Rechtsextremismus

Wie Neonazis das Dorf Jamel erobert haben

Jamel liegt nur wenige Kilometer von der Ostseeküste entfernt. Kaum ein Navigationsgerät führt dieses winzige Sackgassendorf zwischen Wismar und Grevesmühlen. In mindestens sieben der zehn Häuser leben Leute, die rechts bis rechtsextrem ticken.
Jamel: In mindestens sieben der zehn Häuser leben Leute, die rechts bis rechtsextrem ticken. © Deutschlandradio / Silke Hasselmann
Von Silke Hasselmann · 18.08.2015
Das Künstlerehepaar Lohmeyer kämpft seit Jahren gegen die Vereinnahmung ihres Wohnortes Jamel in Mecklenburg-Vorpommern durch Neonazis - jetzt brannte ihre Scheune. Rechte setzen hier offenbar ihre Strategie der nationalen Dörfer um.
Jamel liegt nur wenige Kilometer von der Ostseeküste entfernt. Kaum ein Navigationsgerät führt dieses winzige Sackgassendorf zwischen Wismar und Grevesmühlen. Das Künstlerehepaar Lohmeyer hat es dennoch vor zwölf Jahren gefunden und lebt seitdem im ehemaligen Forsthaus. Dabei:
"Es ist, wenn man das Dorf betritt, ganz schnell zu bemerken und zu sehen, dass es ein von Nazis dominiertes Dorf ist, weil die sich nicht entblöden, hier an jeder Ecke oder Hauswand ihre Nazi-Insignien zu malen oder aufzustellen. Also es ist schon richtig ein Freilichtmuseum des Neonazitums geworden, sagen wir mittlerweile."
Da sind Wegweiser unter anderem für Adolf Hitlers Geburtsstadt Braunau. Runen hier, ein Kohlegrill in Form eines KZ-Verbrennungsofens da. Auf einer Garagenwand zwischen zwei völkisch anmutenden Malereien: "Dorfgemeinschaft Jamel - frei, sozial, national". In mindestens sieben der zehn Häuser leben Leute, die rechts bis rechtsextrem ticken. Im Mittelpunkt: Ein vorbestrafter Abriss-Unternehmer und Kopf der Neonazi-Szene, sagt Birgit Lohmeyer.
"Herr Krüger – so heißt der berüchtigte Rechtsextreme in diesem Dorf – hatte sich zwar ruhig verhalten in den Vorjahren, bevor wir hierher zogen, hatte aber eine Parteikarriere in der NPD angestrebt. Er begann, Häuser aufzukaufen von Menschen, die einfach wegziehen wollten, oder es standen einige Gebäude schon lange leer. Die hat er gekauft und seine Gesinnungsgenossen einziehen lassen. Insofern war das eine Entwicklung, die wir jetzt einschätzen können als Parteistrategie, die wir aber damals, weil wir noch keine Experten für Rechtsextremismus waren, überhaupt nicht absehen konnten. Das hat uns wirklich überrollt."
Andere Jameler mochten keine Auskunft geben, nur die zuständige Postfrau:
"Naja, Die Rechten sind hier angeblich. Ich habe damit nichts zu tun. Eigentlich stört mich das auch nicht. Die Leute da sind alle nett und freundlich. Die kriegen Pakete, ich gebe sie ab. Also: Kein Ärger."
Birgit und Horst Lohmeyer vor ihrer verbrannte Scheune in Jamel
Birgit und Horst Lohmeyer vor ihrer verbrannte Scheune in Jamel© dpa / picture-alliance / Jens Büttner
Das können die Lohmeyers nicht behaupten, sind sie doch die einzigen Dorfbewohner, die sich offen gegen die braunen Siedler stellen. Schon lange würden sie gemobbt und mal mehr, mal weniger subtil bedroht, berichtet Horst Lohmeyer:
"Das äußert sich dadurch, also wir werden mit Anzeigen überschüttet. Es wird uns unheimlich viel Aufmerksamkeit zuteil, also dass die Kinder uns, wenn wir das Dorf verlassen, zuwinken. Sie zeigen uns damit und das spüren wir auch: 'Wir haben euch im Fokus!'"
Vorige Woche brannte die 140 Quadratmeter große Scheune auf dem Jameler Forsthof ab. Die Feuerwehr konnte nur knapp verhindern, dass das Feuer auf das Wohnhaus der Lohmeyers übergriff. Die Polizei ermittelt wegen Brandstiftung in alle Richtungen, schaut sich aber vor allem in der rechten Szene um. Dass der oder die Täter genau dort zu finden sind, steht für Birgit Lohmeyer derweil schon jetzt fest.
"Ich mag mich ungern in die Köpfe von Nazis reinbegeben. Das ist mir zuwider. Aber es spricht schon eine gewisse Verzweiflung aus dieser Tat, finde ich. Wir scheinen wirklich der Stachel im Fleische der Nazis zu sein."
Auch andere Menschen stört eine völkisch-nationalistische Nachbarschaft in ihren Orten erheblich. Zum Beispiel Lars Prahler aus Grevesmühlen, das überregional "leider vor allem mit dem Nazi- und Rockertreff 'Thinghaus' Schlagzeilen" mache, wie er sagt. Das "Thinghaus" entstand vor rund fünf Jahren, nachdem ein Abriss-Unternehmen mitten im Gewerbegebiet eine Teilfläche des Betonwerkes gekauft hatte. Die Kommune wusste, dass der Rechtsradikale Sven Krüger aus dem nahegelegenen Jamel dahinter steckt, sagt Lars Prahler, stellte aber bei der Prüfung des Vorkaufsrechtes schnell fest …
"... dass ein Unternehmen in einem Industriegebiet an ein anderes Unternehmen veräußert hat, und dieses andere Unternehmen beschäftigt sich mit Abbruch. Insofern hatten wir keine konkrete Handhabe davon auszugehen, dass dieser Kaufvertrag dazu führt, dass rechtsradikale Machenschaften zukünftig dort stattfinden werden."
Das Thinghaus in Grevesmuehlen.
Das Thinghaus in Grevesmuehlen. © Deutschlandradio / Silke Hasselmann
Der parteilose Stadtrat und Bauamtsleiter weiß, dass der Staat nicht einfach so Grundstücks- oder Immobiliengeschäfte von Menschen mit unliebsamer, aber nicht verbotener Gesinnung verhindern darf. Die Anwälte der rechten Szene kennen sich zudem gut aus und setzen oft wasserdichte Anträge auf, so auch, als Krüger wenig später die Grevesmühlener Immobilie ausbauen und umnutzen wollte.
"Büro- und Veranstaltungseinrichtungen sind in Industrie- und Gewerbegebieten nach Baunutzungsverordnung zulässig im Ausnahmefalle, und wir haben in diesem Fall nicht die rechtliche Handhabe gefunden, um diese Umnutzung letztlich verhindern zu können."
Heute dient das "Thinghaus" als Wahlkreisbüro eines NPD-Landtagsabgeordneten, als Schulungszentrum, Konzertort und Treff zum Kneipenabend – "nur für Freunde und Sympathisanten", wie es auf der Facebook-Seite heißt. "Wir ackern für Deutschland" steht auf dem Eingangsschild, am Dachgiebel: "Heute sind wir tolerant, morgen fremd im eigenen Land". Auf dem festungsartigen Gelände mit blickdichtem Bretterzaun, Stacheldraht, Kameras und riesiger Reichsflagge werden auch Kinderferienlager angeboten. Die Polizei löste im Juli eines auf.
Der Trend zu gezielten Immobilienkäufen hält seit Ende der 1990er-Jahre an und geht nicht nur, aber besonders gut im Nordosten Deutschlands auf, wo sich kurz nach der Wende Neonazis aus Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bayern angesiedelt hatten. Das schreibt die Journalistin Andrea Röpke in ihrer gerade erschienenen Studie "GEFÄHRLICH VERANKERT – Rechtsextreme Graswurzelarbeit, Strategien und neue Netzwerke in Mecklenburg-Vorpommern".
Neonazistische Lebensentwürfe
"Also Udo Pastörs, der Fraktionschef der NPD in Mecklenburg-Vorpommern, hat schon zu diesem Zeitpunkt von nationalen Dörfern geredet, gepaart mit eigenen Wirtschaftsstrukturen. Das heißt, sie haben eigene Logistikunternehmen, eigene Handwerksfirmen, Bauunternehmer, und wenn sich jemand ein verfallenes Gebäude kauft, kann er gleich auf Nationalisten, auf Kameraden zurückgreifen, die die nötigen Arbeitskräfte und die Firmen haben. So wie Sven Krüger in Jamel, der mit seinem Abriss-Unternehmen sofort eingreift und unterstützt. Wir haben auch so ein Phänomen wie in Lübtheen, wo die NPD das 'Hotel Stadt Hamburg', eine ehemalige Gaststätte, betreibt und dort jetzt einen eigenen Sportclub hat, Jugendliche in Nahkampf ausbildet, das Programm für Ältere und für Frauen erweitert hat. Dort werden diese antiquierten, neonazistischen Lebensentwürfe dann tatsächlich auch umgesetzt."
Zurück in Jamel, wo die zuständige Gemeinde inzwischen Bauland gekauft und somit dem privaten Markt entzogen hat. Niemand kann dort bauen, weder Nazis noch Nicht-Nazis, sagt Birgit Lohmeyer. Sie und ihr Mann stehen nach dem Scheunenbrand unter Polizeischutz und bleiben dabei: Aus dem überwiegend braunen Dorf soll ein bunteres werden, zumindest am letzten Augustwochenende. Denn dann die Lohmeyers wie jedes Jahr seit 2007 auf ihren Forsthof zum Open-Air-Festival "Jamel rockt den Förster".
"Die Idee ist ganz einfach, den Nazis zu zeigen, dass das nicht ihr Dorf ist, sondern dass es ein öffentliches Dorf ist wie jedes andere Dorf in Deutschland auch, und dass es hier tolerant zugeht."
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