Rechtspopulismus

Einfache Erklärungen für eine komplexe Welt

Die Parteichefin des Front National, Marine Le Pen.
Die Parteichefin des Front National, Marine Le Pen. © afp/Charlet
Armin Nassehi im Gespräch mit Nana Brink · 08.12.2015
Mit dem Wahlerfolg des Front National bei den Regionalwahlen ist Frankreich nach rechts gerückt. Nach Ansicht des Soziologen Armin Nassehi haben sie vor allem damit Erfolg, die Komplexität der Welt auf einfache Erklärungen zu reduzieren.
Der Hintergrund für den Erfolg rechter Parteien sei das Angebot einfacher Erklärungen, hat der Soziologe Armin Nassehi am Dienstag im Deutschlandradio Kultur erklärt. Dass treffe aber auch auf linkspopulistische Parteien zu, so der Professor von der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Rechte Politik zeichne sich dadurch aus, dass sie die Komplexität der Welt mit relativ einfachen Erklärungen wegwischen könne, erklärte Nassehi. Die Idee rechter Wahlangebote sei, je homogener einer Gesellschaft ist, umso leichter sei sie zu steuern. Diese Erklärung habe offensichtlich in Wahlen ganz gut funktioniert, so der Soziologe mit Blick auf den Wahlerfolg der Front National bei der ersten Runde der Regionalwahlen in Frankreich.
Dichotomie von Rechts und Links funktioniert nicht mehr
Im Gegenzug sei sozialdemokratische Politik heute eigentlich eine Chiffre dafür, mit der Komplexität dieser Welt umzugehen.
"Rechte Politik heißt, einfache Lösungen zu bieten, und linkspopulistische Politik ist auch eine Politik, die gewissermaßen diese komplexen Entscheidungen mit sehr einfachen klassentheoretischen Mitteln versucht zu erklären."
Die Dichotomie von Rechts und Links funktioniere nicht mehr, so Nassehi.
"Opposition ist nicht rechts oder links, die Opposition ist, ob man sich den Problemen einer Gesellschaft stellt und dafür ein Narrativ findet oder ob man auf Narrative zurückgreift, die viel einfacher sind als diese Welt."
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Das vollständige Interview im Wortlaut:
Nana Brink: In Zeiten wie diesen, da wünscht man sich ja manchmal einen Welterklärer, ja, genau so einen wie Helmut Schmidt, einer oder eine, die die aus den Fugen geratene Welt wieder zusammenfügt. Die einem zum Beispiel erklärt, warum in Frankreich gerade der rechtsextreme Front National die Regionalwahlen dominiert und die Linken abstürzen lässt. Warum in Venezuela, ein Land, in dem ein Hugo Chavez einst eine sozialistische Revolution ausgerufen hat, die Konservativen einen Erdrutschsieg erringen. Und ich finde auch noch weitere Beispiele – ja, auch ein Alexis Tsipras, der sich zwar Sozialist nennt, aber dessen Politik ja unsanft in der Realität gelandet ist. Ist das alles folgerichtig? Rücken Gesellschaften in Krisenzeiten nach rechts? Armin Nassehi ist Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, und im Frühjahr ist sein Buch "Die letzte Stunde der Wahrheit" erschienen, "Warum rechts und links keine Alternativen mehr sind". Guten Morgen, Herr Nassehi!
Armin Nassehi: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Gucken wir doch erst mal nach Frankreich, bleiben wir in Europa. Was hat denn der Front National besser gemacht als die anderen, um so einen Erfolg zu feiern?
Nassehi: Er hat nichts besser gemacht. Er hat vielleicht Erklärungen, die sich besser anhören. Rechte Politik zeichnet sich dadurch aus, dass sie eigentlich die Komplexität der Welt, das heißt also, die schwierigen Entscheidungen, die zu treffen sind, die Steuerungsdefizite, die wir in modernen Gesellschaften haben, mit relativ einfachen Erklärungen wegwischen kann. Die Idee ist, je homogener eine Gesellschaft ist, je ethnisch oder kulturell homogener sie ist, umso leichter ist sie zu steuern, umso leichter ist sie zu erklären, umso leichter ist sie in den Griff zu bekommen. Und das ist die Erklärung, die offensichtlich in Wahlen ganz gut funktioniert hat, natürlich auch nach den Anschlägen vom 13. November. Das geradezu Zynische an der Geschichte ist ja, dass diejenigen, die aus der Perspektive des Islamismus auf Europa gucken, eine ganz ähnliche Perspektive haben. Auch sie wollen gern eher eine homogene Gesellschaft, weil man sie besser erklären kann. Ich denke, das ist der Hintergrund für den Erfolg rechter Wahlangebote.
Auch Linkspopulisten setzen auf einfache Erklärungen
Brink: Wenn ich da mal einhaken darf: Aber ein Alexis Tsipras versucht ja auch, mit plakativen Parolen eigentlich zu punkten, als Linker.
Nassehi: Ja. Auch dort kann man sehen, dass es zu einer Art von Renationalisierung natürlich der griechischen Öffentlichkeit und der griechischen Politik geführt hat. Es ist ja auch kein Wunder, dass er eine Koalition damals mit den Rechten eingegangen ist. Nationalisierung von politischer Semantik dient eigentlich immer dazu, so etwas wie Solidarität formulieren zu können. Solidarität in Zeiten, in denen es offenbar kompliziert ist, komplizierte Entscheidungen einer Öffentlichkeit klarzumachen. Davor ist fast niemand gefeit, und man gerät dann in diese rechten Geschichten hinein.
Brink: Was bedeutet es dann für sozialdemokratische oder linke Politik? Rücken die dann automatisch nach rechts, also Richtung Nationalismus? Das fand ich einen interessanten Aspekt, den Sie eben benannten.
Nassehi: Ich glaube nicht, dass die sozialdemokratische Politik automatisch nach rechts rückt. Was wir ja beobachten müssen, ist, dass vielleicht auch die Charakterisierung als sozialdemokratische Politik gar nicht an so etwas wie sozialistischen oder sozialdemokratischen Parteien hängt, sondern man kann fast sagen, dass das, was man vielleicht Sachzwangspolitik oder realistische Politik nennen will, tatsächlich ein sozialdemokratisches Programm ist, heute. Wir können das ja im deutschen Parteiensystem eigentlich ganz gut beobachten, dass diejenigen, die in der Mitte agieren, das klassische sozialdemokratische Programm abspulen müssen, nämlich sozusagen den Ausgleich zwischen den Gleichheitsversprechen der Politik und den Ungleichheitsfolgen von Wirtschaft tatsächlich zu bewerkstelligen. Das sind sehr komplizierte Entscheidungen, die schwer zu erklären sind. Insofern ist sozialdemokratische Politik heute eigentlich eine Chiffre dafür, mit der Komplexität dieser Welt umzugehen. Das muss die Union heute hier auch machen. Rechte Politik heißt natürlich, einfache Lösungen zu bieten, und linkspopulistische Politik, das ist weit weg von Sozialdemokratie. Wir erleben so etwas ja durchaus in Südamerika als eine gewissermaßen Gegenbewegung zu denen, die jetzt gewonnen haben, wie Sie gerade gesagt haben. Das ist sozusagen auch eine Politik, die gewissermaßen diese komplexen Entscheidungen mit sehr einfachen klassentheoretischen Mitteln versucht, zu erklären. Eigentlich kann man sagen, die Opposition ist nicht rechts und links, die Opposition ist, ob man sich den Problemen einer Gesellschaft stellt und dafür ein Narrativ findet, oder ob man auf Narrative zurückgreift, die viel einfacher sind als diese Welt.
Vorurteile als eine Art Automatismus
Brink: Aber das Narrativ der Rechten in diesem Zusammenhang heißt ja, oder auch einiger Linker, wie wir ja eben gerade auch besprochen haben, mehr Staat, mehr Polizei, Einschränkung der Bürgerrechte.
Nassehi: Ob es unbedingt mehr Staat ist, das ist die Frage. Einschränkung der Bürgerrechte würde ja immer heißen, Einschränkung der Bürgerrechte, weil die Gesellschaft so heterogen ist, weil es Fremde im Land gibt, weil man sozusagen Sichtbare sichtbar machen kann, die eigentlich gar nicht sichtbar sind. Wenn Sie an die ganzen Vorurteilsstrukturen denken, mit denen wir es immer zu tun haben, wenn es um Fremde geht. Wir haben gerade 60 Jahre Gastarbeiter in Deutschland gefeiert, und in der Erinnerung stellen wir fest, dass wir also auch mit Leuten, die wir heute als unsere eigenen ansehen würden, Italiener etwa, die – ich lebe in München, das ist die nördlichste italienische Stadt. Wir können uns gar nicht mehr vorstellen, dass man sozusagen Vorurteile gegen Italiener hatte, die ähnlich formuliert worden sind, wie wir sie heute Muslimen gegenüber formulieren. Das ist fast eine Art Automatismus: Wenn man die Welt nicht erklären kann, dann sucht man sich Sichtbarkeiten, und diese Sichtbarkeiten kann man relativ leicht erzeugen. Das ist gar nicht mehr Staat, sondern das ist eigentlich einfachere Erklärung.
Brink: Dann taugen diese politischen Begriffe wie rechts und links nicht mehr so richtig. In Ihrem Buch sagen Sie ja auch, die meisten, die links denken, die handeln ja auch rechts oder leben rechts.
Nassehi: Ich würde sagen, dass es so etwas wie einen Konservatismus von Lebenswelten gibt. Wir sind sehr schnell dabei, Menschen einzuteilen, Menschen sozusagen in Stereotype einzuteilen. Das ist etwas, das zu einem Alltag durchaus dazugehört, da muss man also ehrlich genug sein. Politik sollte sich vielleicht davon etwas distanzieren können. Worum es mir geht in dem Buch, das ist sozusagen zu zeigen, dass diese Unterscheidungen, die politisch ja offensichtlich ganz gut funktionieren – wenn Sie an Frankreich denken. Wir können auch an unseren östlichen Nachbarn denken. Wenn Sie an Polen denken, da funktioniert das offensichtlich im Moment ganz genauso. Dass diese einfachen Erklärungen in der politischen Öffentlichkeit offenbar funktionieren, wir aber womöglich intellektuelle Anstrengungen haben müssen, ein neues Narrativ für so etwas wie Komplexität zu erfinden, damit wir diesen Rechts-links-Schemata ein bisschen aus dem Weg gehen können, um zu sehen, dass unsere Probleme der Gesellschaft woanders liegen als in der kulturellen Homogenität oder Inhomogenität.
Brink: Vielen Dank! Der Soziologe Armin Nassehi. Danke schön für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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