Rechtsextreme

"Ganz bieder und doch menschenverachtend“

Rund 120 Neonazis laufen in Wittstock (Brandenburg) mit Bannern und Fahnen. Im Hintergrund ist eine Kirche zu sehen.
Demonstration von Neonazis in Wittstock (Brandenburg) © picture alliance / dpa / Nestor Bachmann
Andrea Röpke im Gespräch mit Ute Welty  · 09.05.2015
Neonazis zu erkennen wird schwieriger. Rechtsextreme betreiben "Graswurzelarbeit" und bilden neue Netzwerke, um ihre Ideologie zu verbreiten. Davor warnt die Journalistin Andrea Röpke, die ein Buch über die Szene in Mecklenburg-Vorpommern geschrieben hat.
Die Politologin und Journalistin Andrea Röpke warnt vor der Zunahme rechtsextremer Netzwerke und Subkulturen:
"Dort wo sich die Zivilgesellschaft zurückzieht, wo wir weiße Flecken hinterlassen, können sich Neonazis ausbreiten" , sagte Röpke am Samstag im Deutschlandradio Kultur. Dabei sei deren Erscheinungsbild mittlerweile nicht mehr von "Glatzköpfigen mit Springerstiefeln" geprägt. Vielmehr verstünden sich Rechtsextreme auch darauf, "ganz, ganz bieder, ganz bodenständig aufzutreten und dabei doch diese klar menschenverachtende Politik voranzutreiben", so die Politologin und freie Journalistin mit dem Themenschwerpunkt Rechtsextremismus, die für ihre langjährige Berichterstattung über die rechtsextreme Szene am 17. Juni in Düsseldorf mit dem Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage ausgezeichnet wird.
Bieder bis gewalttätig: Große Bandbreite von Akzeptanz für Neonazi-Ideologie
Die Neonazi-Szene in Mecklenburg-Vorpommern habe sich einerseits sehr stark im gesellschaftlichen Mittelfeld verankern können, über wirtschaftliche und handwerkliche Netzwerke bis hin in die Öko-Landwirtschaft. Rechtsextreme verstünden es gerade in ländlichen Regionen, sich als "gesellschaftliche Kümmerer" aufzuspielen, sich in Vereine oder Elternvertretungen einzubringen. Dabei reiche die Bandbreite gleichzeitig bis hin ins Rotlicht- , Kampfsport- und Rockermilieu. Insgesamt habe auch die Gewaltbereitschaft maßgeblich zugenommen, "Da ist eine ganz, ganz große Bandbreite, in der sie mittlerweile Akzeptanz genießen", fasste Röpke die Recherchen für ihr aktuell erschienenes Buch "Gefährlich verankert – Rechtsextreme Graswurzelarbeit, Strategien und neue Netzwerke in Mecklenburg-Vorpommern" zusammen.
Feindbilder und Hass gegen Flüchtlinge dringt in die Mitte der Gesellschaft
Die Feindbilder und der Hass gegen Flüchtlinge, die massiv von der Neonazi-Szene geschürt werde, bildeten die elementarsten ideologischen Bestandteile, die auch in anderen Bundesländern wirksam würden und "die jetzt von Teilen der Mitte der Gesellschaft ganz massiv aufgegriffen werden", so Röpke, die seit 20 Jahren zum Schwerpunkt Rechtsextremismus arbeitet und deren Recherchen im Neonazi-Milieu in diversen Fernsehmagazinen wie Panorama und Spiegel TV sowie im "Spiegel", "Focus" und "Stern" veröffentlicht wurden.
Nutzung sozialer Netzwerke zur Anwerbung
In der Diskussion über eine offenbar wachsende Gefahr durch Rechtsterrorismus warnte Röpke davor, dass die Neonazi-Szene massiv die sozialen Netzwerke und das Internet zur Verbreitung ihrer hasserfüllten Ideologie und zur gezielten Anwerbung neuer Anhänger nutze: "Und dann sind da natürlich die geschulten, wirklich durch und durch fanatischen Neonazi-Kader, die das Wirken im Untergrund weiter ausführen."
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Das vollständige Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Viel ist diskutiert worden in dieser Woche über rechte Strömungen und rechte Auswüchse. Wie haben auch hier gesprochen über zwei Jahre Prozess gegen den Nationalsozialistischen Untergrund. Die Wahl in Bremen steht morgen im Fokus, da will die NPD in die Bremer Bürgerschaft einziehen. Und offenbar steht auch die Alternative für Deutschland vor einem Rechtsruck. Diese Entwicklungen beobachtet sehr aufmerksam die Politologin Andrea Röpke. Ihr jüngstes Buch heißt "Gefährlich verankert. Rechtsextreme Graswurzelarbeit" Darin analysiert sie rechte Strategien und Netzwerke in Mecklenburg-Vorpommern. Und ich habe sei gefragt, mit welchen Ergebnissen.
Andrea Röpke: Mit dem schrecklichen Ergebnis, dass die Neonazi-Szene sich einerseits sehr stark im gesellschaftlichen Mittelfeld verankern konnte über wirtschaftliche, handwerkliche Netzwerke, dann über soziale Netzwerke bis hin in die Öko-Landwirtschaft als Beispiel, und andererseits aber auch deren Dreistigkeit, Gewaltbereitschaft und Aggression ganz maßgeblich zugenommen haben.
Welty: Das heißt, der Rechtsextremismus ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen, ist leider in der Mitte der Gesellschaft angekommen?
Röpke: Ja, natürlich. Das bemerken wir ja auch – oder haben wir ja auch ganz, ganz besonders bemerken müssen in den letzten Monaten durch die sogenannte Pegida-Bewegungen, ausgelöst auch zunächst durch die fremdenfeindlichen Bewegungen dieser „Hooligans gegen Salafisten". Und natürlich ist das schon von lange von der NPD so anvisiert worden, aber dass es jetzt in dieser Masse auch in die Bevölkerung hineingetragen wird und auch zum großen Teil von Teilen der Bevölkerung angenommen wird, das ist natürlich ein Verdienst auch dieser Verankerung.
Welty: Wie funktioniert das denn, dieses Hineintragen in die Bevölkerung, damit eben auch das Annehmen funktioniert?
Röpke: Man kann das einfach ganz banal zusammenfassen: Dort, wo wir uns als Zivilgesellschaft zurückziehen, dort, wo wir wirklich weiße Flecken hinterlassen, können sich Neonazis ausbreiten. Das heißt, sie können – und das macht die NPD ja schon sehr lange und auch die Kameradschaften in Mecklenburg-Vorpommern –, sie können sich als die gesellschaftlichen Kümmerer aufspielen, als die sozial Engagierten. Die Frauen der Neonazi-Szene bringen sich in Vereine ein, in Elternvertretungen, in Kindergärten. Handwerker, national gesinnt, neonazistisch gesinnt, breiten sich aus, stellen natürlich nur Auszubildende aus dem selben Lager ein, und so weiter, und so weiter. Das geht bis hin ins Rotlichtmilieu, ins Kampfsportmilieu, zu den Rockern. Also, das ist eine ganz, ganz große Bandbreite, in der sie mittlerweile Akzeptanz genießen, leider.
Welty: Haben Sie sich deshalb auch entschlossen, mit dem Begriff "Graswurzelarbeit" zu arbeiten? Der ist ja auch kirchlichen oder karitativen Zusammenhängen eher positiv besetzt?
Röpke: Na ja, wir wollten es eigentlich bildlich auch deutlich machen vor allen Dingen, also auch allein schon, um einfach zu zeigen, das sind nicht mehr diese Porträts von früher, es sind nicht mehr diese glatzköpfigen, mit Springerstiefeln ausgestatteten – die gibt es durchaus auch, aber wir wollten mit "Graswurzelarbeit" eigentlich zeigen, dass sie – das war auch ein Wortspiel bezogen auf die ländliche Region in Mecklenburg-Vorpommern. Dass sie es einfach verstehen, wirklich ganz, ganz bieder, ganz, ganz bodenständig aufzutreten und dabei doch diese ganz klare menschenverachtende Politik vorantreiben.
Welty: Sie haben das Buch geschrieben im Auftrag der SPD-Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern. Was hat das für Sie als Autorin bedeutet?
Röpke: Eigentlich sind es meine eigenen Recherchen, die ich sowieso schon lange angestellt habe und auch immer wieder darüber publiziert habe, vor allem auch für den "Blick nach rechts", das ist ein Fachorgan. Und die SPD hatte sich dann angeboten als Herausgeberin. Und ich war natürlich dankbar als freie Journalistin, weil es ist sehr schwierig, mit Büchern, die derartig offen auch Namen und Strukturen offenlegen, tatsächlich dann auch Herausgeber zu finden, die sich das trauen, die so mutig sind. Und da war ich natürlich froh, dass die SPD-Fraktion diese Aufgabe übernehmen wollte. Aber es ist keine Auftragsrecherche an sich gewesen. Ich recherchiere natürlich immer als Fachjournalistin seit 20 Jahren ohnehin vor Ort, und das besonders mit Schwerpunkt auch im Norden.
Welty: Sie gehen sicher ein finanzielles Risiko ein, aber vor allen Dingen auch ein persönliches. Was sind so die Reaktionen aus der Szene, die Ihnen widergespiegelt werden?
Röpke: Na ja, die Reaktionen aus der Neonaziszene kennen wir als Fachjournalisten ja schon lange. Es ist ständig, dass man per Steckbrief geoutet wird im Internet, dass es immer wieder Aufrufe gibt gerade in den weitestgehend anonymen sozialen Netzwerken sind alle mutig, und da wird die Stimmung ordentlich angeheizt. Da gehören natürlich Journalisten dann auch dazu. Das Buch selber ist natürlich jetzt gerade erst letzte Woche erst rausgekommen. Wir müssen abwarten, wie die Reaktionen sind. Aber erfahrungsgemäß werden die nicht besonders positiv sein von rechter Seite. Aber auch dagegen muss man gewappnet sein.
Welty: Wie wappnen Sie sich?
Röpke: Na ja, klar, vorsichtig sein, möglichst keine Alleingänge zu machen. Dann natürlich ist man als Journalist immer Teil der Öffentlichkeit, privilegiert. Ich glaube, dass nicht ich wirklich diejenige bin, die die Gefahr zu fürchten hat, sondern tatsächlich ist es wie in Mecklenburg-Vorpommern oder anderen Bundesländern, sind es die Schwächsten der Gesellschaft, das heißt, Jugendliche, Obdachlose natürlich, Flüchtlinge. Und die sind weitaus gefährdeter.
Welty: Wenn Sie jetzt über Mecklenburg-Vorpommern hinausschauen und zum Beispiel nach Bremen, wo sich ja morgen auch die NPD zur Wahl stellt – sind da die Wirkprinzipien dieselben?
Röpke: Prinzipiell ja. Es geht in erster Linie seit – oder jetzt ganz massiv auch seit der Hogesa, also dieser Hooligan- und Pegida-Bewegung darum, Flüchtlinge in Misskredit zu bringen, ihnen Verbrechen nachzusagen. Und dieser Hass, diese Feindbilder, die geschürt werden von der Neonaziszene schon lange, und die jetzt auch von Teilen der Mitte der Gesellschaft ganz massiv aufgegriffen werden, das sind natürlich immer die elementarsten ideologischen Bestandteile dieser Szene. Und das ist in Bremen genauso. Da sind die populistischen Gruppierungen "Bürger in Wut" und Alternative für Deutschland natürlich, die da versuchen, anzudocken, Stimmen zu locken, als Rattenfänger auftreten. Die NPD wird dort weniger Erfolg haben. Aber das Problematische ist, und das ist eigentlich in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern oder anderen Bundesländern gleich, dass sie sich mittlerweile auch verbünden mit ganz gewaltbereiten Mischszenen. Das heißt, wir haben es hier so mit einem Milieu aus dem Kampfsport, Tattoo-, Rocker-, Rotlichtbereich zu tun, und das macht natürlich auch die Neonaziszene noch unberechenbarer und noch gefährlicher.
Welty: Und wie begegnet man der offenbar wachsenden Gefahr durch Rechtsterrorismus, vor allen Dingen, wenn sich die Szene so verzweigt und in so vielen unterschiedlichen Formen darstellt?
Röpke: Die Szene nutzt ganz massiv auch die sozialen Netzwerke. Sie verbreitet ihre hasserfüllte Ideologie über das Internet, sucht sich tatsächlich, wie wir das – aus den Bereichen der Salafisten wird es ja auch so bekannt gemacht – sie verbreiten sich ähnlich und suchen sich Anhänger. Und dann sind natürlich die geschulten, durch und durch fanatischen Neonazi-Kader da, die dann das Wirken im Untergrund dann weiter ausführen. Was ganz, ganz wichtig ist, ist, dass wir Aufklärung durchführen, dass wir wirklich bis in die Flächen hinein, in die ländlichen Regionen, dass wir ganz offen damit umgehen, was gibt es hier für Strukturen, wie können wir denen begegnen, wie können wir das Selbstbewusstsein schüren, vor allen Dingen auch bei den Betroffenen. Ich kann immer nur wieder sagen, Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung, und bitte schön dann kein Lokalpatriotismus, sondern tatsächlich auch den Mut, dem auch wirklich beherzt und mit voller Kraft entgegenzutreten.
Welty: Und Sie werden für Ihren Mut ausgezeichnet im Juni mit dem Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage, verliehen durch den Zentralrat der Juden. Was bedeutet Ihnen dieser Preis?
Röpke: Ja, das ist eine besondere Ehre. Ich freue mich natürlich wahnsinnig und werde den Preis auch mit meinen Kollegen, die mich seit Jahren schon begleiten, dann teilen und freue mich wirklich sehr.
Welty: Preisverleihung ist dann am 17. Juni in Düsseldorf. Und geehrt wird Andrea Röpke über die Berichterstattung über die rechte Szene. Ihr jüngstes Buch heißt "Gefährlich verankert. Rechtsextreme Graswurzelarbeit". Darüber habe ich mit Andrea Röpke hier in "Studio 9" gesprochen. Ich sage herzlichen Dank!
Röpke: Danke!
Welty: Und mehr zur Wahl in Bremen, über die wir ja schon ansatzweise gesprochen haben, um kurz nach acht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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