Rechtsradikalismus

"Das ist menschenverachtend"

Ausländische Mitbürger zeigen vor der Synagoge Lübeck ein Transparent gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit.
Ausländische Mitbürger zeigen vor der Synagoge Lübeck ein Transparent gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit. © dpa / picture alliance
Von Frank Kempe  · 25.03.2014
Erstmals seit dem Nationalsozialismus brannte in Deutschland wieder ein jüdisches Gotteshaus. Am 25. März 1994 warfen Unbekannte zwei Molotowcocktails in die Synagoge von Lübeck. Die Empörung war groß. Genauso wie die Solidarität mit der jüdischen Bevölkerung.
Die ersten Demonstranten versammeln sich nur wenige Stunden nach der Tat zu einer spontanen Mahnwache in der Lübecker St.-Annen-Straße. Viele halten Kerzen in den Händen oder legen Blumen vor der Synagoge nieder:
"Wie ich das heute morgen gehört habe im Radio, ich habe eine richtige Gänsehaut dabei bekommen."
"Das einzige, was ich jetzt als normaler Mensch machen kann, ist, wirklich den jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern zeigen, dass sie nicht alleine sind gegen solche – ja, ich benutze das Wort mal – Mörder, es sind ja nun wirklich Mörder."
"Ich weiß nicht, ob man was ausrichten kann, aber man kann ein Signal setzen. Was hier passiert ist, das ist menschenverachtend, in höchstem Maße menschenverachtend."
Rettung vor dem Flammen in letzter Sekunde
Ein Anschlag, verübt mitten in der Nacht: Am 25. März 1994 um 2.20 Uhr werfen Unbekannte zwei Molotowcocktails durch ein Seitenfenster in die Synagoge. Ein Vorraum brennt völlig aus. Dann fressen sich die Flammen in den ersten Stock. Die fünf Bewohner, die dort schlafen, können sich in letzter Sekunde ins Freie retten.
"Ich bin nachts aufgewacht, fast unangezogen vor die Tür gelaufen. Standen eben draußen alle Mitbewohner und hatten Schiss, dass das Haus in die Luft geht."
In der Pogromnacht vom 9. November 1938 hatten Lübecker Nazis die Synagoge geplündert. Sie wagten es aber nicht, das Backsteingebäude anzuzünden – das Feuer hätte auf Nachbarhäuser übergreifen können. Der Brandanschlag im März 1994 war der erste auf eine Synagoge seit dem Nationalsozialismus. Die Attentäter nahmen dabei den Tod von Menschen in Kauf. Noch am selben Tag eilte Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis nach Lübeck, sie sprach von einer "Wahnsinnstat".
"Das ist nicht mehr mit Dummer-Jungen-Streich oder mit vollem Kopf oder mit politischen Fehlleistungen oder sonst was zu erklären. Das ist versuchter Mord."
Die Brandanschläge von Mölln 1992 und Solingen ein Jahr später waren noch allgegenwärtig: Acht Menschen türkischer Herkunft starben damals. Während in den Kinos der Film "Schindlers Liste" ein Millionenpublikum bewegte, häuften sich Neonazi-Aufmärsche und Übergriffe Rechtsradikaler. So ging die Nachricht von der in Lübeck angezündeten Synagoge um die Welt. In der Hansestadt selbst setzten die Bürger mit Demonstrationen ein Zeichen gegen den Terror von rechts.
"Ich bin total erschüttert und ich bete dafür, dass die Leute, die solche Angst haben müssen bei uns, verstehen, dass das nur ganz verirrte Idioten sein können."
"Ich schäme mich auch ein bisschen für Lübeck. Wir sind in Schleswig-Holstein die Stadt mit wohl dem höchsten Anteil an rechtsradikalen Wählern."
Lübeck galt als Hochburg der Deutschen Volksunion: Rund acht Prozent der Stimmen holten die Rechtsradikalen in der Hansestadt bei der Landtagswahl 1992. Ignatz Bubis, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, warf der DVU, aber auch der Partei "Die Republikaner" vor, mit ihren dumpfen Hetzparolen zu Brandanschlägen anzustacheln.
Haftstrafen zwischen zweieinhalb und viereinhalb Jahren
"Wir haben dieses Klima, das von den Rechtsradikalen verbreitet wird, und ich bezeichne sie als die geistigen Brandstifter. So ist es verständlich, dass viele jüdische Menschen nachdenklicher werden und überlegen: Ist es richtig, dass ich hier lebe, kann man hier unter diesen Umständen leben?"
Republikaner-Chef Franz Schönhuber beschimpfte Bubis daraufhin als "einen der schlimmsten Volksverhetzer Deutschlands". Bubis sei der geistige Brandstifter. Schönhuber löste damit einen Sturm der Entrüstung aus.
Währenddessen übernahm die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe die Ermittlungen zum Brandanschlag. Einen Monat später wurden vier junge Männer aus Lübeck festgenommen: Randfiguren der rechtsextremen Szene, sogenannte Mitläufer, zwischen 19 und 24 Jahre alt. Einer der Täter bezog massenhaft Propagandamaterial der DVU. Der Richter, Hermann Ehrich, sagte später über den Prozess, der im November 1994 begann:
"Das war erschütternd zu sehen, dass dort Leute einen Brandsatz an eine Synagoge werfen, in einen Nebenraum, die noch nicht mal wussten, jedenfalls die Mehrheit von ihnen nicht, was eine Synagoge überhaupt ist."
Die vier Brandstifter erhielten Haftstrafen zwischen zweieinhalb und viereinhalb Jahren. Einen Monat später wurde erneut ein Anschlag auf die Lübecker Synagoge verübt – diesmal ging ein Schuppen in Flammen auf. Die Tat blieb unaufgeklärt – genauso wie der Brand im Asylbewerberheim in der Hafenstraße ein Jahr später, der zehn Menschen das Leben kostete.
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