Rechtspolitik für die Ohnmächtigen

19.07.2012
"Zart wäre einzig das Gröbste: dass keiner mehr hungern soll." Das Adorno-Zitat, im Untertitel schon angedeutet, stellen die beiden Autoren dem Buch voran. Damit sind sie mitten im Thema - mehr als 1,3 Milliarden Menschen leben weltweit in Armut.
Niemand bringt die 13 Milliarden Dollar auf, die nach Berechnungen der Vereinten Nationen gebraucht werden, um den Welthunger zu stillen. 40 Millionen Menschen waren im Jahr 2010 auf der Flucht, verantwortlich dafür sind Krieg, Urbanisierung, Rohstoffmangel, Nahrungsmittel- und Trinkwasserknappheit. Das beklagen die Autoren, verharren aber nicht im Lamento.

Stattdessen suchen sie nach adäquaten Problemlösungen, die nicht mehr auf der Ebene der Nationalstaaten, sondern global gefunden werden müssen. Der Kampf um globale soziale Rechte, etwa auf Nahrung, Gesundheit, Mitbestimmung oder soziale Sicherung, ist ein großes Thema, auf weniger als 100 Seiten komprimiert dargestellt. An den globalen Ungerechtigkeiten sei das Recht direkt beteiligt, schreiben Fischer-Lescano und Möller.

Transnationale Unternehmen haben sich das Recht zu Diensten gemacht. Riesige globale Anwaltsfirmen helfen ihnen dabei, ihre Interessen durchzusetzen. In der Welthandelsorganisation WTO und bei der Weltbank sind gerichtliche Foren installiert, die ebenfalls auf Seiten des Freihandels und der privaten Investoren liegen. Seit den 1980er-Jahren drängt eine neoliberale Rechtsentwicklung auf die Liberalisierung der Märkte und schützt die Global Player. Also keine Hoffnung, die sozialen Rechte durchsetzen? Doch, es gibt Möglichkeiten: Die Autoren sehen sie in einem rechtspolitischen Projekt. Dessen Aufgabe bestehe darin, "weder von der Macht der anderen noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen" – wieder ein Zitat von Adorno.

Für eine transnationale Rechtspolitik, die für soziale und ökologische Gerechtigkeit sorgt, gibt es bereits Ansätze. So entschied in einem Streit um den Patentschutz für Aids-Medikamente das Schiedsgericht der Welthandelsorganisation WTO für das Recht auf Gesundheit. In einem anderen Fall, der mit der Erdölverpestung im Niger-Delta zu tun hatte, gelang es vor einem New Yorker Gericht, die Firma Shell zu einer Schadensersatzzahlung an die Opfer zu verpflichten.

Die Arenen transnationaler Rechtspolitik sollen nicht den Technokraten und Rechts-maschinisten überlassen bleiben. Das liest sich wie ein Pamphlet. Zum Glück bleiben Fischer-Lescano und Möller nicht dabei stehen.

Im Buch werden Protestgeschichten erzählt, von Bauern in Madagaskar, von brasilianischen Landarbeitern, von der occupy-Bewegung, von der spanischen Jugend auf der Puerta del Sol. So sieht gelebte Demokratie aus, meinen die Autoren. Die Empörung jedoch müsse politisiert werden, "weil sie sonst verpufft". Letztlich beziehen sich Fischer-Lescano und Möller hier auf bereits bestehende internationale Organisationen und Institutionen, in Europa, aber auch global. Die Europäische Bürgerinitiative und verschiedene Initiativen der UN sind hier nur zwei Beispiele von vielen.

Das Buch liefert eine gute Zusammenfassung der Diskussion um die negativen Auswirkungen der Globalisierung und beschreibt anschaulich, wie die Mechanismen funktionieren. Aber es schildert auch die andere Seite des Januskopfes: dass die Globalisierung mit der Intensivierung des weltweiten Kultur- und Informationsaus-tausches neue Chancen bietet, auch für den Kampf um soziale Gerechtigkeit. Insofern macht das Buch auch Hoffnung. Es endet wieder in Anlehnung an Adorno: "Zart streiten die globalen sozialen Rechte für das Gröbste: das Ideal der Emanzipation."

Besprochen von Annette Wilmes

Andreas Fischer-Lescano, Kolja Möller: Der Kampf um globale soziale Rechte – Zart wäre das Gröbste
Wagenbach Verlag, Berlin 2012
96 Seiten, 14,90 Euro