"Rechtsextremismus hat auf nationaler Ebene keine Chancen, ins Parlament zu ziehen"

Hajo Funke im Gespräch mit Andreas Müller · 30.07.2010
Nach Ansicht des Politologen Hajo Funke würde eine neue rechtsgerichtete Partei, wie sie offenbar NPD und DVU anstreben, keine neuen Wählerschichten auf Bundesebene ansprechen. Es seien auch keine Abspaltungstendenzen aus der Union zu erwarten.
Andreas Müller: 20 Prozent der Wähler in Deutschland würden eine neue Partei rechts von der CDU wählen, das jedenfalls behauptet Klaus-Peter Schöppner, und er ist immerhin Chef des renommierten Emnid-Instituts. Vielleicht entsteht diese Partei ja aus einer Fusion der rechtsextremen DVU und NPD – deren führende Köpfe planen offenbar einen Zusammenschluss beider Organisationen.

Der Verfassungsschutz ist schon wieder klüger, da heißt es heute in einer Geschichte, das wird dann wohl doch nicht passieren. Nun, wir wissen es nicht. Welche Chancen aber hätte eine solche Partei bei frustrierten konservativen Wählern? Ich begrüße am Telefon Professor Hajo Funke, Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin. Schönen guten Tag!

Hajo Funke: Guten Tag!

Müller: NPD und DVU sind für viele Konservative nicht wählbar. Hätten die als fusionierte Partei Die Rechte mehr Chancen beim Wähler?

Funke: Ebenso wenig. Das sind zwei rechtsextreme Parteien, die NPD ist klar auch neonazistisch orientiert, die zusammen verändern die Struktur dieses Rechtsextremismus nicht, und ein Rechtsextremismus hat auf nationaler Ebene keine Chancen, ins Parlament zu ziehen.

Müller: Auch nicht, wenn es da plötzlich einen seriösen Anstrich gäbe? Die NPD kann ja auf Länderebene immer wieder mal Wahlerfolge verzeichnen, besonders in Ostdeutschland sind sie stark. Da gab es auch schon mal sozusagen auf der anderen politischen Seite eine Partei, die den Weg von Ostdeutschland gesamtdeutsch geschafft hat.

Funke: Die NPD hat den Weg von West nach Ost geschafft, aber eben nur regional, nur in Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen, die DVU in einigen anderen Ländern auch nur zeitweise, die Republikaner im Westen, im Südwesten, für eine gewisse Zeit in Baden-Württemberg – und das ist es auch. Auf nationaler Ebene haben diese Rechtsextremen in Deutschland keine Chance.

Müller: Umfragen sehen die Union derzeit bei gerade noch 29 Prozent – bedeutet diese Schwäche denn tatsächlich eine potenzielle Stärke für Die Rechte, eine Stärke von 20 Prozent, wie sie Klaus-Peter Schöppner von Emnid herausgefunden haben will?

Funke: Man muss unterscheiden zwischen Rechtsextremen, die sich dann vielleicht Die Rechte nennen, wenn sie denn zusammenkommen, was ich noch nicht sehe, und einer Rechtskonservativen, die sich sozusagen aus dem Milieu von CSU und CDU abspalten oder aus ihnen herausbewegen würde. Das ist offenbar eher die Idee des Emnid-Instituts, dass das denkbar sei, aber auch das sehe ich relativ skeptisch. Wer sollte das machen? Es braucht dazu Personen und Organisation.

Herr Schöppner hat selbst von jemand wie Friedrich Merz gesprochen, aber der ist aus der Mitte der CDU, hat noch eine marktradikale Position. Also wer soll das machen? Franz-Josef Strauß und Schönbohm in früheren Zeiten haben diesen rechtskonservativen und andere rechte Wähler gebunden, aber sie waren daran interessiert, dass sie der CDU/CSU erhalten bleiben. Ich kann mir keine Person dieses Formats vorstellen, das sie sozusagen aus einer Abspaltung probiert. Insofern sehe ich da, was das Personal und was die Organisationsfähigkeit anlangt, im Moment nur ein Gespenst einer sechsten Partei, aber noch keine konkrete Chance.

Müller: Also es bräuchte so jemanden wie einen Lafontaine in Rechts? Lafontaine hat ja Die Linke so populär oder jedenfalls ihr ein populäres Gesicht gegeben.

Funke: Ja, aber noch einmal: Ich sehe keine Persönlichkeit – ich habe ja einige genannt –, die dieses bewirken wollen würde, auch Koch nicht. Dazu ist er viel zu sehr an seine, die CDU, an seine Partei gebunden. Also ich sehe diese Konstellation nicht. Der letzte Versuch war aus der CSU 83/84 die Gründung der Republikaner, aber die ging viel zu weit nach rechts und wurde dann als rechtsextrem isoliert. Das war mit Schönhuber, der kam aus der CSU und hat viele aus der CSU besser gesagt mitgenommen.

Aber auch das war nur ein regionaler Erfolg, und zwar genau wegen des zu radikalen Zuschnitts. Sie brauchen also etwas dazwischen, aber dazu ist dann wiederum auch niemand oder eine Gruppe, eine Formation bereit. Insofern sehe ich es nicht so skeptisch oder positiv wie immer, wie Herr Schöppner

Müller: Man muss, glaube ich, ja auch noch mal ganz vielleicht unterscheiden, Schöppner geht ja nicht davon aus, dass es ein Potenzial von 20 Prozent gibt, das Rechtsradikale wählen würde, also eine Fusion aus DVU und NPD, sollte sie jemals zustande kommen. Er sagt, das sei das Potenzial für eine konservative christlich und an solider Wirtschaft interessierten Klientel. Was schätzen Sie, sind es wirklich 20 Prozent? Es gibt andere Zahlen, da wird von zehn Prozent geredet ...

Funke: Ja, also es gibt Orientierung dieser Art immer wieder, also zum Beispiel Umfragen, wo etwa zu einer gewissen Zeit 16 Prozent sagen, sie könnten sich vorstellen, auch eine Rechte, also ins Rechtsextreme gehende Partei zu wählen. Aber ein solches Umfragepotenzial ist nicht identisch mit dem organisierbaren Wählerpotenzial.

Dazu muss es eben dann auch eine entsprechende Formation geben, ein Angebot, Kosten, Organisation und dergleichen. Also insofern ist zwischen einer solchen Umfrage und der Entwicklung einer solchen Partei ein Riesenunterschied. Orientierungen, Wünsche, sich so etwas vorstellen zu können, das haben wir immer wieder, aber es gibt, ich glaube nicht, dass man diese 20 Prozent, die er gefunden hat, so deuten kann, als sei das jetzt angesagt – das sehe ich überhaupt nicht.

Müller: Welche Chancen hätte eine neue, eine sechste Partei, Die Rechte? Darüber spreche ich mit dem Politikwissenschafter Hajo Funke hier im Deutschlandradio Kultur. Herr Funke, welche Bedeutung haben denn die antiislamischen Bewegungen wie Pro NRW oder die Bürgerbewegung Pro Deutschland? In den Niederlanden oder Österreich haben solche Gruppen ja durchaus Erfolg. Ist auch das eine ich sag mal Gefahr für die Union?

Funke: Weniger. Auch dies liegt an der Differenz zwischen ... Dies liegt an der Differenz zwischen Deutschland, der politischen Kultur in Deutschland einerseits, und Österreich oder auch Holland. Wir haben in Österreich etwa eine rabiate antiislamische Parteienformation im rechtspopulistischen und rechtsextremen Bereich, etwa die FPÖ.

So etwas ist hier – glücklicherweise würde ich sagen – für die politische Kultur unterbunden worden beziehungsweise von vornherein durch ein offenes Herangehen an die Probleme, die man mit dem Islam sieht, abgeschwächt worden. Da ist vor allem wichtig die deutsche Islamkonferenz, die Wolfgang Schäuble ins Leben gerufen hat.

Dadurch brechen sich solche – wie soll man sagen – aufgeschäumte, agitatorische Wellen im Zweifel, dass es zu einer solchen Bewegung käme. Sie sehen das an Pro NRW beziehungsweise Pro Köln, die doch nur ganz begrenzte Erfolge hatten. Dies liegt an einer anderen ich würde sagen alles in allem liberaleren politischen Kultur in Deutschland, und dies ist auch nur gut so, weil wir sonst Konflikte hätten, die wir uns besser ersparen.

Müller: Nun gibt es in Berlin den Abgeordneten René Stadtkewitz, der ist in der CDU gewesen, ist ausgetreten, aber noch Teil der Fraktion im Abgeordnetenhaus, der hat den niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders eingeladen, und es gibt Gerüchte, die sagen, dass Stadtkewitz ja ein Ableger der Freiheitspartei von Wilders in Berlin gründen möchte.

Also das geht ja nun dann auch offensichtlich weiter. Ist das etwas, mit dem man rechnen muss, oder ist auch das sozusagen mit dem identisch, was Sie gerade für Pro NRW oder Bürgerbewegung Pro Deutschland gesagt haben?

Funke: Nein, man muss jeden Fall, jede solcher Konstellationen gesondert ansehen. Bei Pro NRW wissen wir, dass sie aus dem rechtsextremen beziehungsweise republikanischen Kontext kommen. Das ist natürlich für eine solche Konstellation nicht der Fall. Dann wird es entscheidend, wie man mit den eigenen komplexeren Erfahrungen, mit "Fremden" in Anführungsstrichen, mit verschiedenen Gruppenminoritäten, mit dem Islam in der Stadt umgeht.

Und da ist dann in der Tat sowohl die CDU wie die anderen demokratischen Parteien gefragt zu sagen, ob sie eine solche Radikalisierung, wie sie durch Stadtkewitz repräsentiert ist, wollen oder nicht. Also da bedarf es einer intensiven öffentlichen Debatte, die auch auf sowohl die Schwierigkeiten wie die positiven Erfahrungen im Umgang miteinander eingeht.

Müller: Noch in den 80er-Jahren galt ja der, ja, etwas salopp gesagt, dieser kernige Spruch – rechts von uns ist nur noch die Wand – für die CDU und CSU, die vermochten weite Teile des auch äußersten rechten Randes zu binden. Warum gelingt das heute nicht mehr? Ist das mit dieser, wie manche Kritiker ja sagen, Sozialdemokratisierung schon erklärt, oder was ist der Grund dafür?

Funke: Nun ja, also der rechte Rand hat es nicht in die nationalen, ins nationale Parlament geschafft. Also man könnte sagen, dass alles in allem die Strategien der demokratischen Parteien insgesamt vergleichsweise erfolgreich waren, Rechtsextreme ins nationale Parlament nicht zu lassen. So. Also insofern würde ich es ein wenig optimistischer sehen, als Sie in Ihrer Frage andeuten.

Auf der anderen Seite gibt es natürlich Ausfransungen dieser Art, und sicher wird das Problem Islam eines der Themen sein – oder das Verhältnis zum Islam besser gesagt –, das von einer solchen sagen wir rechtspopulistischen Formation angegangen werden würde. Aber dann kommt hinzu, wie man bisher mit solchen Erfahrungen und solchen Problemen umgegangen ist.

Und da ist zu hoffen, dass die alles in allem ernsthaften Bemühungen der Integration und auch der Adressierung von Problemen in einer Stadt wie in Berlin weitergeführt werden und von den demokratischen Parteien auch entsprechend vehement verteidigt werden. Das würde die Chancen einer solchen Partei rechts von den demokratischen Parteien schmälern.

Müller: Über die Chancen einer möglichen neuen sechsten Partei, Die Rechte, war das der Politikwissenschaftler Professor Hajo Funke. Haben Sie vielen Dank!

Funke: Bitteschön!