Rechtspopulismus

Die Rache der Dörfer

Blick aus der Ferne auf das Dorf Lindewerra in Thüringen.
In vielen ländlichen Räumen herrscht ein Gefühl des Abgehängt-Seins. © Deutschlandradio Kultur / Florian Felix Weyh
Wolfgang Kaschuba im Gespräch mit Dieter Kassel  · 14.11.2016
Wieso ist der Rechtspopulismus so erfolgreich? Der Grund dafür ist auch ein Kulturkampf zwischen Stadt und Land, sagt der Ethnologe Wolfgang Kaschuba. "Die ländlichen Regionen sind nicht einverstanden mit dem Weg der Stadtgesellschaften."
Als "kulturelle Konfrontation zwischen dem Land und den Städten" hatte EU-Parlamentspräsident Schulz den Wahlsieg von Donald Trump in der vergangenen Woche gedeutet. Eine stichhaltige Interpretation, findet der Direktor des Berliner Instituts für Migrationsforschung, Wolfgang Kaschuba:

"Wenn wir uns die letzten Jahre anschauen, dann ist die Überlegung von Schulz nicht von der Hand zu weisen."

Die Stimme des Landes, des einfachen Volkes

Von Jörg Haider in Österreich bis zum Brexit seien rechtspopulistische Parolen vor allem auf dem Land auf fruchtbaren Boden gefallen, so Kaschuba im Deutschlandradio Kultur. Dies würde bedeuten, "dass wir im Grunde genommen zum ersten Mal in der Geschichte der Moderne nicht mehr die Situation haben, dass die Stadtgesellschaften den Weg in die Zukunft quasi vorgeben und bestimmen, sondern das die ländlichen Regionen ganz offenbar ihr Veto einlegen".
"Wir waren bisher der Meinung, dass die Vorstellung einer liberalen, einer offenen Stadtgesellschaft so etwas wie Konsens wäre, und jetzt bemerken wir, dass offenbar für größere soziale Gruppen die Vorstellung von großer Vielfalt, von großer Freiheit, von vielen Entscheidungsmöglichkeiten im Alltag, aber auch viel Verhandlungen möglicherweise eben auch eine stressige Vorstellung ist."
"Regionen, die sich abgehängt fühlen, spüren das auch ganz konkret im Alltagsraum", sagt Kaschuba. Gleichzeitig gebe es von Frankreich bis Ungarn Rechtspopulisten, die behaupteten die Stimme des Landes und des einfachen Volkes zu sein.

"Damit hat dieses Land zum ersten Mal in vieler Hinsicht so etwas wie eine politische Bewegung, die dies artikuliert - ohne dass die Rechtspopulisten natürlich irgendeinen Vorschlag machen oder irgendeine Erfahrung aufnehmen. Sie argumentieren eben mit alten Bildern, die offenbar jetzt auf fruchtbaren Boden fallen."

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Er hat sich schon mal nach dem Brexit-Votum im Juni ähnlich geäußert, aber nach der Wahl von Donald Trump hat Martin Schulz, der Präsident des EU-Parlaments, noch einmal gesagt, dass er fast einen Kulturkampf zwischen Stadt und Land sieht, dass sich auch in Deutschland immer mehr Menschen im ländlichen Raum abgehängt fühlen von den Entwicklungen in den urbanen Zentren und dass sie auch deshalb anfällig seien für Populismus. Was dran ist an dieser These, das wollen wir jetzt mit dem Direktor des Berliner Instituts für Migrationsforschung, Wolfgang Kaschuba, klären. Er ist Ethnologe und hat sich unter anderem auch intensiv mit dem Leben in Metropolen und in ländlichen Regionen beschäftigt. Schönen guten Morgen, Herr Kaschuba!
Wolfgang Kaschuba: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Ist da wirklich was dran an dieser These, gibt es fast schon einen Kulturkampf zwischen Stadt und Land?
Kaschuba: Wenn wir uns die letzten Jahre anschauen, dann ist die Überlegung von Schulz nicht von der Hand zu weisen. Wir haben Entwicklungen, die in Europa, etwa in Österreich begonnen haben: Der noch nicht vergessene Jörg Haider startete ja mal in Kärnten, also im Grunde dem ländlichsten Raum Österreichs eben mit rechtspopulistischen Parolen und war sehr erfolgreich. Wir haben ähnliche Entwicklungen in Polen, kann man sagen. Der Brexit hat eben auch bedeutet, dass das Land über die Stadt entschieden hat, und die Situation in der Türkei ist etwas anders, aber auch dort gilt natürlich, dass das Nationale und das Muslimische für Erdogan stärker aus dem ländlichen Raum als aus dem städtischen Raum kommt, und das würde bedeuten, also wenn sich dies bestätigt, dass wir im Grunde genommen zum ersten Mal in der Geschichte der Moderne nicht mehr die Situation haben, dass die Stadtgesellschaften den Weg in die Zukunft quasi vorgehen und bestimmen, sondern dass die ländlichen Regionen ganz offenbar ihr Veto einlegen.

Rechtspopulisten argumentieren mit alten Bildern

Kassel: Aber dass Menschen auf dem Land mit ganz anderen Lebensumständen oft konfrontiert sind als die Menschen in Millionenstädten, das ist doch eigentlich nichts Neues. Das ist doch im Prinzip so seit es Großstädte gibt. Warum spielt das gerade heute plötzlich so eine Rolle?
Kaschuba: Na ja, wir sind heute natürlich in Situationen, wo dieses Thema natürlich auch sichtbarer und deutlicher gemacht wird durch die Politik, durch die Wissenschaft, durch die Medien. In Deutschland kann man natürlich sagen, Regionen, die sich abgehängt fühlen, spüren das auch ganz konkret im Alltagsraum. Es sind ja vor allem die intelligenten jungen Frauen, die weggehen, weil sie in die Städte gehen.
Es gibt gleichzeitig natürlich eben auch die Rechtspopulisten, die ja von Frankreich bis Ungarn in gewisser Weise eben auch behaupten, dass sie die Stimme des Landes, die Stimme des einfachen Volkes sind, dass sie den Weg zurückweisen eben in eine homogene Gesellschaft, in der gilt, was deutsch ist, gilt, was ungarisch ist, und damit hat natürlich dieses Land zum ersten Mal in vieler Hinsicht so etwas wie eine politische Bewegung, die dies artikuliert, ohne dass die Rechtspopulisten natürlich irgendeinen Vorschlag machen oder irgendeine Erfahrung aufnehmen. Sie argumentieren eben mit alten Bildern, die offenbar jetzt auf fruchtbaren Boden fallen.
Kassel: Aber macht man es sich nicht zu einfach, wenn man quasi die Schuld dann wirklich auch den Menschen auf dem Land in die Schuhe schiebt und sagt, die kommen halt nicht mit, und deshalb reagieren sie politisch so. Gibt es nicht in den urbanen …
Kaschuba: Nein, es …
Kassel: Entschuldigung, aber gibt es nicht in den urbanen Zentren auch eine Menge Menschen, die in so einer Art Blase leben, die auch dazu führt, dass die überhaupt nicht mehr wissen, mit welchen Problemen die anderen jenseits der Stadtgrenze sich konfrontiert sehen?
Kaschuba: Ja. Das ist natürlich sehr grob gesagt, was ich jetzt getan hatte im Grunde genommen, eben eine Perspektive, die aus der Vogelsicht im Grunde genommen mal draufschaut. Wenn man genauer auf das Land hinschaut, sieht man natürlich, es sind sehr unterschiedliche Positionen, von Erfahrungen eben abgehängt zu sein im Sinne von nicht versorgt sein, nicht beachtet zu werden, eben bis zu den Rechtsradikalen, und es ist in der Tat eben mehr als nur sozusagen das abgehängte Land. Es sind natürlich auch Kontroversen darüber, wie unsere Gesellschaft sein will, und darüber müssen wir natürlich intensiver nachdenken.
Wir waren bisher der Meinung, dass die Vorstellung einer liberalen, einer offenen Stadtgesellschaft so etwas wie Konsens wäre, und jetzt bemerken wir, dass offenbar für größere soziale Gruppen die Vorstellung von großer Vielfalt, von großer Freiheit, von vielen Entscheidungsmöglichkeiten im Alltag, aber auch viel Verhandlungen möglicherweise eben auch eine stressige Vorstellung ist. Das würde eben bedeuten, dass es vor allem in der Wahlanalyse jetzt der letzten Wahlen dann ein Hinweis darauf wäre, dass vor allem die ältere oder mittelalte und ältere Generation und eben die ländlichen Regionen nicht einverstanden sind unter Umständen mit dem Weg, den die Stadtgesellschaften gehen, und darüber müssen wir natürlich diskutieren. Die jungen Leute, glaube ich, wollen nicht zurück in eine konforme Gesellschaft.

Krise der politischen Eliten

Kassel: Aber wie soll Politik denn damit umgehen? Nehmen wir in Deutschland mal die Union oder speziell die CDU, die hatte vor noch gar nicht allzu vielen Jahren große Probleme in den Großstädten, in den Ballungsräumen, sie hat sich – das kann man, glaube ich, egal, wo man politisch steht, feststellen – unter Angela Merkel ziemlich urbanisiert und hat jetzt zunehmend Probleme im ländlichen Raum. Kann eine Partei überhaupt noch die Interessen von Land und Stadt gemeinsam abdecken?
Kaschuba: Ich glaube, die Politik muss sich natürlich in der Tat erneuern, denn diese Krise der Gesellschaft ist natürlich auch eine Krise der Politik. Die Glaubwürdigkeit der Politik, die Transparenz der Politik ist nicht mehr vorhanden, und es ist auch eine Krise der Eliten. Ich wüsste im Moment nicht, bei welcher deutschen Bank und bei welchen deutschen Großkonzernen ich sagen könnte, ich lege die Hand dafür ins Feuer, dass hier sauber Geschäftspolitik gemacht wird. Das sehen und hören natürlich auch die Leute, und es muss eine transparentere Debatte darüber geben, welche Chancen der Entwicklung da sind und welche Risiken oder Belastungen da sind, und es muss wahrscheinlich eben auch neue Formen geben, Formen, die dieser Bürgergesellschaft gerechter werden.
Ich meine, so Leid es manchen Menschen tut, mir auch, aber natürlich ist Pegida auch ein Ergebnis, auch ein Ausdruck einer Bürgergesellschaft, aber die ist eben ein Ausdruck, den wir so nicht haben wollen, aber es ist, glaube ich, eben in der Tat an der Zeit, dass wir auch neue Formate von Politik erproben im Sinne der Mitwirkungsmöglichkeit, wie wir sie gegenwärtig in den Städten mit der Zivilgesellschaft schon haben. Das muss eben auch auf dem Land sehr viel konsequenter angewandt werden.
Kassel: Eine Frage zum Schluss, die wahrscheinlich etwas flapsig klingt, die aber im Grundsatz doch sehr ernst gemeint ist: Vor drei Wochen erst fand der Urbanitätsgipfel der UN in Quito statt, in Ecuador, wo es um Städte ging, und wo noch mal ganz klar gesagt wurde von seriösen Experten, dass schon in wenigen Jahrzehnten bis zu 80 Prozent der Weltbevölkerung in Metropolen leben wird. Könnte man da nicht einfach sagen, na ja, im Grunde genommen kann uns weltweit gesehen das Land auch bald ziemlich egal sein?

Es braucht eine andere Strukturpolitik

Kaschuba: Das sehen wir ja jetzt, wenn wir die politischen Großwetterlagen sehen, dass das nicht sein kann. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass zwei Drittel bis drei Viertel der Bevölkerung in die Metropolen gehen, Gedankenstrich, wenn wir nicht andere Strukturpolitiken betreiben. Die Leute gehen ja den Jobs nach und bei uns eben auch dem Lebensstil nach, und es macht wenig Sinn, wenn wir diese Tendenz zur Spaltung, blühende Städte, schrumpfende Dörfer oder sterbende Dörfer, wenn wir die nicht stoppen oder umdenken.
Gerade jetzt: eben die Flüchtlingssituation wäre die gegebenen Situation, umzudenken, keineswegs nur in Deutschland. Flüchtlinge bedeutet in aller Regel: übernehmen Arbeiten, die die einheimische, ortsansässige Bevölkerung oft nicht macht, und wir hätten gerade in Deutschland eben in vieler Hinsicht eine Win-win-Situation, aber das braucht dann eben eine neue Politik, die nicht von Ressortdenken geprägt ist, sondern die in der Tat die Möglichkeiten der Bürgergesellschaft stärker wahrnimmt.
Kassel: Sagt der Ethnologe und Direktor des Berliner Instituts für Migrationsforschung Wolfgang Kaschuba über die Kluft zwischen Stadt und Land und ihre politischen Folgen. Herr Kaschuba ist übrigens im Moment in China, deshalb haben wir auch wegen der Zeitverschiebung das Gespräch mit ihm kurz vor dieser Sendung schon aufgezeichnet per Handy, aber dafür klang es doch ganz gut.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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