Rechtsextreme Gewalt

Warum reagiert der Staat so gelassen?

Polizei kontrolliert am 22.08.2015 nach erneuten Ausschreitungen das Areal um in die neue Notunterkunft für Flüchtlinge im ehemaligen Praktiker-Baumarkt in Heidenau (Sachsen).
Ausschreitungen vor einer Flüchtlingsunterkunft im sächsischen Heidenau © picture alliance / dpa / Arno Burgi
Von Stefan Berkholz · 11.09.2015
Stefan Berkholz fragt sich, warum Deutschland die rechtsextremen Gewalttaten einfach so hinnimmt. Misstrauen sei angebracht, meint der Publizist.
Was wäre wohl los in dieser Bundesrepublik, würden linke Extremisten Häuser in Brand stecken, Molotowcocktails in Hausflure werfen, Hassgesänge skandieren, Brandreden halten?
Vielleicht erlebte das Land eine Hysterie wie in den 70er Jahren, als eine Handvoll Desperados die westdeutsche Gesellschaft in Atem hielt. Vielleicht hätten wir, wie damals, einen Ausnahmezustand.
Möglich, obwohl ein "Was wäre wenn?" nur schwer zu beantworten ist. Aber: Warum reagiert der Staatsapparat heute so gelassen und milde, wenn rechte Terroristen Anschläge verüben? Weil bloß die Behausungen von wehrlosen, namenlosen Menschen, von Flüchtlingen, angegriffen werden und nicht gut gesicherte Institutionen der Macht, nicht Banken oder Regierungsviertel?
Als Angela Merkel vor zwei Wochen ins sächsische Heidenau kam, zwei Tage nach dem SPD-Vizekanzler, wurde sie von einem wilden Hupkonzert und Schmährufen begleitet. Hätte das nicht unterbunden werden können? Wo befanden sich die eingesetzten Polizisten? Waren sie überfordert oder duldeten sie das Treiben stillschweigend, stecken unter ihnen gar allzu viele Sympathisanten? Vielleicht, denn Wasserwerfer fuhren erst auf, als linke Antifa anrückte, und nicht schon zuvor, als Rechtsextreme Böller warfen.
Behörden schönen Zahlen
In Salzhemmendorf bei Hameln wurde Ende August ein Brandsatz in eine Flüchtlingsunterkunft geschleudert. Kommunale Politiker und Polizei zeigten sich überrascht. In ihrem Landkreis gäbe es doch gar keine gewaltbereiten Rechten. Im Verfassungsschutzbericht von 2014 sind dagegen allerdings ganz andere Erkenntnisse zu finden.
Es wird verharmlost. Behörden schönen Zahlen. Polizisten benennen nicht Neonazis als Tatverdächtige. Sie sprechen lieber von "Unbekannten" und nehmen einen "rechtsextremen Hintergrund" lediglich vage als Motiv an. Man könnte meinen, Polizei und Verfassungsschutz seien mehr daran interessiert, die Szene zu unterwandern, als sie zu durchleuchten und auszutrocknen.
Misstrauen jedenfalls ist angebracht. Noch hat sich der Nebel über der Mordserie der Gruppe "NSU" längst nicht gelichtet, noch ist nicht restlos aufgeklärt, inwieweit Sicherheitsbehörden in rechtsterroristische Straftaten verstrickt waren.
Symbolpolitik zu machen, darin ist die gesellschaftliche Elite immer groß. Führende Politiker versammeln sich sturzbetroffen an unheimlichen Orten von Brandherden und Protesten. Mit moderaten oder markigen Tönen wird um Volkes dumpfe Stimmung herumlaviert, gern auch ein Sündenbock benannt oder vom Geschehen abgelenkt.
Was denkt die "schweigende Mehrheit"?
Geschieht nicht anderswo Schlimmeres? Ist der Osten nicht schon seit DDR-Zeiten anfälliger für braune Propaganda als der Westen? Barbara John, die ehemalige Berliner Ausländerbeauftragte, nennt das "die klassische Methode der Abwiegler": Ursachen und Hintergründe übergehen, die eigene Klientel zufrieden stellen.
Rechtsextremistische Gewalttäter bezeichnen sich selbst als "Vollstrecker des Volkswillens". Und dieses Volk applaudiert ihnen tatsächlich vielerorts. Was also denkt die "schweigende Mehrheit"? Wieweit beeinflusst der rechte Rand die Mitte der Gesellschaft? Wie demokratisch sind "besorgte Bürger" eingestellt?
1981 bescheinigte eine aufsehenerregende Studie 13 Prozent der Westdeutschen eine "rechtsextremistische Einstellung". Umgerechnet waren das fünf Millionen. Und heute? Kennen die Politiker in Angela Merkels trügerischer Wohlfühlrepublik ihr Wahlvolk wirklich?
Vielleicht wird man erst erfahren, wo es tatsächlich steht, wenn gesellschaftliche Spannungen zunehmen. Erst dann werden wir wissen, wie es um diese Republik bestellt ist.
Stefan Berkholz, Publizist, geboren 1955 in Berlin, Autor von Hörfunkfeatures, Kulturberichten und Rezensionen für den ARD-Hörfunk, Beiträge für "Die Zeit" und "Der Tagesspiegel", Buchautor und Griechenlandreisender.
Stefan Berkholz
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