlich wie Legida-Anhänger

Heinz Bude: "Dies ist das Gefühl, und das eint sie mit manchen extremen Islamisten, eigentlich ist es noch mal der Traum einer ethnischen Reinheit des Volkes, nochmal, dass wir unter uns wären, dass wir eine Art von exklusiver Solidarität von Deutschen hätten, die sich gegenüber denjenigen abschirmen könnte, die in unser Land kommen wollen oder von der politischen Klasse oder von Ihnen, also von den Journalisten und von den Medien, von denen dauernd erzählt wird, wir bräuchten die, weil sonst Deutschland aussterben würde. Diese Idee, dass Deutschland von sich aus aussterben würde, bringt die um den Verstand."
Person: "Das sind dann 25 Millionen, wenn die alle nachkommen und mit der Geburtenrate, die die haben…"
Inzwischen läuft Legida nur noch einmal im Monat. Und es ist auch nur ein Häufchen von etwa 300 Leuten. Nach wie vor werden Politiker vor allem der Linken und der Grünen bedroht, nach wie vor werden Gegendemonstranten und Journalisten angepöbelt. Doch längst ist der Zenit dieser Demonstrationen überschritten.
Oliver Decker: "Ich glaube, dass die Menschen, die da momentan als Anhänger von Pegida auf die Straße gehen, nicht nur unter dem Blickwinkel gesehen werden können im Sinne eines autoritären Verlustes von Stütze, Halt und Orientierung, sondern auch geschichtliche Transmissionsprozesse da sein müssen, wie Inhalte, Denken, Wissen über Geschichte halt weiter gegeben wird. Es ist kein Zufall, dass wir jetzt mit Menschen zu tun haben, die primär, wenn sie Pegida- Anhängerinnen und Anhänger sind, dass sie eine rechtsextreme Ideologie haben. Da steht der Autoritarismus im Hintergrund, aber irgendwo müssen auch die völkischen Motive herkommen, die dann gewählt werden."
Person: "Lasst nicht zu, dass hier in Leipzig eine Moschee entsteht. Nicht hier in Leipzig, nirgends in Deutschland! Wehrt euch dagegen! -Sprechchöre: Widerstand! Widerstand!"
Nur langsam ist mir bei dieser Recherche klar geworden, dass die Geschichte des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs nicht vorbei ist und vielleicht auch nicht vollständig vorbei gehen kann. Ein Stück weit bleibt sie wohl unverarbeitet. Und hinterlässt damit auch heute noch ihre Spuren. In der Gesellschaft, in Familien, bei jedem Einzelnen.
In der Schule wurde ich das Gefühl nicht los, dass wir uns schuldig fühlen sollten. Dagegen habe ich mich innerlich verwehrt. Mit mir hatte das doch nichts zu tun! Sollte es nichts zu tun haben.

Decker: Unglaublich "paranoider" Völkermordgedanke

Jetzt scheint es mir, als sei meine Abwehrhaltung aus dieser Zeit nur ein anderer Ausdruck dieser Nachwirkungen. Die Legida-Anhänger finden wiederum ihren eigenen Ausdruck.
Oliver Decker: "Die Zuwanderung ist bedrohlich, weil der Genpool, die Rasse vernichtet wird. Das ist dieser Völkermordgedanke, dass durch Zuwanderung die Deutschen vernichtet werden, was unglaublich paranoid ist. Deutschland war schon immer ein Einwanderungs- und Zuwanderungsland und es gibt keine deutsche Rasse, die durch Zuwanderung vernichtet wird. Aber das prägt dieses Denken. Das ist etwas, was sich nicht aus aktuellen Lebenssituationen oder mitgeschleppter Lebenssituation sprich Vergesellschaftung erklären lässt, sondern das ist etwas spezifisch Deutsches. Auch etwas, was sich vom französischen und englischen Rechtsextremismus klar unterscheidet, völkisches Denken."
Rede bei Legida-Veranstaltung: "Jeder einzelne von uns ist in einem besonderen Platz in der Gemeinschaft seines Volkes und der Geschichte seines Volkes gestellt. Wenn wir das zur Grundlage unserer Empörung machen, können wir endlich über die Zukunft unseres Volkes und die Zukunft der anderen Völker nachdenken!"
Oliver Decker: "Und es ist tatsächlich ja so, dass unabhängig von unseren Studien wir in den letzten zehn, 15 Jahren zunehmend feststellen konnten, dass sich am rechten Rand etwas artikuliert, was mit der bundesrepublikanischen Entwicklung nicht einverstanden ist. Also Menschen, die von der nachholenden zivilisatorischen Entwicklung in Westdeutschland seit den 70er-Jahren und der tatsächlich auch sehr progressiven Entwicklung der 90er-Jahre nicht viel halten."
Autor: Das sind eben Pegida und Legida. Weshalb ich in Bayern immer wieder auf das Vorurteil treffe, es sei ein rein ostdeutsches Phänomen. Diese Haltungen finden sich aber in ganz Deutschland wieder, wie Oliver Decker in den Mitte-Studien zeigt. Ausländerfeindliche Einstellungen sind in Bayern seit Jahren ähnlich hoch wie in Sachsen. Auch wenn die, die mich immer wieder fragen, wie ich hier nur leben kann, es gerne anders hätten.
Autorin: Legida, das sind eben nicht einfach die anderen. Und es reicht nicht, es reicht mir nicht, einfach nur "dagegen" zu sein - auf der Seite der vermeintlich "Richtigen" zu stehen, die für ein weltoffenes und tolerantes Leipzig eintreten - und dabei den Legida-Teilnehmern doch nur genauso intolerant begegnen.

Individualisierte Gesellschaft macht Angst

Denn wenn wir genau hinsehen, teilen wir eine ganze Menge mit den Anhängern von Legida. Nicht nur leben wir mit derselben Geschichte, sondern auch in derselben Gegenwart. In einer hoch individualisierten Gesellschaft, die nicht nur Freiheiten, sondern auch die Angst vor Freisetzung schafft.
Oliver Decker: "Es wird unter einem Primat, das nicht mehr hintergehbar scheint, unter einer scheinbaren Rationalität, nämlich der des Marktes, alles umgestaltet. Und die Logik, die dahinter steht, dass es nämlich sowas gibt wie Nützlichkeit, Verwertbarkeit und eben auch Nichtpassung, diese Logik produziert diese Aggressionen."
Den meisten ist das nicht bewusst, dass sie angefangen haben ihr Leben danach auszurichten. Sie merken zwar, wie anstrengend es ist, aber dass es was damit zu tun hat, dass sie sich mit ihrem ganzen Lebensentwurf zurücknehmen, zu Gunsten von etwas, das eigentlich gar nicht ihre Rationalität, ihre Vernunft, ihr Wünschen ist, das ist vielen nicht bewusst und an irgendeiner Stelle kommt es dann doch raus.
Leipzig, 09. Juli 2016. Legida versammelt sich vor der Stadtbibliothek, am Rande des Stadtzentrums. Der Ring um die Innenstadt muss heute nicht gesperrt werden. Um den Platz herum stehen mit Werbetransparenten behangene Bauzäune, noch übrig vom public viewing während der EM.
Etwa 150 Demonstranten haben sich eingefunden. So wenige, dass die Überlegung aufkommt, statt der geplanten Demo doch nur eine Kundgebung abzuhalten.
Legida-Rede: "Auch wenn wir nur so wenige sind, lasst uns friedlich bleiben…"

Phänomene werden auf lange Sicht verstummen werden

Um ein Haar hätte ich von Legida an diesem Samstag gar nichts mitbekommen. Die Sonne scheint, ich sitze mit einer Freundin bei Kaffee und Rosinenzopf auf dem Balkon, während unsere Kinder durch die grünen Hinterhöfe hüpfen.
Heinz Bude sieht Phänomene wie Pegida oder Legida auf lange Sicht verstummen.
Heinz Bude: "Es werden manche sagen, okay, tun wir es doch, probieren wir es doch mal bei der AfD. Die Mehrheit allerdings wird verstockt verstummen. Die Mehrheit wird ins Lager der Nichtwähler wechseln, in dem sie auch vorher schon gewesen sind, und dort wieder bleiben."
Und das wird sich auflösen in eine merkwürdige Befindlichkeit des Defensiven, des Abblockens, des Verstocktseins. Und ich fürchte, wir werden da wieder so einen merkwürdigen Block in der Bevölkerung haben, wo Ungutes rumort, das aber in der Öffentlichkeit eigentlich keinen Ausdruck findet.
Als ich mit der Straßenbahn von der Demo nach Hause fahre, sitzt neben mir eine Frau mit einer Deutschlandfahne.
Legida ist Teil unseres Alltags geworden. Teil unseres Leipziger Lebens.
Unabhängig davon, ob sie als lautstarke Menge die Innenstadt lahm legen oder als kleines, schweigendes Grüppchen zu verschwinden drohen.
Wir laufen so Gefahr, dass Legida zu einem Phänomen wird, das uns nicht mehr betrifft. Weil es nicht mehr so sichtbar ist. Und weil wir bequem werden.
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